25.03. Die Flagge bleibt
Eine persönliche Niederlage für den Premierminister
WELLINGTON. John Key ist Niederlagen nicht gewöhnt. Seit seiner Wahl zum Premierminister Neuseelands 2008 musste er nur höchst selten Rückschläge hinnehmen. Trotz einiger kontroverser Entscheidungen, mehrerer Skandale und aufgedeckter Lügengeschichten ist er dank seiner populistischen, hemdsärmeligen Art und seinem Altherrenhumor auf einer Woge der Sympathie geritten, wie ein John Teflon, an dem nichts haften bleibt.
Bei seiner nahezu im Alleingang initiierten Kampagne, Neuseeland zu einer einzigartigen und weltweit erkennbaren neuen Flagge zu verhelfen, so wie es den Kanadiern 1965 mit dem Ahornblatt gelang, hat sich der Regierungschef aber ganz offenbar verrechnet und seine Popularität überschätzt.
56,6 Prozent der 2,1 Millionen Wähler votierten in der zweiten per Briefwahl durchgeführten Volksabstimmung dafür, die seit 1902 gehisste blaue Flagge mit dem britischen Union Jack im linken oberen Viertel und vier Sternen als Symbol für das Kreuz des Südens im Flugteil zu behalten.
43,2 Prozent sprachen sich für die Alternative aus: ein schwarz-blaues Stoffrechteck mit einem großen diagonal platzierten Silberfarn und dem Kreuz des Südens, das endlich das Wirrwarr um die kaum zu unterscheidende neuseeländische und australische Flagge beendet hätte.
Niederlage nicht so deutlich wie befürchtet
Doch wenigstens fiel die Niederlage nicht so deutlich aus wie befürchtet. In den letzten Umfragen hatten sich noch 61 Prozent der Neuseeländer gegen ein neues Banner ausgesprochen. Key versprach, dass das Thema nicht mehr auf den Tisch zu bringen, „solange ich Premierminister bin“. Die Wahlbeteiligung lag bei außergewöhnlich hohen 67,3 Prozent. Dies ist ein Indiz dafür, wie sehr die Diskussion die 4,6 Millionen Menschen im Land der Kiwis aufgewühlt hatte.
Aber wie kommt solch ein Ergebnis zustande? Ist Neuseeland ein Land der Ewiggestrigen, die ihre Kolonialgeschichte als wirtschaftlich längst vernachlässigtes Anhängsel des Vereinigten Königsreichs verehren und nur vorgeben, fortschrittlich zu sein? Ein Land, dessen Bevölkerung vor Nationalstolz platzt, seine Sportler mit dem unverkennbaren Silberfarn auf schwarzem Grund anfeuert, aber ein kleiner, unerkennbarer Teil des Commonwealth bleiben möchte?
Und wie konnte es dazu kommen, dass sich die sozialdemokratische Labour-Partei als Feind der Erneuerungsprozesses konservativer präsentierte als Keys konservative Nationalpartei?
Die Antwort ist vielschichtig. Da waren erst einmal die Wähler, die alles ablehnen, was Key gut findet, inklusive jener, die eigentlich gerne für die neue Flagge gestimmt hätten, aber es nicht taten, weil sie Key für seine Selbstherrlichkeit, Geldverschwendung und undemokratische Vorgehensweise einen Denkzettel verpassen wollten.
Nicht zugänglich für logische Argumente
Und da waren jene, und nicht zu knapp, die für logische Argumente nicht zugänglich waren oder bestimmte Vorgänge einfach nicht verstanden. Zum Beispiel das Gros der Kriegsheimkehrer und jungen Leute, die jeden Kriegsgedenktag (ANZAC Day) mit solcher Hysterie begehen, als hätten sie selbst gegen den Faschismus gekämpft.
Das Erbe der Veteranen werde mit der Abschaffung der Flagge besudelt, sie hätten für die Flagge gekämpft – nicht etwa für Freiheit und Demokratie. Dabei prangt auf den Kriegsgräbern der neuseeländischen Soldaten in Europa der Farn, nicht der Union Jack.
Andere klagten über die die enormen Kosten für neue Pässe und Führerscheine – als müssten alle sofort ersetzt werden und nicht erst, wenn sie ablaufen. Wieder andere zeterten, man hätte die 15,6 Millionen Euro, die die beiden Referenden kosteten – beim ersten im vergangenen Jahr wurde der Sieger aus fünf Entwürfen gewählt -, für wichtigere Projekte einsetzen sollen.
In erster Linie wurde die dramatische Beschneidung des Gesundheitsetats angeprangert und der Fakt, dass in Neuseeland Menschen an bestimmten Krebsarten sterben, weil die Regierung teure Medikamente, die in anderen Ländern zur Verfügung stehen, nicht finanziere.
Farndesign frisch vom Badetuch
Schließlich gab’s am Ende noch Leute, die fanden, das Farndesign sei dilettantisch und sehe wie ein Badetuch aus. Und wem nichts einfiel, der behauptete, der Silberfarn sei gar nicht das Symbol der Nation.
Die Fronten in der Debatte verhärteten sich nicht nur unter einfachen Bürgern, sondern auch im Parlament. Außer der rechts orientierten Seniorenpartei NZ First war eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für einen Flaggenwechsel, als der Regierungschef das Thema im März 2014 auftischte.
Das begann sich zu ändern, als Key darauf bestand, die Bürger sollten im ersten Referendum über das Design der neuen Flagge entscheiden und erst im zweiten Durchgang, ob sie überhaupt ein neues Banner haben wollten.
"Persönlicher Kreuzzug des Premierministers"
Der Labour-Vorsitzende Andrew Little nannte diesen Vorgang „einen persönlichen Kreuzzug des Premierministers, der das Land gespalten hat“. Durch seine Dauerwerbung für eine „Flagge mit Silberfarn“ beeinflusste er ein Zwölfergremium, in dem kein einziger Designer saß, so sehr, dass es für die Endauswahl der vier besten Vorschläge aus 10.292 Skizzen und Drucken drei Banner mit Silberfarn aussuchte. Zwei davon waren bis auf die Farbe der linken oberen Ecke identisch. Das vierte zeigte ein Koru, ein aufgerolltes Farnblatt.
Um die Proteste zu beschwichtigen, ließ Key in Gutsherrenart einen fünften Entwurf, ein Dreieck, das als „Red Peak“ firmierte, in die Abstimmungspapiere aufnehmen. Trotzdem gewann der Silberfarn, der laut Grünen-Chefin Metiria Turei eine gute Chance hatte, die aktuelle Flagge abzulösen. „Viele Neuseeländer wollten eine neue Flagge“, sagte sie, „aber wegen John Keys ständiger Einmischung in sämtliche Prozesse hatten sie keine echte Wahl.“
Andrew Little meinte: „Auch ich hätte gerne eine neue Flagge, aber wir haben unsere Unterstützung zurückgezogen, als klar wurde, dass es nicht darum ging, was die Neuseeländer wollten, sondern nur darum, was John Key wollte.“
Die Rechnung dafür haben ihm seine Landsleute präsentiert. Das alte Banner bleibt, unerkennbar für den Rest der Welt.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)