08.08. Die Milchkrise

Mit dem weißen Gold in die roten Zahlen

Neuseelands Milchbauern stehen unter Schock. Die Ankündigung des Milchriesen Fonterra, seinen Genossenschaftsbetrieben dieses Jahr angesichts fallender Weltmarktpreise nur 3,85 NZ-Dollar (2,32 Euro) für ein Kilo Milchfeststoffe auszuzahlen, ließ zahlreiche Wirtschaftsexperten von einem schwarzen Tag für die ganze Nation sprechen. 5,70 NZ-Dollar (3,44 Euro) wären nötig, um die Gewinnzone zu erreichen.

Angesichts der unvermeidlichen Schuldenlast stellt Fonterra, das 89 Prozent der in Neuseeland produzierten Milch verarbeitet, den Farmern auf zwei Jahre befristete zinslose Darlehen mit einem Gesamtvolumen von 314 Millionen NZ-Dollar (190 Millionen Euro) zur Verfügung. Dennoch werden einige Unternehmen bankrottgehen und verkaufen müssen. Der Trend ist ohnehin klar: In ein paar Jahren werden immer weniger, dafür viel reichere Farmer und Konsortien noch größere Herden halten. Es ist damit zu rechnen, dass sich die Zahl der Milchbauern - 1999 noch 14.400, 2008 nur noch rund 11.000 - bis 2020 halbieren wird.

Es ist der vorläufige Höhepunkt der Krise am anderen Ende der Welt, wo Farmer und Regierung gleichermaßen dachten, mit immer größeren Mengen des billigen Primärprodukts – nämlich Milch- und Molkenpulver - würden Exportvolumen, Steuereinnahmen und Bruttosozialprodukt bis in alle Ewigkeit wachsen.

Der Traum vom ewigen Wachstum

In der Region Canterbury setzte die der Farmlobby nahestehende konservative Nationalregierung unter Premierminister John Key sogar den demokratisch gewählten Regionalrat ab und Regierungskommissäre ein, um die Bewässerung und die damit einhergehende Verseuchung der trockenen Landschaften mit Dünger und Gülle problemloser durchsetzen zu können. In dieser Region werden für die Produktion eines Liters Milch 250 Liter Wasser benötigt.

Die Aussicht auf Reichtum, angetrieben durch ständig neue Rekordauszahlungen, ließ in den vergangenen Jahren im Land der Schafe immer mehr Farmer auf Milchwirtschaft umstellen. Der Preis für ein Kilo Milchfeststoffe stieg von 4,05 NZ-Dollar (2,45 Euro) im Januar 2007 bis April 2011 auf 7,95 NZ-Dollar (4,80 Euro), um danach wieder leicht zu fallen. Für 2014 war ein Allzeithoch von 8,40 NZ-Dollar (5,07 Euro) Grund zur Euphorie.

Die scheinbar unersättliche Nachfrage aus China, das 2013 Australien als größten Exportmarkt ablöste, und Indien hatten die Preise für Kuhmilch mehrere Jahre lang in astronomische Höhe schnellen lassen, so dass sich viele Milchbauern plötzlich eine goldene Nase verdienten. 2013 machte die Ausfuhr von Milchpulver sagenhafte 40 Prozent der Außenhandelsbilanz aus.

Nun verdienen die Farmer innerhalb von nur zwei Jahren rund drei Milliarden NZ-Dollar weniger. Das ist natürlich auch ein Rückschlag für die Wirtschaft des Landes mit seinen lediglich 4,6 Millionen Einwohnern.

Kurzsichtige statt zukunftsorientierte Planung

Als Ursache für den jetzigen Preissturz nannte Fonterra-Manager Theo Spierings „die Finanzkrise in China, die Sanktionen gegen Russland und die Unruhe im Nahen Osten“. Renommierte Wirtschaftskommentatoren hatten schon jahrelang darauf hingewiesen, die sinkende Nachfrage aus China und die Aufhebung der Milchquote in Europa würden Fonterra schwer treffen.

Sie hatten dem größten Milch- und Molkenpulver-Exporteur der Welt nahegelegt, zukunftsorientiert auf höherwertige Milchprodukte wie Säuglingsnahrung umzusteuern und mit auf diese Weise weniger Milch mehr Gewinn zu machen. Die Warnungen verhallten angesichts des Höhenflugs ungehört.

Zahlen belegen den Milchrausch eindrucksvoll. Die Zahl der Kühe ist seit 1991 (3,4 Millionen) über 5,3 Millionen (2008) auf 6,7 Millionen (Juni 2014) geschnellt – 1,5 Kühe pro Neuseeländer. Und das, obwohl die Regionen Waikato und Hawkes Bay in den vergangenen Jahren mehrere Dürrezeiten durchmachen mussten und die Farmer ihre Tiere schlachten oder verkaufen mussten. Ein Übel, das sich angesichts des Klimawandels nur noch verschlimmern wird.

Nur noch 38 Millionen Schafe - 1993 waren's noch 70 Millionen

Während sich also immer mehr Rindviecher gegenseitig auf die Hufe treten und mit ihrem Methangas-Ausstoß und den Güllemengen massive Umweltprobleme verursachen, ist die Zahl der Schafe dramatisch gesunken. Im Juni 2015 lag sie bei 29,8 Millionen – rund sieben pro Einwohner - und erreichte den tiefsten Stand seit 1943. Im Jahr 1993 waren es 70 Millionen, 2008 nur noch 38 Millionen. Und immer weniger Farmer sind bereit, sich mit dem Zusammensammeln und der Schur der weit verstreuten Herden abzumühen, während die Weltmarktpreise für Wolle und Lammfleisch sinken.

Vor diesem Hintergrund war die Verlockung, mit dem weißen Gold aus den roten Zahlen zu kommen, noch größer. So manch einer betet nun, dass bislang jedem Tief irgendwann ein Hoch gefolgt ist und man die Krise aussitzen müsse. Auch Fonterra-Chef Spierings. „Der Preis wird wieder anziehen“, macht der Holländer sich und den deprimierten, auch depressiven Farmern Mut, „aber es kann sechs bis zwölf Monate dauern.“ Letztlich weiß jedoch auch der Holländer nicht, wie es weitergeht.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)