11.12. Box-Weltmeister

Der Heimvorteil krönt Joseph Parker zum Champion

Johns Herz schlägt im Doppeltakt. Er liebt Samoa, das er mit 20 Jahren verließ, und Neuseeland, wo er seit 53 Jahren lebt. Der Mann mit dem grauen Henriquatre-Bart trägt das blaue Shirt der Manu Samoa, der Rugby-Nationalmannschaft des südpazifischen Inselstaates. „Rugby oder Boxen, Hauptsache Samoa“, sagt der Rentner, der mit seinem Outfit seine Unterstützung für Joseph Parker demonstriert, dessen Eltern Sala und Dempsey denselben Weg gegangen sind wie einst er und ein besseres Leben im Land der Kiwis gefunden haben.

Doch als der Zwölf-Runden-Kampf des 24-jährigen Neuseeländers um die Schwergewichtskrone des Weltverbandes WBO gegen den Mexikaner Andy Ruiz vorüber ist und die beiden Boxer zum letzten Mal in ihre Ecken zurückgehen, springt John, der schon unzählige Faustkämpfe gesehen hat und jeden Helfer in Parkers Camp kennt, von seinem Sitz auf und schlägt die Hände vors Gesicht. „Das war nichts, welch ein Jammer!“, sagt er und strebt noch vor der Urteilsverkündung dem Ausgang entgegen.

Auch Sailele Tuila’epa Malielegaoi, dem mit einem Ula Fala, einer langen Kette aus rot lackierten Pandanus-Früchten, behängten Regierungschef Samoas, und den anderen VIPs in der Vector Arena in Auckland steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben.

Wenn er Glück hatte, hat John das Urteil noch gehört und den Aufschrei, der durch die beiden Nationen schallte: Joseph Parker ist neuer Weltmeister, der erste in Neuseeland geborene Schwergewichts-Champion, denn der erste Kiwi, der das Kunststück vor 119 Jahren vollbrachte, Bob Fitzsimmons, war ein eingebürgerter britischer Einwanderer.

Die Titelvereinigung ist das Ziel

Er besetzt den Thron, der nach dem Rücktritt des wegen Drogen- und psychischer Probleme kampfunfähigen Briten Tyson Fury, der vor einem Jahr den Ukrainer Wladimir Klitschko stürzte, und jubelte nach dem seltsamen und nicht einmal einstimmigen Urteil: „Mein Traum ist wahr geworden, aber dies ist nur der Anfang. Wir wollen die Schwergewichtsklasse beherrschen und die Titel vereinigen, das ist unser Ziel.“

Zunächst aber ist da dieses kontroverse Urteil, das lediglich ein Experte rundum verdammte. Der Präsident der neuseeländischen Profibox-Vereinigung (NZPBA), Lance Revill, wetterte am Morgen danach: „Ich schäme mich, ein Kiwi zu sein. Ich bin ein großer Freund von Joseph Parker, aber er hat diesen Kampf nicht gewonnen. Ruiz hat ihn auseinandergenommen. Ich habe 118:111 für Ruiz gewertet, er wurde betrogen. Hier stinkt etwas gewaltig.“

Promoter-Methusalem Bob Arum, Gründer von Ruiz‘ Boxstall Top Rank, wischte die Kritik vom Tisch und behauptete, das Urteil sei in Ordnung: „Es war ein enger Kampf, und auf meiner Karte ging er Unentschieden aus.“ Schon vor dem Duell hatte Arum einen Vertrag mit Parkers Management abgeschlossen und angekündigt, er wolle Parker in den USA groß rausbringen.

"Auch Punktrichter sind nur Menschen"

Es war ein klassischer Fall von Heimvorteil, für den Parkers Promoter Duco Events hart gefochten und letztlich mit finanzieller Unterstützung der Regierung Samoas erreicht hatte. Ein Punktrichter, Salven Lagumbay von den Philippinen, wertete den Fight Unentschieden (114:114), zwei, der Deutsche Ingo Barrabas und der Argentinier Ramón Cerdan, sahen den in nunmehr 22 Auftritten unbesiegten Parker 115:113 vorne. Das heißt, in ihren Augen dominierte der Lokalmatador sieben Runden und Ruiz lediglich fünf.

Die Fairfax-Medien räumten einen Irrtum immerhin ein und führten als Hauptgrund die von den mehr als 10.000 Zuschauern aufgeheizte Atmosphäre an. Die Fans bejubelten jeden Hauch von Schlag, den Parker abgab, so frenetisch, dass das Dach der Arena vibrierte. Das könne auch neutrale Richter beeinflussen, räumte der Reporter ein, „schließlich sind auch sie nur Menschen“.

Es traf genau das ein, was der in seinem 30. Profikampf erstmals besiegte Ruiz schon bei seiner Ankunft in Neuseeland gesagt hatte: „Ich muss mindestens zwei Runden mehr für mich entscheiden als in den USA, um diesen Kampf zu gewinnen.“ Dennoch hatte er gedacht, genug getan zu haben, „aber die Punktrichter waren nicht auf meiner Seite“. Da half auch sein auf dem Hosenbund manifestierter Glaube an den lieben Gott („Gott gibt es wirklich“) nicht viel.

Mexikaner marschiert, Parker im Rückwärtsgang

In der Tat marschierte der in Kalifornien lebende Mexikaner, der trotz eines enormen Gewichtsverlusts mit 116 Kilo auf 1,88 Meter Größe noch immer schwabbelig wirkte, aber mit unglaublich schnellen Hände brillierte, unverdrossen nach vorne und entschied die ersten fünf Runden eindeutig für sich. Auch der siebte Durchgang ging an ihn.

Nachdem sich der meistens im Rückwärtsgang agierende Parker, der mit seiner linken Führhand oft nur in der Luft herumstocherte und die gefürchtete Rechte zu wenig einsetzte, gefangen hatte, mochte man ihm in den folgenden Runden Vorteile einräumen. Aber die letzten beiden Durchgänge gestaltete er allenfalls Unentschieden.

Dennoch war er nach dem Schlussgong optimistisch, den Weltmeistergürtel umgebunden zu bekommen. „Nach den ersten Runden habe ich auf die Anweisungen gehört und meine Jabs gut eingesetzt“, sagte er. „Als das Urteil verlesen wurde, habe ich bloß auf meinen Trainer gehört, und der sagte, wir haben genug getan.“ Coach Kevin Barry, der vor 16 Jahren schon David Tua auf den WM-Kampf gegen den Briten Lennox Lewis vorbereitet hatte, fand: „Joe hat Ruiz verprügelt.“ Eher nicht.

Beide müssen sich noch verbessern, um mit den Großen mitzuhalten

Ob der 27-jährige Mexikaner eine Revanche erhält, bleibt abzuwarten. Zunächst benötigt Parker, der innerhalb von drei Jahren 15 Mal im Ring stand, eine kleine Ruhepause, um dann im März oder April seinen Titel zu verteidigen. Als Gegner ist der Brite Hughie Fury, Cousin des zurückgetretenen Champions, im Gespräch.

Die angestrebte Titelvereinigung der diversen Weltverbände hält Trainer-Legende Abel Sánchez, der Andy Ruiz kampffit trimmte, für verfrüht: „Beide müssen sich noch verbessern, um das Niveau von [IBF-Weltmeister] Anthony Joshua oder Wladimir Klitschko zu erreichen.“ Erst recht, wenn sie fern der Heimat antreten. Andy Ruiz kann ein Lied davon singen.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)