27.02. Deutscher in der Luft
Möglichst wenig Flüge über das Sperrgebiet
Ein einsamer Hubschrauber mitten auf einer riesigen Rasenfläche, eingerahmt von uralten Eichen, Buchen, Ulmen und Kastanien, die vor fast 150 Jahren von den englischen Pionieren gepflanzt wurden, um am anderen Ende der Welt ein Stück Heimat zu schaffen.
Weiße und rote Plastikbänder sperren die Fläche um den still stehenden Helikopter ab, „Restricted Access“ steht darauf. Trotzdem wäre noch Platz für fast siebzig Rugby-Felder im South Hagley Park, dem kleineren Teil des Hagley Parks, dem grünen Zentrum von Christchurch.
Nur wenige Menschen sitzen unter den himmelhohen Bäumen, abgesehen von einigen Männern in Uniform neben einem Zelt. Sie sind das „Incident Command Unit“, das Einsatzkommando, das die Hubschrauberflüge für medizinische Notfälle, hochrangige Politiker, Führungskräfte der Armee und Experten aller Art bei den Rettungs- und Bergungsarbeiten nach dem schweren Erdbeben in der größten Stadt der Südinsel Neuseelands koordiniert.
Ihr Job besteht aus Warten. Warten auf den Einsatz des olivgrünen Transport-Hubschraubers der Streitkräfte und der kleineren rot-gelben Rettungshelikopter. Das Krankenhaus ist gleich über die Straße.
Auch der Pilot des Transport-Hubschraubers wartet. Er heißt Wilhelm Geresbeck und ist als einziger deutscher Soldat im Einsatz, obwohl die Bundesregierung kein Bundeswehr-Personal an den Katastrophenort geschickt hat.
Austausch-Soldat der Bundeswehr
Wilhelm Geresbeck, Austausch-Soldat der Bundeswehr beim Einsatz in Christchurch.
Das ist möglich, weil der 45-jährige Hauptmann im Rahmen eines Austauschprogramms der Heere der beiden Länder – zusammen mit einem zweiten Deutschen – im Juni 2009 für drei Jahre nach Neuseeland kam. Dort ist der gebürtige Dachauer am größten Luftwaffenstützpunkt der Nation in Ohakea in der Nähe von Palmerston North auf der Nordinsel stationiert. Vor dem Auslandsengagement war der Heeresflughafen Niederstetten – südlich von Würzburg – Geresbecks Dienstort, und er wohnte in Röttingen im Taubertal.Obwohl er schon seit 1988 Bundeswehr-Hubschrauber fliegt, hat der freundliche Bayer erst einen Katastrophen-Einsatz hinter sich: die Oder-Flut 1997. Das Desaster in Christchurch ist sein erster Erdbeben-Einsatz. „Es ist wirklich schlimm, wenn man’s live sieht – und schockierend, wenn man weiß, dass Leute noch verschüttet sind.“Aus diesem Grund fliegt der Transport-Hubschrauber so wenig wie möglich über das Sperrgebiet des Stadtzentrums rund um die eingestürzte Kathedrale, und der Landeplatz im South Hagley Park ist rund eineinhalb Kilometer entfernt.
Zwar wurden seit Mittwoch um 15 Uhr Ortszeit keine Überlebenden mehr aus den Schuttbergen gezogen, sondern mehr und mehr Tote (derzeit 147), aber trotzdem werden Lärm und Vibrationen vermieden. „Wenn wir fliegen, hört die Bodensuchtruppe die Rufe und Klopfzeichen von Verschütteten nicht“, sagt Geresbeck. „Außerdem ist alles instabil, und zudem spielt sich die Suche am Boden ab.“
Versorgungsflüge und VIP-Flüge
Neben Versorgungsflügen stehen vornehmlich VIP-Flüge auf dem Programm. Mal ist’s Regierungschef John Key, mal Verteidigungsminister Wayne Mapp, dann Zivilschutzminister John Carter. Ein weiterer Schwerpunkt sind Schadensbewertungen aus der Vogelperspektive. „Da fliegen wir Ingenieure durch die Luft, damit die beurteilen können, wo welche Maßnahmen ergriffen werden müssen“, erzählt Geresbeck.Diese Touren sind in den Küstenvororten im Osten der größten Stadt der Südinsel von größter Bedeutung, denn dort haben wohlhabende Leute spektakuläre Villen nahe an die Kante der senkrechten Klippen gebaut.
In Redcliffs ist eine Klippenfront komplett abgebrochen, einige Häuser baumeln in luftiger Höhe. Auf Meereshöhe haben die riesigen Felsmassen direkt hinter der Schule, auf Häusern und einer seit Jahren abgesperrten, weil einsturzgefährdeten Höhle eingeschlagen. Am Mt. Pleasant und auf der anderen Seite der Port Hills in Lyttelton, dem Epizentrum des Bebens, befürchten die Experten Felslawinen aus den Höhenlagen entlang der Kammstraße. Deshalb wurden in allen Orten einige Straßen evakuiert, um nicht noch mehr Tote zu riskieren.
Jeden Abend geht’s zurück nach Burnham, den größten Truppenstützpunkt der Südinsel, 30 Kilometer südwestlich der City. „Dort sind wir weit weg vom Geschehen und stören niemanden“, sagt Wilhelm Geresbeck. Außerdem gibt’s dort Strom und Wasser. Ein Luxus, von dem die meisten Menschen in der Stadt nur träumen können. Aber auch ein Luxus, auf den der Bundeswehr-Soldat gerne verzichten würde, im Tausch gegen ein einziges kleines Wunder.