26.09. Gestürzte Helden
Der America's Cup und der frohe Erwartungsvirus
Sie schipperten in der Bucht von San Francisco zwar nicht unbeachtet vor sich hin. Aber im Frühstadium des America’s Cups nahm Neuseeland die Anstrengungen seiner Katamaran-Segler, die nach einer 8:1-Führung gegen das Oracle-Team aus den USA noch 8:9 verloren und die sicher geglaubte Trophäe doch noch aus den Händen gaben, nicht wirklich wahr.
Erst als das Emirates Team New Zealand ein Rennen nach dem anderen gewann und scheinbar unaufhaltsam davonzuziehen schien, stockten die beiden großen Fernsehsender ihr siegestaumeliges Fan-Personal an der Strecke auf und infizierten die Nation mit dem frohen Erwartungsvirus.
Die Nachrichten-, Magazin- und Sportreporter trällerten ihre Berichte ohne jegliche Distanz in die Wohnstuben, platzten vor Nationalstolz und Schadenfreude, denn was konnte schon passieren? Die hochrangigste Nachrichtenfrau von TV3, Hilary Barry, ausgestattet mit einem zwanghaften Hang zur Lustigkeit, schüttete allabendlich Gülle über Oracle aus.
Erst als es 8:8 stand, setzte sie ihr kriegserprobtes Krisengesicht auf und zog die Möglichkeit einer weiteren Niederlage und der daraus resultierenden totalen Pleite in Erwägung – ohne allerdings am Ende der Übertragung nicht doch noch ein Altherrenwitzchen zu reißen. Schließlich war nur ein kleines Wunder nötig, um „The Auld Mug“ nach Hause zu bringen. Ja, wirklich, sie sagte „nach Hause“. Als hätte Neuseeland – wie der Name schon (nicht) sagt - den America’s Cup erfunden!
Der erste Verkehrsstau in Kerikeri seit 1814
Bevor die Nation dann gestern Morgen kurz vor neun in tiefe Trauer versank, machten Arbeiter, Angestellte und Schüler blau – die Rennen begannen jeden Morgen um 8.15 Uhr Ortszeit in Neuseeland. Die Produktivität sank gegen Null. Das Städtchen Kerikeri im hohen Norden meldete den ersten Verkehrsstau seit seiner Gründung 1814, weil nach einer morgendlichen TV-Übertragung unter der Woche alle Leute zur selben Zeit in ihre Autos sprangen.
Die Kiwi-Rettungsstation im Westküsten-Ort Franz Josef taufte in einem Akt der ultimativen Unterstützung das erste geschlüpfte Küken der Saison Barker, nach Dean Barker, dem Skipper des Team NZ, dem der neunte Sieg zur Eroberung der Trophäe ständig aus den Händen glitt – am grausamsten vor einer Woche, als die Neuseeländer Oracle um mehr als einen Kilometer abgehängt hatten, aber mangels Wind das 40-Minuten-Zeitlimit überschritten. Ein anderes Duell war, als die Kiwis weit vorne lagen, wegen zu starken Windes mittendrin abgebrochen worden. Lausiges Pech.
„Deano, rette unseren Tag!“, bettelte die Sunday Star Times, bevor die beiden Rennen jenes Tages abgesagt wurden, weil der Wind aus der falschen Richtung wehte. „Dean, tu‘ es für uns!“
Neuseeland hätte mal wieder ein anbetungswürdiges Idol gebraucht, denn im Winter der südlichen Hemisphäre ist nicht viel geboten außer Klub-Rugby, und ein Land mit nur 4,5 Millionen Einwohnern kann nicht jeden Tag sportliche Triumphe feiern, mit denen es seine notorischen Selbstzweifel temporär zu verscheuchen pflegt.
Das freundliche Gesicht eines Millionärssports
Für diese Heldenrolle wäre Dean Barker wie geschaffen gewesen. Gutaussehend, warmes, freundliches Lächeln, liebenswert, zurückhaltend, ruhig und bescheiden, schöne, erfolgreiche Frau (die ehemalige Hockey-Nationalspielerin Mandy Smith), vier hübsche Kinder.
Da ist es unerheblich, dass der 41-jährige Steuermann das Gesicht eines Millionärssports ist. Die Neuseeländer pflegen den Mythos, dass hinter dem USA-Rivalen Oracle ein verabscheuungswürdiger Multimilliardär steht, der mit Geld nur so um sich wirft und Legionäre um sich sammelt, während das volksnahe Team NZ auf rund 100 Sponsoren angewiesen ist, inklusive der eigenen Regierung, die 22 Millionen Euro Steuergelder dazugebuttert hat. Letzteres fanden und finden viele Bürger pervers, trotz des grassierenden Cup-Fiebers.
Auch Dean Barker ist kein armer Mann. Er ist der Sohn eines Multimillionärs, der mit einer Männerbekleidungskette zu Reichtum gekommen ist, und Direktor einer Firma, die Bootsbauer berät und beliefert. Er war schon 2000, als das Team NZ den America’s Cup in Auckland erfolgreich verteidigte, an Bord. Skipper Russell Coutts, erst zu Alinghi, dann zu Oracle übergelaufen und vom Mentor zum Erzrivalen mutiert, überließ ihm im letzten Rennen das Steuer.
Es war, als rasten ein Porsche und ein VW Käfer um die Wette
2003 und 2007 verloren die Kiwis 0:5 und 2:5 gegen Alinghi, und Kritiker warfen Barker vor, unter Druck die Nerven zu verlieren. Glaubt man dem nun amtsmüden Team-NZ-Chef Grant Dalton, war jetzt das Gegenteil der Fall. Barker bliebe ruhig, wenn alle anderen hibbelig würden, versicherte er.
Zumindest im finalen Rennen machte der Skipper keinen Fehler – und doch hatte das handbetriebene neuseeländische Boot nach der zweiten Wendemarke nicht den Hauch einer Chance gegen den hochtechnisierten Oracle-Katamaran, der tragischerweise in Neuseeland gebaut und nach den Auftaktpleiten um- und aufgerüstet worden war. Larry Ellison macht’s möglich. Da der australische Oracle-Steuermann Jimmy Spithill bei den ersten Lehrstunden bei Barker abgeguckt hatte, wie man so einen fliegenden Kahn steuert, war es, als rasten ein Porsche und ein VW Käfer um die Wette.
Und so schrieb Dean Barker beim unglaublichsten Comeback in 162 Jahren America’s Cup selbst Geschichte, auf die er gern verzichtet hätte: Er ist der erste Skipper, der acht Matchbälle vergeben hat – ganz einfach, weil er das langsamere Boot steuerte. Der 1,92-Meter-Riese wurde vom rotbackigen Prinzen mit den blauen Augen zum weinenden Ritter von der traurigen Gestalt, und die Nation heult mit.