26.04. PM als Zopf-Zupfer

Ein Premierminister mit hohem Peinlichkeitsfaktor

Wenn Einwanderer ob der Altherrenwitze und schlüpfrigen, geschmack- und würdelosen Einlagen ihrer Repräsentanten schon lange angewidert aufschreien, klopfen sich die meisten Kiwis noch lachend auf die Schenkel, und die, deren Humor nicht so weit geht, finden die kläglichen Versuche ihrer Repräsentanten, lustig zu sein, zumindest nicht anstößig.

Umso bedenklicher ist es, wenn nun plötzlich fast die ganze Nation das Verhalten von Premierminister John Key verdammt. Der Tenor: Key sei sich ganz offenbar der Würde seines Amtes nicht bewusst und benehme sich wie ein sexistischer Macho. Er habe seine Machtposition schamlos zu mehreren Übergriffen auf eine Frau missbraucht.

"Unangebracht und gruselig"

Selbst Parteigenossinnen Keys, wie die ehemalige Justizministerin Judith Collins, äußerten öffentlich, wie unangebracht und gruselig sie es finden, dass der Regierungschef einer jungen Kellnerin in einem Café in der Nähe seines Herrenhauses in Auckland bei seinen Besuchen regelmäßig am Pferdeschwanz zog.

Obwohl die Kellnerin und ihr Chef Key klarmachten, dass sein Haareziehen unerwünscht war, und seine Ehefrau ihm sagte, er solle „das arme Mädchen in Ruhe lassen“, war erst Schluss damit, als die junge Frau zu ihm sagte, sie werde ihn schlagen, wenn er nicht damit aufhöre. Bei einem seiner nächsten Café-Besuche überreichte er ihr zwei Flaschen Wein und sagte „Sorry“.

Dabei hätte Key gewarnt sein müssen, denn erst vor einem halben Jahr verlor einer der höchsten Regierungsbeamten – Roger Sutton, der Chef der für den Wiederaufbau von Christchurch zuständigen Behörde CERA – seinen Job, weil er eine Mitarbeiterin ungefragt umarmt und ihr gegenüber anzügliche Bemerkungen gemacht hatte.

Der Fisch stinkt vom Kopf

Die Vorsitzende des nationalen Frauenrates, Sue McCabe schrieb in einem offenen Brief an Key, er habe eine Grenze überschritten. „Jetzt sind Ihnen die Augen aufgegangen, wie schnell es zu sexuellen Übergriffen kommen kann“, sagte sie und verlangte, er solle mehr dafür tun, dass dem Sexismus und seinen Auswirkungen in Neuseelands Macho-Gesellschaft Einhalt geboten werde: „Wir betrachten Ihr Handeln nicht als Einzelfall, sondern als Ausdruck dafür, wie sehr Sexismus Bestandteil unserer Kultur ist. Und es beginnt ganz oben.“

Selbst am Rande der Feierlichkeiten zum hundertsten Jahrestag der Landung der australisch-neuseeländischen Streitkräfte in Gallipoli, an dem in Neuseeland der Kriegstrauertag (ANZAC Day) begangen wird, musste der Premierminister vor Ort in der Türkei Interviews zur Pferdeschwanz-Affäre geben.

Trotz des ANZAC-Day-Fiebers in der Heimat sind die Wellen der Entrüstung noch lange nicht abgeebbt. Noch täglich füllen Artikel über das Fehlverhalten Zeitungsseiten, vergeht kaum eine Nachrichtensendung im Fernsehen ohne einen Beitrag über „Ponytail-gate“.

Weglachen funktioniert nicht mehr

Hatte Key in der Vergangenheit seine peinlichen Episoden mit einem Lachen, Kichern oder Gackern vom Tisch gewischt, so war er sich seines inakzeptablen Benehmens diesmal – wenn auch mit reichlich Verspätung – voll bewusst. Seine einzige Entschuldigung: Er wollte einfach nur witzig sein.

Das ist Keys Masche und Dilemma. Ein steinreicher Devisenhändler und so weit von Otto Normalverbraucher entfernt wie Neuseeland vom Mond, versucht er mit seiner Jovialität, aufgesetzt lockeren Sprüchen und peinlichen bis dümmlichen Aktionen – wie zum Beispiel hüftschwingend bei einer Modenschau über den Laufsteg zu wackeln – krampfhaft Volksnähe zu demonstrieren.

Der Regierungschef suggeriert den Leuten, er benehme sich daneben wie sie, mache Fehler wie sie, sei wie sie. Und es hat seit seinem Amtsantritt 2008 prächtig funktioniert. Noch nie hatte Neuseeland einen beliebteren Premierminister, obwohl die Nationalpartei nicht den Kleinen, sondern den Reichen nahesteht, und doch wählen sie ihn in Scharen.

Der 54-jährige Vorsitzende ist der Rockstar der Partei, die nach der Pferdeschwanz-Affäre fürchten muss, ihr Zugpferd könnte seine magische Anziehungskraft verloren haben. Die Erkenntnis: John Key mag zwar sein wie der Durchschnitts-Macho im Land der Kiwis, aber an das Amt eines Premierminister sollten vielleicht doch andere Maßstäbe angelegt werden.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

Die Schmerz- und Toleranzgrenze für peinliche Politiker-Auftritte ist bei echten Neuseeländern – „born and bred“, wie sie es nennen – astronomisch hoch.

Haarfetischist?

Ob sie wüssten, was Trichophilie sei, fragte Winston Peters, der Parteivorsitzende von NZ First. Das sei Haarfetischismus, übersetzte er für jene, die's nicht wussten. Und genau daran leide oder erfreue sich ganz offenbar John Key.

Die Medien hatten nämlich nach "Ponytail-gate" dutzendweise Videos und Fotos hervorgekramt, auf denen Key vornehmlich kleinen Mädchen am Pferdeschwanz gezogen hatte. Der Premierminister also ein Serientäter.

Ob er auf Haare fixiert ist oder nicht, darüber möchte ich lieber nicht spekulieren. In schlimmen Fällen sei jedoch auf den Fall eines Haarfetischisten in Niederbayern verwiesen, der zwei Models die Köpfe scherte und sich sexuell daran erfreute.

Das fand ein Richter gar nicht lustig und verurteilte den Mann zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung, dazu zu einer Therapie in Fachambulanz für Sexualstraftäter und 4000 Euro Schmerzensgeld an die Models. Hier ist der Link zu der Story.

Witziges Video zum Thema:

https://www.youtube.com/watch?v=ihReeJg08ns

Dieses hat nichts mit dieser Geschichte zu tun, aber ich dachte gerade spontan an Tony Abbott, den als dümmsten Regierungschef der Welt gehandelten australischen Premierminister:

https://www.youtube.com/watch?v=c3IaKVmkXuk