24.02. Stadtpinguine
Deutsches Paar pflegt Watscheltiere im Vorgarten
CHRISTCHURCH. Die Straße mit den makellosen Villen und manikürten Rasenflächen passt irgendwie so gar nicht nach Sockburn, ein leicht heruntergekommenes, industriell geprägtes Viertel von Christchurch. Gleichzeitig ist der unverhoffte Glanz inmitten des staubigen, grauen Viertels typisch für die größte Stadt der Südinsel Neuseelands. Seit den zerstörerischen Erdbeben 2010 und 2011 sind auf dem stabileren Untergrund westlich des nahezu ausradierten Zentrums in jeder Lücke Bauprojekte erschlossen worden, um für heimatlos gewordene Menschen neue Häuser aus dem Boden zu stampfen.
Zu diesen Leuten gehören auch Kristina Schütt und Thomas Stracke, sie aus Hamburg, er aus Köln und beide langjährige, treue Göttinger, deren Haus in St. Albans nur noch Schrottwert hatte. Mit dem Versicherungserlös baute das deutsche Paar in dieser grünen Oase der Ruhe und Schönheit inmitten der unansehnlichen Gewerbegebietswüste ein ländlich-rustikales, fast romantisch anmutendes Holzhaus.
Noch viel, viel skurriler sind allerdings die Tiere, die hinter dem hohen Bretterzaun durch den Garten watscheln. Pinguine. Ja, wirklich: Pinguine in der Stadt, 17 Kilometer vom Pazifischen Ozean entfernt. Deshalb erhalten sie Zimmerservice in ihren katzensicher abgedeckten Gehegen und –hütten. Es gibt Lachs und Sardinen.
Aber nicht, dass hier jemand denkt, die deutschen Einwanderer, die seit 2002 in Neuseeland leben, seien übergeschnappt und hielten die Pinguine als Haustiere. Die Watscheltiere sind, wie überall auf der Welt, streng geschützt.
Kristina Schütt und Thomas Stracke mit Weißflügelpinguinen.
Kristina Schütt (53) und der Diplombiologe Thomas Stracke (55), die sich einst bei der Fachausbildung für Intensivmedizin an der Göttinger Uniklinik kennenlernten und dort auch beschäftigt waren, leben für das Pflegen. Sie arbeiten auf der Intensivstation des Städtischen Krankenhauses in Christchurch als Fachkrankenpfleger, er in der Neurologie, sie in der Nephrologie – und nie in derselben Schicht, damit sie in ihrer Freizeit schwache, kranke und verletzte Pinguine aufpäppeln können. „Und dass im Falle eines Erdbebens immer einer zu Hause ist“, fügt Kristina Schütt hinzu.
Im Februar 2011, als sich in ihrem Viertel der Untergrund verflüssigte, steckte ein Pinguin im klebrigen Sand fest. Zwölf andere gefiederte Patienten hatten sie zum Glück gerade ausgewildert.
Gelbaugenpinguin in der Mauser.
Pinguin-Pflege bedeutet: sie füttern, baden und abspritzen, ihnen Medikamente verabreichen, Gehege säubern, Fisch besorgen, Pinguinwäsche waschen; die Tiere sitzen auf Handtüchern, Camping- und rutschfesten Matten, um Geschwüre an den Füßen zu verhindern, die sich beim Stehen auf Beton entwickeln.
Um diese Jahreszeit – Sommer am anderen Ende der Welt – werden meistens Küken eingeliefert, und die befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Mauser. Lena, ein großer Gelbaugenpinguin, hat nur noch am oberen Rücken braune Daunen, der übrige Rücken ist schwarz und der Bauch weiß. Diese Spezies ist einzelgängerisch, entsprechend scheu drängt sich Lena unter einen Vorbau eines Hasenstalls neben einem Baumfarn.
Die in Gruppen lebenden putzigen Weißflügelpinguine (Eudyptula albosignata) – das ist eine Unterart der Zwergpinguine (Eudyptula minor), die aufgrund ihrer blau-schwarzen Gefiederfarbe auf Englisch auch „Little Blues“ genannt werden – preschen hingegen aus ihrem Unterschlupf, wenn sich jemand nähert. Es könnte ja sein, es gibt Futter.
Die meisten sind nach jenen Personen benannt, die sie abgeliefert haben, so wie Lena, Anna oder der humpelnde Joe, dessen linkes Bein amputiert werden musste. Vermutlich hat ihn ein Seebär gebissen und dabei das Gelenk zerschmettert. Mohawk heißt so, weil er nach nahezu überstandenem Gefiederwechsel nur noch auf dem Kopf eine Irokesenfrisur aus weichen Daunen trägt. Der zerzauste kleine Feger namens Überraschungsei wurde erst einige Tage nach seinem Bruder entdeckt, weil jeder dachte, die Eltern hätten nur ein Ei ausgebrütet.
Das Ziel der Pflege ist immer, die Pinguine dort wieder auszuwildern, wo sie gefunden oder aus den Nestern genommen worden sind, meistens auf der Banks-Halbinsel vor den Toren der Stadt. Das geschieht, sobald die Mauser vorüber und das Gefieder wieder wasserfest ist und wenn die Tiere - bei Zwergpinguinen ein Kilo – ein gesundes Gewicht auf die Waage bringen.
Joe, der in freier Natur keine Überlebenschance hätte, wird in die Pinguingruppe im Internationalen Antarktis-Zentrum, einer Touristen-Attraktion in Christchurch, integriert. Deshalb ist er schon im Pflegegarten in Quarantäne, während das gesunde Trio als WG in einem eigenen Häuschen wohnt.
Zwar versorgen Kristina Schütt und Thomas Stracke die Pinguine erst seit vier Jahren ehrenamtlich, aber die Liebe für die flugunfähigen Vögel haben sie schon während einer Neuseeland-Reise vor 20 Jahren entdeckt. Von da an verbrachten sie ihre Jahresurlaube in Südafrika und eigneten sich bei ihren freiwilligen Einsätzen bei Sanccob, einer Stiftung zur Rettung von See- und Watvögeln, all das Wissen an, mit dem sie jetzt in Christchurch glänzen. Mitten in ihrem gut getarnten Paradies am meerfernen Ende der Stadt.