06.03. Super Rugby-Chaos
Wettbewerbsverzerrung, Jetlag und Politik
Richie McCaw, der Kapitän der neuseeländischen Weltmeister-Mannschaft, der All Blacks, hat seine Höhenflüge ins Cockpit von Flugzeugen und Hubschraubern verlegt. Der als Weltrugbyspieler des Jahres ausgezeichnete Regisseur Dan Carter versüßt sich die Jahre vor dem Ruhestand mit Millionengagen am anderen Ende der Welt in Paris, und auch drei Akteure, die bei den Crusaders in Christchurch seine Rolle ausgefüllt haben, sind ins Ausland abgewandert. Angesichts dieses dramatischen Exodus lautete die Kardinalsfrage eigentlich, wie der Rekord-Champion der Super-Rugby-Liga der südlichen Hemisphäre ohne all diese Schlüsselfiguren die neue Saison überstehen würde.
Doch auch nach dem Start der neuen Spielrunde wird längst nicht nur übers Sportliche diskutiert. Von Wettbewerbsverzerrung und Chaos ist die Rede, von politischen Ränkespielen mit dem Ziel, Südafrika und seine mächtigen Fernsehbosse zufriedenzustellen. Die Kaprepublik bildet zusammen mit Australien und Neuseeland die SANZAR-Konföderation, die seit 1996 diese Profi-Liga betreibt.
Noch immer ist die Verwirrung groß, wer in der von 15 auf 18 Mannschaften aufgeblasenen Liga überhaupt gegen wen spielt, warum manche Teams drei Mal gegeneinander antreten müssen und gegen andere überhaupt nicht. Auch bleibt rätselhaft, weshalb die schwächelnden Südafrikaner, die im Vorjahr erstmals seit 2003 nicht in der Endrunde vertreten waren, mit der Aufnahme einer sechsten Mannschaft belohnt wurden, während die leistungsstärkeren Verbände Australien und Neuseeland weiterhin mit nur fünf Teams dabei sind.
Belohnung für Lebensmittelmarken-Klub
Der zusätzliche Platz wurde ausgerechnet den finanzschwachen Southern Kings aus Port Elizabeth zugeschustert, die im vergangenen Jahr monatelang keine Spielergehälter bezahlten konnten und stattdessen Lebensmittelmarken aushändigten. Nun garantiert Südafrikas Verband SARU, dass die Kings nicht pleitegehen.
Gewöhnungsbedürftig ist auch der Fakt, dass die mit Nationalspielern gespickten und deshalb vielversprechend gestarteten Jaguares aus Argentinien dazugekommen sind und mit den Sunwolves aus Japan gar eine Franchise der nördlichen Hemisphäre.
Letztere werden zahlreiche Heimspiele nicht in Tokio, sondern in Singapur austragen, als Zugeständnis an die etablierten Gegner der südlichen Meere. „Warum brauchen wir Japan, anstatt die südpazifischen Inseln zu fördern?“, fragt nicht nur der australische Ex-Nationalspieler David Campese. Samoa, Tonga und Fidschi sind das Einzugsgebiet Australiens und Neuseelands; viele ihrer Topspieler oder deren Vorfahren stammen aus diesem Raum. Aber Japan ist 2019 Gastgeber der nächsten Weltmeisterschaft, und in Japan sitzt das Geld.
Für das Privileg, in der Super-Rugby-Liga raue Luft zu schnuppern, müssen die Männer aus dem Land der aufgehenden Sonne rund 80.000 Kilometer herunterreißen. Wie schon der Auftakt gezeigt hat, werden sie nicht viel mehr als Kanonenfutter sein. Ausgerechnet ihr Starspieler Ayumu Goromaru, der beim WM-Coup 2015 gegen Südafrika glänzte und als Nationalheld gefeiert wurde, steht bei den Reds im australischen Sonnenscheinstaat Queensland und nicht bei den Sunwolves unter Vertrag.
18 Teams, fünf Länder, sieben Zeitzonen
Für viele Teams wird nicht der Gegner unüberwindbar werden, sondern der Jetlag. SANZAR setze die Gesundheit der Spieler aufs Spiel, lautet ein berechtigter Vorwurf. Das exzessive Reisen der 18 Teams aus fünf Ländern und sieben Zeitzonen ist jedoch nur einer von vielen Kritikpunkten.
Die Einteilung in regionale Gruppen und Untergruppen („conferences“) ist darauf ausgerichtet, dass mindestens zwei südafrikanische Franchisen die Endrunde der besten Acht erreichen. Jede Mannschaft bestreitet an 17 Spieltagen 15 Spiele: sechs innerhalb ihrer eigenen Gruppe und neun Spiele außerhalb. Das heißt: Es spielt nicht jeder gegen jeden, dafür mehrmals gegen denselben Kontrahenten.
Die Sunwolves und Jaguares wurden den beiden lediglich vier Teams umfassenden Südafrika-Untergruppen zugeordnet, während die Australien- und Neuseeland-Blöcke der Australasien-Gruppe aus jeweils fünf Franchisen bestehen.
Leichte Gruppen für Südafrikaner
Hier beginnt die Wettbewerbsverzerrung. Der unfaire Austragungsmodus, den die Medien Down Under in der Luft zerreißen, tut ein Übriges. So spielen die Südafrikaner sechs Mal innerhalb der eigenen Gruppe, vier Mal gegen Teams der anderen Südafrika-Gruppe und fünf Mal gegen Vertreter aus Australasien – entweder nur gegen Australier oder nur gegen Neuseeländer, und das ändert sich dann in der folgenden Saison.
Die Neuseeländer spielen gegen alle nationalen und transtasmanischen Kontrahenten, das sind fast allesamt hartumkämpfte Spiele, nur vier Mal gegen Südafrikaner und dabei null Mal gegen die Sunwolves.
Die führende Fan-Website SuperXV.com, die auch kein gutes Haar an der Neuordnung lässt, tröstet aufgebrachte Rugby-Anhänger damit, dass die amerikanische Football-Liga NFL mit ihren 32 Mannschaften ähnlich funktioniert und nach vier Jahren immerhin jeder gegen jeden gespielt haben wird. Wenn das Rugby-Volk dann den Durchblick hat, gibt’s einen neuen Modus. Das neue System gilt nämlich nur bis 2020.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)