05.12. Boxer-Träume

Parkers Hände zu empfindlich zum Windelwechseln

Joseph Parker spielt Klavier, Gitarre und Schlagzeug, aber die Windeln seiner neugeborenen Tochter Elizabeth Ah-Sue Sala hat er noch nicht gewechselt. „Meinen Händen darf nichts passieren, sie sind sehr wichtig“, sagt der Profiboxer, „ich fange nächste Woche damit an.“

Das Mädchen kam zur Welt, während sich der 24-jährige Neuseeländer im Trainingscamp in Las Vegas auf den größten Kampf seines Lebens vorbereitete. Am Samstag [10. Dezember] steigt Parker in seiner Heimatstadt Auckland zum Titelfight des Weltverbandes WBO im Schwergewicht gegen den in den USA lebenden Mexikaner Andy Ruiz in den Ring.

Dieser Thron ist seit dem durch Drogen-, Alkohol- und psychische Probleme bedingten Rückzug des britischen Dreifach-Champions Tyson Fury vakant. Die beiden Linksausleger Parker und Ruiz sind die Nummer eins und drei der Herausforderer-Liste; dazwischen rangiert der vor einem Jahr von Fury besiegte Ex-Champion Wladimir Klitschko.

Ruhig und entspannt wirkt Parker, er ist ein ausgeglichener und freundlicher junger Mann mit einem sympathischen Lächeln im Gesicht. „Ich bin nicht nervös, sondern begeistert“, sagt er, „und ich bin mehr als bereit für diesen Kampf. Wie sagt man doch so schön: Ein glücklicher Fighter ist ein gefährlicher Fighter.“

Der erste ernstzunehmende Schwergewichtler seit David Tua

Seit 2012 ist der ungeschlagene Ozeanien-Champion Profi, 18 seiner 21 Duelle hat er durch K.o. gewonnen. Er ist der erste ernstzunehmende Schwergewichtler aus dem Land der Kiwis, seit der mittlerweile 44 Jahre alte David Tua im November 2000 in Las Vegas gegen Lennox Lewis um die WM-Krone der Verbände WBC, IBF und IBO kämpfte.

Tua verlor damals haushoch nach Punkten, blieb aber dank seines gnadenlosen linken Hakens und der Starkstromfrisur unvergessen. Erst 2013 gab der 1,78 Meter kleine „Tuamanator“ gegen den 2,02 Meter großen Weißrussen Alexander Ustinow sein viertes und letztes Comeback. Seither gehören Joseph Parker die Schlagzeilen am anderen Ende der Welt.

Die Zuversicht, dass er mit dem Weltmeistergürtel aus dem Ring steigen wird, zieht der 1,93 Meter große Modellathlet nicht nur aus dem Heimvorteil in der mit 10.000 Zuschauern gefüllten Vector Arena, sondern aus einer Prophezeiung seines Großvaters: „Er hat meinen ersten Profikampf gesehen, danach ist er leider gestorben. Aber bevor er starb, hat er mir gesagt, dass ich von nun an keinen Kampf mehr verlieren würde bis hin zum WM-Titel. An diese Worte habe ich vor jedem Fight gedacht, und er hatte Recht. Die Tatsache, dass der Kampf hier in Neuseeland stattfindet, steigert dieses Gefühl nur noch. Es ist meine Bestimmung, Weltmeister zu werden.“

Samoas Regierung springt als Sponsor ein

Deshalb fühle er auch keinen Erwartungsdruck oder gar eine Last auf seinen Schultern: „Ich nehme es an. Und es geht ja nicht nur um Neuseeland, sondern auch um Samoa.“ Parkers Eltern Sala und Dempsey – benannt nach dem einstigen Schwergewichtsweltmeister Jack Dempsey – stammen von der kleinen Inselnation im Südpazifik und zogen vor seiner Geburt nach Auckland.

Als sich die neuseeländische Regierung und die Stadt Auckland nach einem Aufschrei der Bevölkerung weigerten, als Sponsoren des Showdowns einzuspringen und eine Stadt in den USA als Austragungsort immer wahrscheinlicher wurde, investierte die Regierung Samoas in den Kampf, um ihn in Neuseeland zu halten. Die Hoffnung ist, dass die Werbespots während der Fernsehübertragung den Tourismus ankurbeln und auf diese Weise das Geld zurück in das arme Land bringen werden. Wer den Fight im Pay-per-view auf Sky Sport anschauen möchte, ist mit 40 Euro dabei.

Auch der 27-jährige Andy Ruiz bemüht magische und himmlische Mächte auf dem Weg zum vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. „Ich sehe es vor meinem geistigen Auge als Kampf um Leben und Tod“, sagte der ungeschlagene nordamerikanische Meister, der ein von einem Fan verehrtes Trikot der All Blacks, Neuseelands Rugby-Nationalteam, trug, am Sonntag nach seiner Ankunft und einer Maori-Begrüßungszeremonie in Auckland.

„Ich würde mein Leben dafür geben, um diesen Gürtel zu bekommen. Es würde für mich und Mexiko alles bedeuten, denn es hat noch nie einen mexikanischen Schwergewichts-Champion gegeben. Wenn mir Gott zur Seite steht, werde ich der erste sein. Dies ist die Chance meines Lebens, und ich habe mir den Arsch dafür aufgerissen.“

Ruiz ist kein Schwabbelkloß mehr

In erster Linie bedeutet dies, dass der in Mexicali auf der Baja California geborene Ruiz mächtig abgenommen hat, auch wenn er noch immer Pausbäckchen und keine Astralfigur hat. Bei seinem Profidebüt 2009 wog er 140 Kilo und bei den meisten seiner 29 Kämpfe (19 K.o.-Siege) um die 125 Kilo. Nun geht er davon aus, dass er gegen Parker 113 Kilo auf die Waage bringen sowie schlag- und ausdauerstark sein wird. [Die Gewichtsangabe korrigierte er am Tag danach auf 105 Kilo.]

Aufgrund seines pummeligen, oft gar schwabbeligen Äußeren wird Ruiz, bei einer Größe von 1,85 Metern acht Zentimeter kleiner als sein Kontrahent und mit geringerer Reichweite ausgestattet, oft unterschätzt - nicht jedoch vom voraussichtlich 111 Kilo schweren Parker, denn die beiden kennen einander, auch wenn die Zeit des gemeinsamen Sparrings drei Jahre her ist und beide Boxer sich seitdem weiterentwickelt haben.

Während für Ruiz die Erfahrung zählt, verfügt Parker über den härteren Punch; beide haben schnelle Hände. Wobei Ruiz' Vater sicher ist, sein Sohn habe die schnellsten Hände der Welt, "schneller als Parker und schneller als Muhammad Ali".

Parker wird seit dreieinhalb Jahren vom selben Trainer (Kevin Barry) betreut; Ruiz‘ hat in Abel Sanchez einen neuen Coach, der zuletzt in anderer Mission unterwegs war und erst drei Tage nach seinem Schützling in Neuseeland eintraf. Zudem ist die Frage, ob Ruiz die Vorteile des Höhentrainings am Big Bear Lake in Kalifornien erhalten kann oder ob ihm die Klima- und Zeitumstellung angesichts der kurzfristigen Anreise zu schaffen machen wird.

Im Gegensatz zu Ruiz könnte Parker mit einem Sieg keine Geschichte schreiben, denn in Bob Fitzsimmons hatte Neuseeland schon einmal einen Schwergewichts-Weltmeister. Das ist allerdings schon 119 Jahre her.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)