05.02. Waitangi-Zirkus

Am Feiertag kein Respekt vor dem Premierminister

CHRISTCHURCH. Eigentlich hat Bill English schon Stress genug. Neuseelands neuer Premierminister wartet auf Donald Trumps Anruf, und nach den Berichten über den verkürzten fernmündlichen Austausch des großmäuligen US-Präsidenten mit Australiens verdattertem Regierungschef Malcolm Turnbull wird kolportiert, Englisch sei jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, dem Herzinfarkt nahe.

Um keine verbalen Backpfeifen zu riskieren, hat sich der neuseeländische Premier mit Aussagen über Trumps Einreiseverbot für Menschen aus sieben muslimisch geprägten Staaten zurückgehalten. Lediglich zu der schüchternen Anmerkung, das sei „nicht die neuseeländische Art“, ließ er sich hinreißen.

Bei der Kommentierung der Vorgänge, die sich jedes Jahr um diese Zeit auf heimischem Boden abspielen, war English hingegen nicht so zimperlich. Er bleibt, wie schon sein vor zwei Monaten zurückgetretener Vorgänger John Key im vergangenen Jahr, den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag, dem Waitangi Day, [am 6. Februar] in Waitangi fern. Der Hauptgrund dafür ist die Weigerung der ortsansässigen Maori des Ngapuhi-Stammes, den Regierungschef am Te Tii Marae – das ist eine der Versammlungsstätten, an denen sich die Maori bei besonderen Anlässen treffen – eine Ansprache halten zu lassen.

Handgreiflichkeiten und Proteste

Da auch Handgreiflichkeiten und Proteste an dem Ort in Northland, wo am 6. Februar 1840 der Vertrag von Waitangi zwischen den Maori und der britischen Kolonialmacht unterzeichnet wurde, üblich sind, hält English sogar die Idee für diskussionswürdig, die offizielle Feier des Nationalfeiertags in Zukunft jedes Jahr in einer anderen Stadt oder Gemeinde abzuhalten. „Neuseeländer erschaudern, wenn sie an Waitangi denken“, sagte English. „Die Organisatoren haben keinen Respekt für das Amt des Premierministers und kochen ihr eigenes Süppchen. Am Waitangi Day geht es aber nicht um die Ngapuhi, sondern um die ganze Nation.“

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, haben die Organisatoren am Te Tii Marae in diesem Jahr von den Fernsehsendern eine Berichterstattungsgebühr von 7.500 Euro verlangt. Da sich diese weigerten, mehr als eine Spende zu zahlen, wurde ihnen auch schon in den Tagen vor dem Feiertag, an denen hochrangige Politiker – inklusive Bill Englisch – an Gesprächen über politische und soziale Themen teilgenommen haben, der Zugang verweigert. Emsige Hände spannten Abdeckplanen, um die Filmarbeiten zu behindern, und versuchten, Journalisten und Kamerateams von der öffentlichen Straße zu vertreiben.

Die Liste der Zwischenfälle an dem historischen Ort ist lang. Selbst Königin Elizabeth II. blieb von Übergriffen nicht verschont. Als die britische Monarchin 1990 zum 150. Jahrestag der Vertragsunterzeichnung ans andere Ende der Welt reiste, warf eine junge Frau ein nasses schwarzes T-Shirt auf die Queen und rief: „Würdige den Vertrag!“

Helen Clark brach 1998 in Tränen aus

Politiker wurden mit Eiern, Golfbällen und Schlamm beworfen. 1998 brach die spätere Premierministerin Helen Clark, damals noch in der Opposition, in Tränen aus, als sie am Sprechen gehindert wurde, weil auf dem Marae nur Männer Reden halten dürfen. Sie und ihr Nachfolger John Key wurden mehrmals tätlich angegriffen.

Ohne ein großes Aufgebot an Polizei und Bodyguards wagt sich niemand mehr nach Waitangi. Und all das, weil die Maori noch immer die massiven Landverluste beklagen, die aus der fehlerhaften englischen Übersetzung des Vertragswerkes resultieren. Deshalb kompensiert das Waitangi-Tribunal die diversen Maori-Stämme auch 177 Jahre nach der Unterzeichnung noch immer für das einst begangene Unrecht.

Heute haben die ersten polynesischen Einwanderer, die seit rund 1000 Jahren in Neuseeland leben, neue Forderungen; an erster Stelle geht es um Sonderrechte am Wasser. Innerhalb der Maori-Bevölkerung – rund 600.000 der 4,6 Millionen Einwohner der Inselnation im Südpazifik – überwiegen die gemäßigten Kräfte. Sie distanzieren sich von den Machenschaften radikaler Minderheiten.

Illegale Aktionen im hohen Norden

Viele dieser illegalen Aktionen finden im hohen Norden statt, wo ein Drittel der Bevölkerung Maori sind. Die einen verkaufen Führerscheine, die anderen nennen sich Maori-Polizei, stellen Strafbefehle aus und kassieren persönlich, und wieder andere verlangen von Touristen Zutrittsgebühren zu öffentlichen Stränden.

Davon und von der neuerlichen Kontroverse mit der Regierung und den Medien distanzieren sich mittlerweile zahlreiche Mitglieder des Ngapuhi-Stammes. „Es ist Habgier und ein Mangel an Grips, um mit dem Rest der Gesellschaft eine freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen“, sagt Pita Paraone, der Ausschussvorsitzende der nationalen Waitangi-Stiftung, „ich schäme mich, ein Nachfahre der Ngapuhi zu sein.“ Weil Waitangi für Uneinigkeit und Skandale steht, während der Rest der Nation friedlich feiert – der Premierminister beispielsweise am Orakei Marae in Auckland - oder einfach in der Sommersonne döst.

INFO

Am 6. Februar 1840 unterzeichneten die Maori mit der britischen Kolonialmacht den Vertrag von Waitangi, dessen Originalversion in der Hauptstadt Wellington aufbewahrt wird. Darin verzichteten rund 500 Häuptlinge auf ihre Unabhängigkeit, weil ihnen die Europäer im Gegenzug unanfechtbare Besitzrechte über ihr Land und ihre Fischfanggebiete garantierten.

Die Maori-Übersetzung weicht aber gravierend von der Interpretation der englischen Version ab. Darin sprechen die Briten nur von der Kontrolle des Landes durch die Maori. Das ist ein gewaltiger Unterschied, denn wenn die Maori das Land nur kontrollieren, muss ihnen die Regierung bei einem eventuellen Verkauf keine Entschädigung zahlen.

Da sich ohnehin niemand an den Vertrag hielt und die britischen Siedler die Maori vertrieben und ihr Land raubten, hat das sogenannte Waitangi-Tribunal den Maori viele Milliarden Euro Entschädigung zugesprochen und riesige Gebiete aus Staatsbesitz übertragen. Der Vorgang ist angesichts ständig neuer Forderungen von Maori-Stämmen bis heute nicht abgeschlossen.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)