11.02. Cricket-Skurrilität

Der Coach macht Urlaub in der heißen Phase

Stell dir vor, die Fußball-Weltmeisterschaft steht vor der Tür und Jogi Löw verabschiedet sich mitten in einer völlig verkorksten Länderspiel-Serie in die Ferien. Unmöglich? Nicht in Neuseeland, und nicht im Cricket, das hierzulande populärer ist als Fußball.

Da hatten die Black Caps – das ist der Spitzname der Nationalmannschaft – gerade das achte Spiel in Folge verloren, und Coach Gary Stead wurde nicht beurlaubt, sondern in Erholungsurlaub geschickt. Stead habe die Auszeit nicht von sich aus genommen, vielmehr habe der Verband die Maßnahme aufgrund seiner Fürsorgepflicht ergriffen, um einen Burnout des Trainers zu verhindern, erklärte David White, der Geschäftsführer des nationalen Verbandes Cricket NZ.

Stead habe die bereits vor einem halben Jahr beschlossene Pause nur höchst widerwillig akzeptiert – und der Verband war ganz offensichtlich nicht flexibel genug, um den Plan angesichts der blamablen Vorstellungen in Australien (drei Pleiten) und gegen Indien zu modifizieren. Die Folge war ein PR-Desaster, zumal just zu diesem Zeitpunkt auch noch Kapitän Kane Williamson, der als verlängerter Arm des Trainers die Entscheidungen auf dem Platz trifft, verletzt ausfiel.

Kaum war der Trainer weg, endete die Niederlagen-Serie

Das Lustige daran: Kaum war Stead weg, beendete Neuseeland seine Niederlagen-Serie gegen die Inder. Mit dem 48-jährigen Stead am Spielfeldrand hatten die Black Caps alle fünf Partien der T20-Serie – das ist die auf jeweils 20 Overs (120 Bälle/Würfe) begrenzte Kurzvariante des Crickets – verloren. Unter Co-Trainer Shane Jurgensen, einem 43-jährigen Australier, gewannen sie alle drei Ein-Tages-Duelle (jeweils 50 Overs = 300 Bälle/Würfe) gegen den Weltranglisten-Zweiten.

So positiv die Stimmung angesichts der sportlichen Wende auch war, aber für die Absenz des Trainers hatte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, niemand wirklich Verständnis. „Wäre Steve Hansen nach einer Niederlage gegen die Lions [britisch/irische Auswahl; d. Red.] in Urlaub gegangen?“, fragte der frühere Kapitän Jeremy Coney, der einen Vergleich mit den Rugby-Stars der All Blacks und deren früherem Trainer wählte und kritisierte, dass Stead ging, „als er die Gelegenheit hatte, das Blatt zu wenden, einige Dinge zu ändern und diesen fürchterlichen Lauf zu beenden“. Coney: „Der Cheftrainer sollte da sein, um den Wechsel von einem Format auf das andere und die personellen Änderungen zu managen.“

Die Spekulationen, dass Stead nach der Pleitenserie seinen Rücktritt angeboten und der Verband ihn gebeten haben könnte, in aller Ruhe darüber nachzudenken, wies David White weit von sich. Stattdessen zählte er die außergewöhnliche Belastung von Cricket-Trainern auf, die oft monatelang unterwegs seien; ein Fakt, der zum Ende der Ehe von Steads Vorgänger Mike Hesson und dessen Rückzug führte.

Der Vorgänger warf das Handtuch wegen Arbeitsüberlastung

„Wir haben unseren letzten Trainer wegen Arbeitsüberlastung verloren“, sagte White, „Gary Stead war in den vergangenen 16 Monaten rund 350 Tage von zu Hause weg. Das müssen wir lenken, andernfalls ist es untragbar.“

Die Tageszeitung The Press errechnete, dass Stead 324 seiner 468 Tage als Nationaltrainer mit dem Team zusammen war – im Ausland und in Neuseeland. Wobei fast sämtliche Lehrgänge und Trainingslager im eigenen Land in Christchurch stattfanden, wo Stead wohnt. Also längst nicht so dramatisch, wie White die Situation beschrieb. Mike Hesson hatte für Maßnahmen in Neuseeland reisen müssen und seine Familie nach Feierabend nicht gesehen.

In der Tat ist Cricket ein außergewöhnlich reiseintensiver Sport. Die Neuseeländer spielten nach der Ein-Tages-Weltmeisterschaft in England (Juni/Juli 2019), wo sie das Finale gegen das Gastgeber-Team nur aufgrund des grausam unfairen Regelwerks verloren, Tourneen in Sri Lanka (August/September), in Australien (Dezember/Januar) und jetzt bis 4. März gegen Indien (fünf T20-Spiele, drei Ein-Tages-Duelle und zwei Fünf-Tage-Matches, sogenannte Test Matches).

Der wichtigste Termin ist die T20-Weltmeisterschaft ab 18. Oktober in Australien. Deshalb, erklärte White, „haben wir die Phase nach den T20-Spielen als idealen Zeitpunkt für eine Pause identifiziert“. Die beiden langen Spiele sind wieder wichtig, weil sie Teil der über zwei Jahre ausgespielten internationalen Weltmeisterschaft, der ICC World Test Championship, sind, die im Juni 2021 mit dem Finale in London endet. Mit welchem Trainer auch immer.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

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