11.03. Starke Männer

Jan Jeuschede oder: Lernen vom Besten der Welt

„Das ist eine einmalige Gelegenheit“, sagt der deutsche Vizemeister von 2017, „das musste ich einfach machen. Auch wenn meine Ersparnisse mit draufgehen, das ist es definitiv wert. Mit so tollen Athleten täglich zusammenzusein und zu trainieren, ist eine unglaubliche Motivation. Es ist ein Umfeld, in dem man sehr gut wachsen kann.“ Jeuschedes Verein, Bayer Leverkusen, hat einen Zuschuss gegeben, aber den größten Teil der Kosten finanzieren die Eltern und Verwandte.

CHRISTCHURCH. In Tom Walshs Haus geht es zu wie in einem Taubenschlag. Starke Männer mit dicken Muskeln gehen ein und aus. Der eine kommt, der andere geht. Gerade waren noch „zwei, drei“ Freunde aus den USA zu Besuch, jetzt haben sich die Kugelstoß-Kollegen Jan Jeuschede aus Köln und Konrad Bukowiecki aus Polen im neuen Domizil des Weltmeisters in der Nähe von Christchurch, der größten Stadt der Südinsel Neuseelands, einquartiert. „Das Haus ist voll“, sagt Walsh, „aber wir haben es gebaut, um Gäste unterzubringen.“

Für Jan Jeuschede, der bis Ende März in Neuseeland und im Anschluss daran bis Mitte April in Australien trainiert, wäre es ohne diese Gastfreundschaft gar nicht möglich, sich am anderen Ende der Welt auf die Leichtathletik-Saison vorzubereiten und vom weltbesten Athleten in seiner Disziplin und dessen Trainer Dale Stevenson zu lernen.

Update:

19,86 Meter: Hausrekord im dritten Wettkampf

Beim Meeting in Auckland am 21. März verbesserte Jan Jeuschede seine persönliche Bestleistung um 24 Zentimeter auf 19,86 Meter. Auch seine Serie konnte sich sehen lassen: Alle Stöße waren deutlich über 19 Meter, ehe der Kölner im fünften Durchgang seinen Hausrekord übertraf, der letzte Versuch war ungültig.

Damit belegte er den vierten Platz hinter dem Polen Bukowiecki, der mit 21,32 Metern überraschend – und überraschend deutlich – Weltmeister Walsh (20,84) besiegte. Dritter wurde Lokalmatador Jacko Gill mit 20,76 Metern. „Es war ein guter Wettkampf, aber ich habe noch keinen richtig erwischt“, sagte Jeuschede, „ich bin zufrieden, aber ich weiß, da ist noch deutlich mehr drin.“ (sis)

Foto links:

Jan Jeuschede (links) und Weltmeister Tom Walsh beim Athletics Street Festival in Christchurch.

Foto (Copyright): Sissi Stein-Abel

Foto links:

Jacko Gill (links) und Tom Walsh bei den neuseeländischen Leichtathletik-Meisterschaften im neuen Stadion von Christchurch, Nga Puna Wai.

Foto (Copyright): Sissi Stein-Abel

Zwei Wettkämpfe hat der 26-jährige Kölner, der in Leverkusen bei Helge Zöllkau trainiert, fast direkt nach dem Flug um die halbe Welt bereits bestritten. Auf eine Weite über 19 Meter hatte der 1,86 Meter große und 128 Kilogramm schwere Mann gehofft, 18,73 und 18,86 Meter sind es geworden. „Nachdem der Reisestress vorbei ist, sollte es in den nächsten Wochen deutlich besser werden“, sagt der Biologe, der nach einem Masters-Abschluss an der Iowa State University in den USA jetzt in Köln Umweltwissenschaften studiert. „Ich hoffe natürlich, dass ich hier ein paar gute Tipps bekommen kann, denn das ist ja der Zweck der ganzen Sache.“

In der Analyse sind sich Jeuschede und das Team Walsh einig: Der deutsche Drehstoßtechniker huscht zu flüchtig durch den Ring, um die Kugel mit voller Wucht abzufeuern. Oder, wie es der 27-jährige Neuseeländer formuliert: „Jan nutzt den hinteren Teil des Rings nicht aus, um den Beschleunigungsweg zu verlängern. Aber er hat wirklich sehr gute Grundlagen. Wenn es ihm gelingt, ein, zwei Dinge zu ändern, kann er viel, viel weiter stoßen.“

Darunter stellt sich Jeuschede, dessen Bestleistung aus dem Vorjahr bei 19,62 Metern steht, „so weit wie möglich über 20 Meter“ vor, um den enormen Rückstand auf Überflieger David Storl (Leipzig; Bestleistung 22,20 Meter) zu verkürzen.

In anderen Sphären

Tom Walsh bewegt sich in anderen Sphären. Nach den 21,01 Metern bei einem Straßenwettkampf im Stadtzentrum steigerte er sich bei den nationalen Meisterschaften im neuen Stadion Nga Puna Wai auf 21,70 Meter. Am 21. März in Auckland strebt der zehnfache neuseeländische Titelträger dann deutlich über 22 Meter an. „Wenn man das nicht bringt, hat man international das Nachsehen“, sagt der Weltmeister, der im vergangenen Jahr mit 22,67 Metern so weit stieß wie 15 Jahre lang keiner mehr.

Der Weltrekord von Randy Barnes (23,12) aus der Hochzeit des Dopings stammt aus dem Jahr 1990. Die Weltmeisterschaften in Doha (28. September bis 6. Oktober) sind der bedeutendste Zwischenstopp auf dem Weg zum großen Ziel, den Olympischen Spielen 2020 in Tokio, wo Walsh nach Bronze in Rio natürlich die Goldmedaille anvisiert.

Bis dahin muss er sich vielleicht sogar wieder im eigenen Land größerer Konkurrenz erwehren. Der ehemalige Jugend- und Junioren-Weltmeister Jacko Gill hat nach fast einem Jahr Pause, verursacht durch eine lebensbedrohende Herzmuskel-entzündung und im Anschluss daran einen Riss des großen Brustmuskels, wieder den Anschluss geschafft. Erst seit drei Monaten kann der 24-jährige Aucklander, dessen Höchstmarke bei 21,01 Metern steht, wieder voll trainieren. Seine Kraftwerte sind meilenweit von seinen einstigen Wahnsinnsleistungen entfernt, und doch hat er mit 20,70 Metern bereits die WM-Norm erfüllt.

Aus der Not macht er eine Tugend und vollzieht einen Stilwandel: schneller statt stärker. „Als Junior war ich sehr schnell, dorthin möchte ich wieder kommen“, sagt der 1,89 Meter große Athlet, der vermehrt Sprünge und Kurzsprints im Training bolzt. „Tom Walsh ist massiv gebaut und stark, aber trotzdem extrem schnell. Ich werde langsamer, wenn ich stark bin.“ Mit den geringeren Gewichten im Kraftraum schrumpft sich Jacko Gill in die Weltklasse zurück: Einst brachte er 131 Kilogramm auf die Waage, jetzt sind es nur noch 122 Kilo. Das Ziel sind 115 Kilo. Ungekrönter König im Kraftraum ist er dann auf jeden Fall nicht mehr.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)