15.12. Peter Snell gestorben
Der größte Athlet, den Neuseeland jemals hatte
CHRISTCHURCH. Seit dem tödlichen Vulkanausbruch vor einer Woche auf White Island, bei dem mindestens 17 Menschen gestorben sind, liegt ein Hauch von Trauer über Neuseeland. Der Schmerz, den die Nachricht vom Tod des legendären Mittelstreckenläufers Peter Snell auslöste, war ein anderer. Er war mit Dankbarkeit und Stolz auf einen trotz seiner grandiosen Erfolge stets bescheidenen, liebenswerten und optimistischen Mann gemischt, der die kleine Inselnation im Südpazifik auf die Weltkarte rannte.
Die Erinnerungen an die Heldentaten des größten Athleten, den Neuseeland jemals hatte und der in seinem Heimatland zum Sportler des 20. Jahrhunderts gewählt wurde, zauberten vielen Leuten ein Lächeln ins Gesicht, obwohl der dreifache Olympiasieger, der seit einem Jahrzehnt Herzprobleme hatte, fünf Tage vor seinem 81. Geburtstag (17. Dezember) gestorben ist.
Nachdem er 1960 in Rom mit einem grandiosen Finish die olympische Goldmedaille über 800 Meter gewonnen hatte, wurde der Mann aus Taranaki – das ist der Ostzipfel der Nordinsel – zum Superstar, dessen Name in einem Atemzug mit Mount-Everest-Erstbesteiger Edmund Hillary genannt wurde. Wenn er seine Rennschuhe schnürte, strömten 30.000 Zuschauer ins Stadion in Auckland, und wenn er in kleineren Städten antrat, übertraf die Zahl der Stadionbesucher jene der Einwohner. Und Snell ist bis zu seinem Tod ein Idol geblieben.
Karriere-Ende mit nur 26 Jahren: "Es gab keine Ziele mehr für mich"
Seinen Weltrekorden von 1962 über die Meile (3:54,4 Minuten) und 1500 Meter (1:44,3 Minuten) ließ er bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio die Triumphe über 800 und 1500 Meter folgen – und beendete seine Karriere ein Jahr später mit nur 26 Jahren. „Es gab keine Ziele mehr für mich und ich spürte absolut keine Motivation mehr in mir“, sagte er vor einigen Jahren bei einem seiner Heimatbesuche. „Heute wäre das anders, mit all dem Geld, das man in der Leichtathletik verdienen kann. Aber ich war ein Amateur.“
1971 zog Snell in die USA und fing mit 34 Jahren noch einmal ganz von vorne an. Er studierte in Oakland (Kalifornien) Sport und Leistung und in Pullman (US-Staat Washington) Sportphysiologie, schloss mit dem Doktortitel ab und arbeitete danach als Wissenschaftler an der Universität von Texas in Dallas. Dort lernte er bei einem Lauf-Event seine zweite Ehefrau Miki kennen, mit der er 36 Jahre verheiratet war, und blieb deshalb in den USA.
Seiner Heimat blieb er jedoch stets verbunden, er kam regelmäßig zu Besuch, so auch vor zwei Jahren, als er in Auckland bei den Weltspielen der Senioren im Tischtennis antrat. Bei einer anderen Gelegenheit überließ er dem Nationalmuseum Te Papa in Wellington seine Goldmedaillen und einen seiner Rennschuhe. „Ich war zu Tränen gerührt, dass sie das von mir haben wollten“, sagte er, wohl wissend, dass er auf diese Weise auch nach seinem Tod weiterleben würde. Snell zählte auch zu den 24 Athleten, die der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF 2012 in seine erste „Hall of Fame“ aufnahm. Außer seiner Frau hinterlässt er zwei Töchter aus erster Ehe.
Der erste der großen und stabiler gebauten neuseeländischen Läufer
Was Peter Snell der Leichtathletik-Welt zeigte, war, dass nicht nur spindeldürre Läufer die Mittelstrecke beherrschen können. Er war der erste der großen, stabiler gebauten Neuseeländer, die unter dem revolutionären Arthur Lydiard, dem Erfinder des Jogging, neben der Tempoarbeit unglaubliche Trainingskilometer abspulten und denen deshalb nie die Puste ausging. Sie konnten ihre Schlussspurts so kraftvoll durchziehen wie Sprinter.
1960 in Rom gewannen Snell und sein Trainingskollege Murray Halberg innerhalb einer Stunde Gold über 800 und 5000 Meter. Es folgte die große neuseeländische Läufergeneration der siebziger Jahre mit John Walker (Olympiasieger 1976 über 1500 m), Dick Quax (Silber 1976 über 5000 m) und Rod Dixon (Vierter 1976 über 5000 m).
Nick Willis, der 2008 Olympia-Silber und 2016 Bronze über 1500 Meter gewann, beschrieb Peter Snells Ausnahmestellung am besten: „Es war immer ein großer Teil meiner Motivation, mich an den Leistungen der großen neuseeländischen Läufer wie John Walker zu messen. Aber es ist mir nie in den Sinn gekommen zu versuchen, besser zu sein als Peter Snell. Ich hatte nie das Gefühl, dass das überhaupt möglich wäre. Er war in Neuseeland der größte Sportler aller Zeiten.“ Und das, obwohl er so schüchtern war, dass er sich nach seinem grandiosen Sieg in Rom nicht traute, eine Ehrenrunde zu laufen.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)