18.05. Touristenfallen

Gute Nacht im Flughafen-Obdachlosenheim

Von Sissi Stein-Abel

CHRISTCHURCH. Es war ein allabendliches Schauspiel: Die Sonne ging unter und eine Völkerwanderung setzte ein. Junge Rucksacktouristen in Christchurch strömten in Richtung Flughafen und verwandelten ihn in ein Obdachlosenheim.

Zwischen März 2011 und Februar 2012 nutzten durchschnittlich 82 Personen die Abflug- und Ankunftshallen in der zweitgrößten Stadt Neuseelands täglich als Ruhestätte, zwischen November 2012 und April 2013 waren es 72. In den jeweiligen Rekordnächten tummelten sich 262 bzw. 200 müde Besucher auf den Teppichböden und Bänken des Flughafens, an dem es keine Transitflüge gibt und der um Mitternacht den Betrieb einstellt.

„Manche Leute haben hier sieben Nächte hintereinander geschlafen, um Übernachtungskosten zu sparen“, sagt Airport-Direktor Jim Boult. „Flugbegleiter mussten wie in einem Dritte-Welt-Land über ausgestreckte Körper steigen, um zum Ausgang zu kommen. Wenn sich die Backpacker gestört fühlten, pöbelten sie unser Personal an.“

Flughafen kein Beherbergungsbetrieb

Damit ist nun Schluss. Das Flughafengebäude ist seit kurzem von Mitternacht bis 5 Uhr früh geschlossen. Seither kauern die Rucksackreisenden trotz des nahenden Winters an zugigen Bushaltestellen, manche etwas komfortabler in Wartehäuschen oder unter Treppenaufgängen, wie echte Penner.

Aber Boult bleibt ungerührt. „Wir sind kein Beherbergungsbetrieb“, sagt er. „Wir schicken die Leute nicht in die Kälte hinaus. Wir geben ihnen Listen mit Übernachtungsmöglichkeiten. Es ist ihre Entscheidung, wenn sie im Freien schlafen.“

(Update Ende Mai 2013: Mittlerweile dürfen Touristen am Flughafen übernachten, die nachweisen können, dass sie auf einen extrem frühen Abflug warten.)

"Sind Überfälle auf Touristen unser neuer Nationalsport?"

Es ist nicht das Schlimmste, was Urlaubern am anderen Ende der Welt passieren kann. „Sind Überfälle auf Touristen unser neuer Nationalsport?“, lautete eine Frage im Forum des neuseeländischen Internet-Auktionshauses TradeMe.

Eine Website namens „Emigrate to New Zealand“ (www.e2nz.org) erweitert regelmäßig eine erschreckend lange Liste von Verbrechen gegen Urlauber, die glauben, alle Menschen im Land der Kiwis seien so harmlos wie die flugunfähigen Vögel.

Als Premierminister John Key im vergangenen Monat auf Staatsbesuch in China war, thematisierte sein Amtskollege die Sicherheit von Neuseeland-Besuchern, denn im März war ein Paar aus dem Reich der Mitte am helllichten Nachmittag im Botanischen Garten in Hamilton mit einem Messer bedroht und ausgeraubt worden.

Während die Deutschen unter den jährlich 2,5 Millionen Gästen noch immer das meiste Geld ausgeben, weil sie durchschnittlich 42 Tage im Land bleiben, ist China der Markt mit der höchsten Wachstumsrate. „Neuseeland ist sehr viel sicherer als viele andere Länder“, antwortete Key ausweichend.

"Das gefährlichste Reiseziel der Welt"

Oder auch nicht, wenn es nach Bob Jones geht. Der zum Sir geadelte superreiche Immobilienmogul und ehemalige Boxer holte in seiner Kolumne im New Zealand Herald zum Rundumschlag aus und dröhnte: „Gemessen an seiner Einwohnerzahl (4,4 Millionen; Anm. d. Red.) ist Neuseeland das gefährlichste Reiseziel der Welt.“ Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

Erst an Neujahr wurde in Waihi Beach ein 64 Jahre alter, in Australien lebender, Neuseeländer auf Heimaturlaub erstochen. Vor ziemlich genau einem Jahr wurde eine tschechische Tramperin auf der Südinsel entführt, vergewaltigt und ermordet – genau wie im September 2005 im Westen der Nordinsel die Dresdnerin Birgit B.

Großes Entsetzen löste der sexuelle Missbrauch eines fünfjährigen belgischen Mädchens an Weihnachten 2011 auf einem Campingplatz in Turangi aus. 2007 und 2009 mussten holländische Männer im hohen Norden (Haruru Falls) und tiefen Süden (Tuatapere) mitansehen, wie ihre Frauen in den jeweiligen Wohnmobilen vergewaltigt wurden, und hinterher wurden alle auch noch ausgeraubt. 2003 köpften Neonazis einen jungen Koreaner an der Westküste der Südinsel und verscharrten ihn.

Fahrzeugaufbrüche und -diebstähle an der Tagesordnung

Fahrzeugaufbrüche und –diebstähle sind an der Tagesordnung. Dabei sind Urlauber die häufigsten Opfer, weil viele in Wohnmobilen reisen, in denen sie notgedrungen alle ihre Wertsachen aufbewahren, und Mietwagen am WOF-Aufkleber (der neuseeländischen TÜV-Plakette) in der Mitte oben auf der Windschutzscheibe leicht zu erkennen sind.

In einer von der Naturschutzbehörde DOC in Auftrag gegebenen Studie ist herauszulesen, dass man sein Fahrzeug in der Gegend um Taupo im Zentrum der Nordinsel und dort besonders im Tongariro-Nationalpark in der Hochsaison zwischen 12 und 18 Uhr nicht guten Gewissens parken kann. Warum? Weil die Leute wandern gehen und stundenlang weg sind.

Rund um Rotorua, dank seiner geothermischen Wunder der meistbesuchte Touristenort der Nation, werden viele Parkplätze von Freiwilligen patroulliert, damit der Ruf der Stadt nicht ruiniert wird.

Die Region Northland/Bay of Islands – aufgrund des hohen Maori-Bevölkerungsanteils ebenfalls von sozialen Problemen geplagt – ist ein weiteres heißes Pflaster für Urlauber. In den zurückliegenden Wochen gab es dort drei Überfälle auf ausländische Touristen.

Räuber folgen den beliebtesten Touristenrouten

Auf der Südinsel folgen die Räuber den beliebtesten Touristenrouten. Spitzenreiter ist die Durchgangsstrecke über den Haast-Pass von Wanaka zu den Gletschern der Westküste mit ihren vielen Kurzwanderungen zu Wasserfällen und farbenprächtigen Pools.

Die wenigsten Urlauber nehmen die Warnschilder an Parkplätzen („Lock it or lose it“) wirklich ernst, weil die atemberaubende Szenerie, die Einsamkeit, die endlose Weite und die Freundlichkeit der Menschen außerhalb der Großstädte ihre Sinne trüben. „Touristen sind naiv und unterschätzen das Ausmaß des Problems massiv“, schließt die DOC-Studie.

Martin Snedden, der Direktor des nationalen Tourismusverbands, redet im Gegensatz zum Regierungschef nicht um den heißen Brei herum. „Die Verbrechen an Touristen sind bedenklich“, sagt er. „Sie haben das Potenzial, unseren Märkten in Übersee großen Schaden zuzufügen.“

Für Bob Jones bleibt da nur die eine Frage: „Was passiert, wenn ausländische Journalisten diese Vorfälle aufgreifen und eine große Geschichte daraus machen?“ Längst geschehen, Mister Jones!