Ein Déjà vu der Stärke 5,7
CHRISTCHURCH. So manches verliebte Paar ließ sich gerade das Dessert seines Mittagsmenüs zum Valentinstag auf der Zunge zergehen. Andere warteten auf den Abschlag von Lydia Ko, der Nummer eins der Golf-Weltrangliste der Damen, bei den New Zealand Open. Wieder andere aalten sich an den Sandstränden von Christchurch oder wanderten in den Hügeln der zweitgrößten Stadt Neuseelands. Es war ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch am anderen Ende der Welt. Aber um 13.13 Uhr wurden die Bewohner und Touristen brutal in die Wirklichkeit zurückgerissen. Ein Erdbeben der Stärke 5,7 erschütterte die Stadt - oder das, was von ihr noch steht - in den Grundfesten, als nervenzerfetzende Erinnerung und Warnung, dass sich niemand in Sicherheit wiegen sollte. In einer Woche jährt sich das große Beben (Stärke 6,3), das Christchurch am 22. Februar 2011 in Schutt und Asche legte, zum fünften Mal. Bei dem massiven Rumpler, dem stärksten seit vier Jahren, war alles irgendwie „déjà vu". Das Epizentrum lag 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt direkt vor der Küste in 16 Kilometern Tiefe. Hier im Osten verflüssigte sich der Untergrund, Schlammlawinen schossen an die Oberfläche von erst vor einigen Tagen frisch asphaltierten Straßen und Gehwegen. Weite Areale in dieser schwammigen Gegend sind nach den vier schweren Erdbeben von 2010 und 2011 zur „Roten Zone“ erklärt worden und werden nie mehr bebaut; fast 7700 Wohnhäuser sind abgerissen worden und haben ein surreales Niemandsland hinterlassen. Staubwolken über dem Meer Die Klippen in den Vororten Sumner und Scarborough kollabierten wie einst und hüllten die Strände in spektakuläre Staubwolken, die wie Nebelschwaden übers Meer zogen. Wanderwege wurden gesperrt, weil Felsbrocken die Hänge der Port Hills hinabdonnerten. In der Stadtmitte, wo der zögerliche Wiederaufbau gerade erst einigermaßen in Schwung gekommen ist, flüchteten Menschen ins Freie; in einigen Vierteln fiel der Strom aus, Wasserleitungen barsten, Einkaufsmeilen und Büchereien wurden evakuiert und zeitweise geschlossen. Überall, auch in vielen Läden, ergossen sich die Inhalte von Regalen auf den Boden, zerbrachen Gläser, wackelten Scheiben, schwankten Häuser. Dass es keine Verletzten gab und keine schweren Schäden gemeldet wurden, lag daran, dass alles, was ein schweres Erdbeben nicht übersteht, vor fünf Jahren eingestürzt oder abgerissen worden ist. In den fünf Stunden nach dem 5,7-Schock – der vierunddreißigste der Stärke 5,0 bis 5,9 seit dem 4. September 2010 - jagte ein Nachbeben das andere: Es wurden 39 Erschütterungen der Stärke 2,1 bis 4,2 innerhalb von fünf Stunden registriert. Die Menschen in Christchurch fielen in eine wohlvertraute Angewohnheit zurück: die Stärke von Erdbeben mit hoher Treffsicherheit zu erraten. In den vergangenen zwei, drei Jahren waren sie angesichts nur noch sporadischer Rüttler ein bisschen aus der Übung geraten. Aber die Ruhe, die eingekehrt war, war trügerisch. Laut neuester Statistik liegt die Wahrscheinlichkeit eines oder mehrerer Beben der Stärke 5,0 bis 5,9 bei 63 Prozent und einer Erschütterung von 6,0 bis 6,9 bei acht Prozent. ERDBEBEN-INFOS
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