17.03. Täter und Waffen

Mörderisches Rennen in Rekordzeit

CHRISTCHURCH. Als am späten Samstagvormittag [16.03.] Brenton Harrison Tarrant unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen dem Bezirksgericht in Christchurch vorgeführt wurde, war die Verwunderung groß, dass der mit Handschellen gefesselte 28-jährige Australier am Tag nach den Anschlägen auf zwei Moscheen in der zweitgrößten Stadt Neuseelands der einzige Angeklagte war. Aber die Polizei geht davon aus, dass der rechtsradikale Rassist – auf Englisch: White Supremacist – ein Einzeltäter ist, der im Alleingang innerhalb von weniger als 20 Minuten an zwei 6,5 Kilometer entfernten Tatorten 50 muslimische Gläubige beim Freitagsgebet erschossen hat.

Die Ermittler, hieß es, seien dabei zu überprüfen, ob ein zweiter, vor der Papanui High School festgenommener Mann in direkter Verbindung zu Tarrant stehe. Zwei weitere Personen – ein Mann und eine Frau -, die am Freitagnachmittag ebenfalls in Gewahrsam genommen worden waren, sind wieder auf freiem Fuß; der Mann, ein Neuseeländer, hat angekündigt, die Behörden auf Schmerzensgeld zu verklagen.

Es sieht in der Tat so aus, als hätte der vor Gericht in eine unförmige, sackähnliche wollweiße Kutte gehüllte mutmaßliche Massenmörder in seinem Versuch, möglichst viele muslimische Migranten und Flüchtlinge umzubringen, ein neunminütiges Rekordrennen hingelegt.

Bei normalem Verkehr benötigt man für die Strecke von der Al-Nur-Moschee in der Deans Avenue an der Westseite des Hagley Parks, wo Tarrant um 13:40 Uhr die ersten Schüsse abgab und um 13:46 Uhr wieder losfuhr, auf der Nordroute durch die Bealey Avenue zu der Moschee im Stadtteil Linwood plus/minus 15 Minuten, weil man nur selten eine grüne Welle an den zahlreichen Ampeln vorbei erwischt.

Fahrt dank Livestream-Aufnahmen rekonstruiert

Dass er durch diese Straßen fuhr, weiß man von dem mit einer Helmkamera aufgenommenen und auf Facebook verbreiteten Livestream, der um 13:49 Uhr am östlichen Ende der Bealey Avenue, an der Kreuzung mit der Fitzgerald Avenue abbrach. Von dort ist es bis zur Moschee in der Linwood Avenue, wo der Killer um 13:55 Uhr eintraf, nur noch ein Katzensprung.

Um 14:16 Uhr rammte ein Polizeifahrzeug Tarrants goldfarbenen Subaru von der Broughham Street, der großen Ost/West-Tangente südlich des Stadtzentrums, und zerrte ihn aus dem mit zwei Autobomben bestückten Kombi. Die Jagd auf den Massenmörder war zu Ende, 36 Minuten nach dem ersten Schuss in der Al-Nur-Moschee, in der 42 Menschen starben; die Leiche einer Person wurde erst gefunden, als die anderen Toten abtransportiert wurden. Sieben Personen kamen in der Moschee in Linwood ums Leben. Ein Opfer erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus.

Wie so etwas in Neuseeland überhaupt möglich war und warum er auf keiner Liste der Gefährder stand, auch nicht in seinem Heimatland, war Inhalt vieler Diskussionen. Ebenso die Tatsache, wie einfach es offenbar für ihn war, sich ein Waffenarsenal von fünf modifizierten halbautomatischen Sturmgewehren und 30er-Magazinen zu beschaffen.

Das ist in Australien höchst schwierig, da jede Waffe mit Seriennummer registriert sein muss und Waffenscheininhaber einen rigorosen Test bestehen müssen. Nach dem Amoklauf von Port Arthur im April 1996, wo Martin Bryant 35 Menschen umbrachte, wurde dort das Waffengesetz innerhalb von zwölf Tagen entsprechend geändert.

Bislang war die Waffenlobby immer stärker als die Regierung

In Neuseeland kann man solch eine Waffe und die Magazine legal erwerben, es ist lediglich verboten, die Magazine in der Waffe zu benutzen. Deshalb hat Premierministerin Jacinda Ardern angekündigt, das Waffengesetz auch hier zu verschärfen und halbautomatische Waffen zu verbieten. „Niemand braucht solche Waffen“, sagte sie.

In der Vergangenheit waren entsprechende die Gesetzesvorlagen nach dem Protest von Lobbygruppen mehrmals im Mülleimer gelandet, ehe ernsthaft darüber debattiert wurde. Angesichts des nun drohenden Verbots fand am Wochenende ein regelrechter Run auf die Fachgeschäfte statt, halbautomatische Sturmgewehre flogen bei den Panikkäufen förmlich aus den Regalen.

Der in der 400 Kilometer südlich von Christchurch liegenden Stadt Dunedin wohnende Tarrant, in dessen Haus die Polizei „interessante Objekte“ fand, frönte seiner Leidenschaft im Bruce Rifle Club. Laut dem ehemaligen Soldaten Pete Breidahl ist dieser Klub „der perfekte Nährboden“ für einen Massenmörder. In der gestrigen Ausgabe der Zeitung „Sunday Star Times“ sagte Breidahl, er habe bei drei Besuchen Gespräche über Massaker gehört, die ihn „tief im Innersten verstörten“. Auch der Name des Amokläufers von Port Arthur sei gefallen.

Das habe ihm derart Angst eingejagt, dass er eine offizielle Meldung bei der Polizei gemacht habe. Dort sei ihm gesagt worden, die Leute im Klub seien „bloß ein Haufen dummer, alter Trottel“ und es bestehe kein Grund zur Sorge. Der Schützenverein wies die Vorwürfe zurück, Vizepräsident Scott Williams sagte laut Zeitungsbericht, die Mitglieder seien „schockiert und fassungslos“ gewesen, als sie von Tarrants Festnahme hörten. Nur Breidahl war nicht überrascht. Seine Überzeugung: Die furchtbaren Ereignisse von Christchurch „hätten verhindert werden können“.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)