Einseitiges Finale

Triumph der "Aussies" für den toten Kameraden

MELBOURNE. Als Michael Clarke vorzeitig vom Platz musste, ausgeschieden nach einem fiesen Wurf des neuseeländischen Bowlers Tim Southee, war es ein Ende, das gleichzeitig ein Anfang war. Das Ende seiner Karriere als Kapitän der australischen Nationalmannschaft im Ein-Tages-Cricket und der Anfang der Jubelfeiern, die den mit 93.000 Zuschauern gefüllten Melbourne Cricket Ground (MCG) in ein Freudenhaus verwandelten.

Denn als der 32-jährige Clarke seinen Schläger weglegte, gab es längst keinen Zweifel mehr am Triumph seines Teams, das mit einem Kantersieg über den kleinen Nachbarn zum fünften Mal Weltmeister wurde. Nur neun Runs (Punkte) fehlten den „Aussies“ zum Triumph, als der Kapitän ging, und das erledigte Schlagmann Steve Smith innerhalb weniger Minuten.

Die Australier gewannen das einseitige Finale mit sieben Wickets, das heißt nur drei ihrer Schlagleute schieden aus, während Neuseeland bereits nach 45 der 50 möglichen Overs (1 Over = 6 Würfe) zehn Schlagleute verloren und lediglich 183 Runs vorgelegt hatte.

Der Weltmeister benötigte lediglich 33 Overs, um diese Marke zu überbieten, und Clarke selbst lief noch einmal zu großer Form auf, erzielte 74 Runs aus 72 Würfen.

"Phil Hughes war immer bei uns"

Doch trotz Siegestaumel, Umarmungsmarathon und Pokalliebkosungen mischten sich Trauer und Melancholie in die Worte des scheidenden Kapitäns. „Wir haben diese Weltmeisterschaft nicht mit 15 Spielern gespielt, sondern mit 16“, sagte Clarke. „Phil Hughes war immer bei uns, und jeder widmet diesen Erfolg Phil Hughes.“

Der Schlagmann war Ende November in einem Regionalvergleich von einem Ball am Kopf getroffen worden und zwei Tage später gestorben. Die tragische, gefährliche Seite dieses Sports.

Auch Neuseelands Black Caps, die vor dem Finale als einzige Mannschaft ungeschlagen waren und in der Gruppenphase auch Australien knapp niedergehalten hatte, hatten gemischte Gefühle.

Dabei dominierte natürlich erst einmal die Enttäuschung darüber, dass sie ausgerechnet im Endspiel dieser mit begeisternden Spielen und Zuschauerrekorden gesegneten Weltmeisterschaft ihre mit Abstand schwächste Leistung hinlegten und ihr märchenhafter Höhenflug mit solch einer krachenden Bruchlandung endete.

Eine vereinte Nation im Meer der Tränen

Die Rugby-Nation lag im Cricket-Fieber, eine riesige Sympathie- und Partywelle schwappte durch das Land. „A Nation United“, titelte die Sonntagszeitung Sunday Star Times auf einem Poster von Kapitän Brendon McCullum vor dem Finale. Eine vereinte Nation, gefangen von der mutigen, erfrischenden und attraktiven Spielweise der Mannschaft, die dann, als es um alles oder nichts ging, dem unbändigen Siegeswillen und der unglaublichen Intensität und Wucht der Australier plötzlich nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

„Wir hatten einen verdammt guten Lauf, aber im Endspiel sind wir auf einen herausragenden Gegner getroffen, der verdient Weltmeister geworden ist“, sagte McCullum. „Es ist ein Jammer, dass wir die letzte Hürde nicht nehmen konnten, aber wir können auf unsere Leistung stolz sein und auch darauf, dass wir den Leuten in Neuseeland und der ganzen Welt mit unserer Art zu spielen so viel Freude bereitet haben.“

Doch so wie auf der Gegenseite Michael Clarke eine der Schlüsselfiguren für den Erfolg war, so war McCullums Nullnummer – so etwas heißt in der Fachsprache „Duck“ (Ente) – der Anfang vom Ende der Hoffnungen der Black Caps.

Mitchell Starc als Schlüsselfigur

Er kam mit den Würfen des gefürchteten Pace Bowlers Mitchell Starc, der als bester Spieler des von Australien und Neuseeland gemeinsam ausgerichteten Turniers ausgezeichnet wurde, überhaupt nicht zurecht. Bereits beim fünften Wurf fiel der Wicket – das sind die hinter dem Schlagmann in den Rasen gerammten Stäbe. Der Fehlstart war perfekt, der Schock enorm. „Daran habe ich tagelang gearbeitet“, sagte Starc nach dem Coup.

Als in der Folge auch noch die Punktegaranten Martin Guptill (15 Runs) und Kane Williamson (12) schon nach zwölf Overs nur noch Zuschauer waren, sah es ganz düster aus. Erst Grant Elliott (83), der Matchwinner des Halbfinal-Thrillers gegen Südafrika, und Ross Taylor (40) ließen wieder auf eine Wende hoffen.

Doch Starc und seine beiden Pace-Bowler-Kollegen Mitchell Johnson und James Faulkner schossen die nachrückenden Schlagleute der Neuseeländer, die drei weitere „Ducks“ produzierten, förmlich ab. Nach dreieinhalb Stunden und 100 Punkte unter den angepeilten 280 Runs war der Spuk vorbei.

Clarkes Abschied in den Ruhestand

Nach dem Wechsel des Schlagrechts gelang es Neuseelands Top-Bowler Trent Boult zwar, den ersten Australier, Aaron Finch, schon mit dem zehnten Ball zu verabschieden, doch es dauerte viel zu lange, bis der zweite Mann, David Warner, gehen musste, und ewig, bis sich Michael Clarke ruhigen Gewissens in den Ruhestand verabschieden konnte.

Es war fast schon langweilig und für die vielen nach Melbourne gereisten Fans geradezu deprimierend, den immer hoffnungsloseren Kampf der Black Caps zu verfolgen – an einem Nachmittag und einem Abend, an dem die Neuseeländer nur die Seitenwahl gewannen und ansonsten das blieben, wofür die Australier im richtigen Leben sie sowieso halten: der kleine Nachbar. Trotz der vorangegangenen großen Taten.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

Text vom 29. März 2015