17.06. Lions-Tour
Alle 12 Jahre Invasion einer freundlichen roten Armee
Nicht nur dick vermummte Menschen betreiben in Neuseeland Wintersport. Wenn im Süden Schnee und im Norden eisiger Regen vom Himmel fällt, rangeln, rollen und rennen muskelbepackte Männer rigoros durch Matsch und Wasserpfützen – denn Rugby ist am anderen Ende der Welt offiziell ein Wintersport, so wie Riesenslalom und Rodeln.
Die Cricket-Profis, die ihre lederumhüllten Korkkugeln nur bei schönem Wetter abfeuern können, brechen zu Tourneen in die Nördliche Hemisphäre auf und überlassen die Rasenplätze den robusten Recken mit den Stiernacken und Blumenkohlohren.
Und der Unbilden des Wetters zum Trotz fällt alle zwölf Jahre um die Jahresmitte, wenn es ungemütlich wird, ein warmer Geldregen auf das Land der Kiwis. Dann nämlich, wenn die „British and Irish Lions“, die vereinigte Rugby-Auswahl der drei britischen Königreichsverbände England, Wales und Schottland sowie Irlands, zu Besuch kommen, begleitet von rund 20.000 Fans.
Die Nebensaison wird zur Hochzeit für den Tourismus
Diese Anhänger, eine freundliche rote Armee in ihren mit dem Logo der vier „Nationen“ bestickten Trikots, füllen nicht nur die Stadien, sondern reisen durch das Land und verwandeln die unwirtliche Nebensaison in eine Hochzeit für den Tourismus.
Während Rugby in Neuseeland Religion ist, gilt es in der Heimat der Lions – obwohl von ausgesprochener Brutalität geprägt - als Sport des Establishments. Entsprechend gesittet benehmen sich die Fans, keine Spur von englischen Hooligans. Vom großen Bierdurst, ihren roten Trikots und den bunten Flaggen ihrer vier Herkunftsländer einmal abgesehen, sind sie ganz normale, friedliebende Touristen, die Neuseeland sehen und erleben wollen.
Mehr als einen Monat dauert die Tournee, die am 3. Juni in Whangarei, im hohen Norden, mit einem Spiel gegen die Barbarians – das ist eine aus Halbprofis bestehende Auswahl der nationalen Liga der Provinz-Teams – begonnen hat und ihre Höhepunkte am 24. Juni, 1. und 8. Juli mit den drei Matches gegen die All Blacks, Neuseelands dreimalige Weltmeister-Mannschaft, erleben wird.
Nur zwei der acht Spiele auf der Südinsel
Dazwischen sind fünf Spiele gegen die fünf Top-Franchisen der Nation, die in der internationalen Superrugby-Liga der Südlichen Hemisphäre dominieren, und gegen die Maori All Blacks eingestreut. Das sortiert die touristischen Aktivitäten und lässt die Branche auf der Südinsel ein bisschen jammern, denn nur zwei der acht Begegnungen finden hier statt, und „nur“ bei den Überflieger-Teams in Christchurch (Crusaders) und Dunedin (Highlanders).
Die heißgeliebten All Blacks treten zwei Mal in Auckland sowie in der Hauptstadt Wellington gegen die Lions an. Und nur in diesen offiziellen Länderspielen, die verwirrenderweise „Tests“ heißen, während die anderen Duelle „Matches“ sind, geht es wirklich ums Prestige. Und hier wird es eng, rein touristisch betrachtet.
Hotels, Motels und Campingplätze in den großen Zentren der Nordinsel sind rund um die Spieltermine ausgebucht. Manche Vermieter, inklusive Airbnb, Bed & Breakfast und Privatpersonen, die ihre Häuser räumen und bei Bekannten unterschlüpfen, verlangen astronomisch hohe Wucherpreise.
Unterkunft in Garageneinfahrten und Gärten
Das macht einen Rugby-Fan so wütend, dass er eine Website ins Leben rief, auf der sich gastfreundliche Kiwis registrieren lassen können, wenn sie den Besuchern aus dem Vereinigten Königreich und Irland gratis Unterkunft anbieten. Ein Angebot, von dem viele Lions-Anhänger Gebrauch machen.
Sogar Garageneinfahrten und Stellplätze im Garten werden an Touristen vermietet, die in Wohnmobilen reisen. Immerhin ist manchmal WC-Benützung im Haus inklusive. Wenn die 2000 gebuchten Wohnmobile auf derselben Straße im Konvoi unterwegs wären, würden sie eine fast 15 Kilometer lange Blechschlange bilden. Bei der Tour 2005 flossen insgesamt 120 Millionen NZ-Dollar ins Land (76 Mio. Euro).
Schon einen Monat, bevor die Lions endlich einflogen und sich beim knappen 13:7-Erfolg gegen die wackeren Barbarians, angesichts ihres Schäfchen-Logos auch „Baabaas“ (Deutsch: Mähmähs) genannt, mächtig blamierten, berichteten die Zeitungen seitenweise über die bevorstehende Tournee.
Ein Hype, geboren aus der Rarität des Ereignisses
Es ist ein Hype, der durch die Rarität des Ereignisses erklärt werden kann. Obwohl es keinen Titel zu gewinnen gibt und lediglich das Ergebnis der Drei-Spiele-Serie gegen die All Blacks wirklich zählt, bezeichnen zahlreiche Rugby-Cracks auf beiden Seiten die Begegnungen als unvergesslich. Oliver Jager aus Christchurch, der für die „Baabaas“ auflief, bezeichnete die Partie als „schönsten Tag meines Lebens“.
Die Tour 2005, bei der die All Blacks die Lions drei Mal vernichtend schlugen, motivierte den damals jungen Spielmacher Dan Carter zu den grandiosesten Auftritten seines Lebens. Der ehemalige All-Blacks-Kapitän Richie McCaw, der sich nach dem WM-Triumph 2015 in den Ruhestand verabschiedete, sagt heute: „Ich war naiv und habe diesen Mordsrummel um die Lions nie verstanden, bevor ich 2005 nicht selbst mittendrin war. Erst da habe ich begriffen, wie wichtig sie für die Spieler, die zu dieser Mannschaft gehören, und für die Fans sind, die mit ihnen reisen.“
Aufgrund dieser überhöhten Bedeutung im Mutterland des Rugby steigt auch der Wert der Tournee in Neuseeland ins Unermessliche. „Ich bin dankbar, dass ich die Chance hatte, gegen die Lions zu spielen“, sagt McCaw. „Es gibt eine Menge wirklich guter All Blacks, die niemals diese Chance hatten.“ Einfach weil sie zur falschen Zeit aktiv waren.
Vater Gatland gegen Sohn Gatland
Eine ganz besondere Konstellation ergab sich in der Auftakt-Partie: Gatland gegen Gatland. Warren Gatland, der neuseeländische Coach der Waliser, ist der Cheftrainer der Lions, sein 22-jähriger Sohn Bryn war im Auftaktmatch Spielmacher der Barbarians und setzte Glanzpunkte, während sich Vater Gatland für den eindimensionalen Hauruck-Stil, den er auch mit Wales praktiziert, rechtfertigen musste.
Allgemeiner Tenor: Mit der als „Warrenball“ abqualifizierten Art des Rugby, abgeleitet vom Begriff „Wrecking Ball“ (Abrissbirne), sind die Lions leicht auszurechnen und nur ein Spielball für die All Blacks. Das Übliche eben seit 1971, als die Briten und Iren die Serie das erste und letzte Mal in Neuseeland gewannen.
Daran ändern auch die Siege (12:10 bzw. 32:10) gegen die Crusaders, Neuseelands beste Vereinsmannschaft, und gestern in Rotorua gegen die nationale Maori-Auswahl (Maori All Blacks) nichts, denn daneben verloren sie gegen die Blues (16:22) in Auckland und gegen die Highlanders (22:23) in Dunedin – und der zweite Anzug passt nicht. Die All Blacks rollten sich hingegen beim 78:0 gegen Samoa gemütlich ein, trotz Rostansatzes.
INFO
Die „British and Irish Lions“, die vereinigte Rugby-Auswahl der britischen Verbände England, Schottland und Wales sowie Irlands, bestreiten seit 1888 Tourneen in der Südlichen Hemisphäre, wobei der Name „Lions“ erst seit 1924 gebräuchlich ist (vorher: England, British Isles). Seit 1930 ist ein Komitee aller Verbände für die Tourneen zuständig.
Die Lions touren alle vier Jahre abwechselnd durch Neuseeland, Australien und Südafrika, das heißt sie besuchen jedes dieser Länder nur alle zwölf Jahre. In Neuseeland waren sie elf Mal und gewannen die Serie gegen die All Blacks nur einmal, nämlich 1971, als sie zwei der drei Länderspiele für sich entschieden. Ihr letzter Besuch in Australien (2013) war von Erfolg gekrönt (2:1), in Südafrika (2009) verloren sie 1:2.
Info 2 (Update)
Es ist dann doch ein bisschen anders gekommen als gedacht, denn die Serie zwischen den All Blacks und den Lions endete unentschieden. Zum Auftakt hatten die All Blacks in Auckland standesgemäß 30:15 gewonnen, dann aber in Wellington völlig überraschend 21:24 verloren. Die entscheidende dritte Partie in Auckland endete dann 15:15, womit auch die Serie unentschieden endete.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)