08.07. All Blacks in Samoa

Ein historischer Feiertag, der nicht im Kalender steht

CHRISTCHURCH/APIA. Es war ein Traum und ein Albtraum zugleich, dass das Finale der Super-15-Liga eine rein neuseeländische Angelegenheit war, bei der die Highlanders aus Dunedin über die favorisierten Hurricanes aus der Hauptstadt Wellington triumphierten.

Ein Traum, weil niemand wirklich damit gerechnet hatte, nachdem die vermeintlich stärkste Mannschaft, die Crusaders aus Christchurch, zum ersten Mal seit 2001 die Play-Offs der Rugby-Meisterschaft der besten Teams aus Neuseeland, Australien und Südafrika verpasst hatte.

Aber es war ein Albtraum für Nationaltrainer Steve Hansen, der zur historischen Länderspiel-Premiere seiner All Blacks gestern in Samoa gerne aus dem Vollen geschöpft hätte. Denn diese Partie war mehr als ein internationaler Vergleich. Es war ein Spiel der Emotionen und fürs Herz, ein Symbol für die engen Bande zwischen den beiden Ländern und Anerkennung für die Rolle, die Samoa im Rugby-Sport in Neuseeland spielt.

Die Weltmeisterschaft ist wichtiger als die Liebe für den Nachbarn

Aufgrund des Traumfinales im Vereinswettbewerb der drei Topnationen der südlichen Hemisphäre musste Hansen sage und schreibe 18 Spielern seines 41er-Kaders eine Erholungspause gönnen. Denn noch wichtiger als die Demonstration der Liebe für den kleinen Nachbarn im Südpazifik ist die Weltmeisterschaft in England (18. September bis 31. Oktober), wo die All Blacks Titelverteidiger sind.

Letztlich spielte es jedoch keine Rolle. Das Ergebnis, ein relativ bescheidener 25:16-Sieg der All Blacks, sprach für sich. Und dank der Pleite der Crusaders waren die Superstars - Kapitän Richie McCaw und Spielmacher Dan Carter – mit von der Partie.

Schon einige Tage vor der Ankunft der berühmtesten Rugby-Mannschaft der Welt in der Hauptstadt Apia waren die Straßen, Dörfer und Busse auf der Hauptinsel Upolu zur Begrüßung der All Blacks mit Fahnen geschmückt. In den Vorgärten und im Hafenbecken standen lebensgroße Figuren der bekanntesten Spieler, Kokosnüsse waren als Rugby-Eier bemalt.

Willkommensparade in fröhlich-bunten Inselbussen

Am Dienstag wurden die mit Blumen- und Früchteketten behängten All Blacks in den fröhlich-bunten, fensterlosen Inselbussen auf einer Willkommensparade durch die Straßen von Apia chauffiert; sie schüttelten die Hände der von Stolz und Dankbarkeit erfüllten Einheimischen.

Ihr Besuch war das größte Ereignis der Nation seit der Unabhängigkeit im Jahr 1962. Ganz Samoa war auf den Beinen – auch wenn gestern aus Sicherheitsgründen nur 8000 Zuschauer in den 12.000 Besucher fassenden Apia Park eingelassen wurden. Der Rest der Nation – rund 190.000 Menschen – versammelte sich in Partystimmung vor Riesenleinwänden und Fernsehgeräten.

Die Insulaner lieben und leben Rugby. Sie tragen ihr Team, Manu Samoa, auf Händen und verehren die All Blacks. Die Zuneigung für den Weltmeister kommt nicht von ungefähr. Spieler mit Wurzeln in Samoa sind seit langer Zeit fester Bestandteil der neuseeländischen Truppe.

Tana Umaga war 2004 und 2005 sogar Kapitän. Als kürzlich der ehemalige All Black Jerry Collins bei einem Autounfall in Frankreich ums Leben kam, trauerten zwei Nationen. Auch die Familie von Dauerbrenner Keven Mealamu, der in Apia sein 124. Länderspiel bestritt, stammt aus Samoa.

Wanderer zwischen den Kulturen

Mittelfeldspieler Sonny Bill Williams spricht für diese Wanderer zwischen den Kulturen, wenn er sagt: „Ich spiele nicht nur für die All Blacks, sondern auch für Samoa. Ich will auch die Leute in den Samoanischen Gemeinden stolz machen.“ Jerome Kaino ist einer der wenigen Spieler, die in Samoa, allerdings „nebenan“ in Amerikanisch-Samoa, geboren wurden und als Kleinkinder nach Neuseeland kamen.

Die meisten Samoa-All-Blacks sind in Neuseeland aufgewachsen und in Rugby-Akademien zu jenen herausragenden Profis ausgebildet worden, die sie heute sind. Davon profitiert auch der kleine Nachbar: 16 der 30 Spieler von Samoas WM-Kader 2011 kamen in Neuseeland zur Welt. Die meisten dieser Profis stehen bei Klubs in England und Frankreich unter Vertrag. Faialaga Afamasaga war gestern der einzige Akteur, der nicht im Ausland spielt.

Die Südsee-Insulaner sind fester Bestandteil der Gesellschaft Neuseelands, wo rund 135.000 Menschen mit Wurzeln in Samoa leben. Die Anzahl jener, die bereits im Land der Kiwis geboren wurden, ist mittlerweile höher als die der Einwanderer der ersten Generation. Die Millionenstadt Auckland gilt als größte Stadt Samoas; Apia hat lediglich rund 37.000 Einwohner.

Die engen Bande sind geschichtsbedingt

Die engen Bande zwischen den Nationen sind geschichtsbedingt: Nach 15 Jahren als deutsche Kolonie (1899 bis 1914) stand Samoa bis 1962 auf Wunsch der Vereinten Nationen unter neuseeländischer Verwaltung. Nach der Unabhängigkeit wurde das Land der Kiwis von einer Einwanderungswelle überschwemmt. Die Geld- und Warensendungen der Migranten, auch der zweiten Generation, sind fester Bestandteil der Wirtschaft Samoas.

Die gestrige Rugby-Partie war erst das sechste Kräftemessen der beiden Nationalteams in 91 gemeinsamen Länderspiel-Jahren. Angesichts der besonderen Beziehungen ist es eigentlich unfassbar, dass die All Blacks noch nie zuvor in Samoa angetreten waren.

Noch unglaublicher ist, dass die gestrige Begegnung nur dank einer leidenschaftlichen Kampagne des Fernsehmagazins „Campbell live“ und seines Frontmanns John Campbell zustande gekommen ist. Steve Tew, der Generaldirektor der New Zealand Rugby Union (NZRU), wand sich monatelang wie ein Aal, um den Freundschaftsdienst auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben.

Letztlich mussten er und die Trainer sich aber dem öffentlichen Druck beugen. Der moralische Sieg des TV-Mannes hat Samoa einen unvergesslichen Feiertag beschert, der nicht im Kalender stand.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)