26.02. Touristen-Jagd

Wie Urlauber die Einheimischen mit Autos ausrotten

Sie füllen die Titelseiten von Zeitungen und sind in den vergangenen Tagen - wieder einmal - die Aufmacher-Themen in Nachrichten- und Magazinsendungen im Fernsehen gewesen.

CHRISTCHURCH. Touristen am Steuer, Ungeheuer! Mit ihrem miserablen fahrerischen Können verursachen sie Unfälle en masse und rotten langsam, aber sicher die Bevölkerung Neuseelands aus. Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man den hitzigen Diskussionen folgt, die derzeit am anderen Ende der Welt wüten.

Es gibt kaum jemanden, der nicht schon hinter chinesischen Touristen und Neubürgern hergefahren ist und sich nicht getraut hat, sie zu überholen, weil sie ständig auf die falsche Spur gerieten. Ein Mann, der vor einer uneinschaubaren Kurve an sechs Fahrzeugen vorbeigerauscht war, behauptete vor Gericht, er habe nicht gewusst, dass man bei doppelt durchgezogenen Linien nicht überholen dürfe!

Schlechte neuseeländische Autofahrer als Oberlehrer

Das wissen selbst Neuseeländer, die von Einwanderern als schlechte Autofahrer gefürchtet sind, weil sie zum Erwerb des Führerscheins keine Fahrschule besuchen müssen, sondern von Mama, Papa, Oma oder Opa lernen, wie man ein Auto bewegt. Vorausschauendes, umsichtiges Fahrverhalten ist deshalb eine seltene Gabe.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass sich so viele Bürger dieser blinkfaulen Nation dazu berufen fühlen, sich als Oberlehrer von Ausländern aufspielen, die das Autofahren tatsächlich gelernt haben. Ausnahmen auf beiden Seiten bestätigen die Regel.

Gerade jetzt, als rund um das Chinesische Neujahr enorm viele Besucher aus dem Reich der Mitte einschwebten, schnellte die Zahl der Anrufe bei der Verkehrspolizei, die unter der Schnellwahl *555 zu erreichen ist, in die Höhe, ganz besonders rund um die Touristenhochburg Queenstown.

Die landesweite Aufregung geht so weit, dass Einheimische in den Regionen Westland und Southland auf der Südinsel Neuseelands zur Selbstjustiz gegriffen und unsicher fahrenden Urlaubern die Autoschlüssel aus den Zündschlössern gezogen haben. Eine Online-Petition, die fordert, Touristen nicht ohne speziellen Eignungstest ans Lenkrad zu lassen, hat innerhalb weniger Wochen 35.000 Unterzeichner gefunden. Es ist eine Kampagne, die der Regierung Magengrimmen bereitet, schließlich spült der Tourismus jährlich fast 16 Milliarden Euro in die Wirtschaft der Nation und stellt neun Prozent des Bruttosozialprodukts dar. Da kann man sich Fremdenfeindlichkeit nicht leisten.

Regelmäßig in den Schlagzeilen

In der Tat sind ausländische Besucher in den vergangenen Monaten – Sommer in Neuseeland und damit Hochsaison – regelmäßig in die Schlagzeilen geraten. Erst in dieser Woche hat das Bezirksgericht in Invercargill den 43-jährigen Deutschen Mario P. zur Zahlung von 13.200 Euro Schmerzensgeld verurteilt, weil er einem anderen Auto die Vorfahrt nahm und bei dem Zusammenstoß am zweiten Weihnachtsfeiertag eine 22-jährige Chinesin ums Leben kam.

Ähnlich war der Unfallhergang, als in der Nähe von Springston, in der Nähe von Christchurch, vor wenigen Tagen eine 54-jährige Frau starb. Verursacher war ein 26-jähriger Deutscher.

Als ein Schweizer an Neujahr in der Region Marlborough, im Nordosten der Südinsel, auf die falsche Straßenseite geriet und frontal in ein entgegenkommendes Fahrzeug prallte, wurden sechs junge Leute aus Blenheim verletzt. Ein chinesischer Urlauber kam ums Leben, als er in Nord-Canterbury in einen Viehtransporter krachte. Die Liste ist nicht endlos, aber lang.

Häufige Touristen-Fehler

Die Ursachen für die fatalen Zusammenstöße sind schnell aufgezählt:

  • Fahrlässigkeit und Müdigkeit, wenn Touristen mit Jetlag nach einem oft 30-stündigen Flug sofort in einen Mietwagen steigen;

  • Sekundenschlaf während langer Fahrten auf schmalen und oft kurvenreichen Landstraßen;

  • Unachtsamkeit und Ablenkung durch grandiose Aus- und Anblicke von malerischen Landschaften und Seebären oder Gebirgspapageien (Keas) am Straßenrand;

  • Umstellungsschwierigkeiten beim Fahren auf der für viele „falschen“, nämlich der linken Straßenseite;

  • unzureichende Beschilderung (oft fehlen Hinweise auf nahende Stop-Stellen, und es gibt keine Vorfahrtsschilder).

  • Und gelegentlich liegt es tätsächlich am katastrophalen fahrerischen Können.

Viele Bewohner behaupteten, sie trauten sich im Auto nicht mehr auf die Straßen. Der chinesische Vizekonsul sah sich zu einer offiziellen Erklärung genötigt, in der er betonte: „Wir verstehen, dass viele Kiwis wütend sind, aber wir tun alles, um das Fahrverhalten unserer Landsleute zu verbessern.“

Trotz allem zeigt die Statistik der nationalen Verkehrsbehörde NZTA, dass ausländische Touristen lediglich 4,5 Prozent aller Autounfälle in Neuseeland verursachen. 3,2 Millionen der 4,5 Millionen Neuseeländer besitzen Führerscheine. Von den 2,85 Millionen Touristen im Jahr 2014 waren 69 Prozent in Mietwagen unterwegs, also fast zwei Millionen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug knapp 21 Tage.

Kiwis verursachen überraschenderweise noch immer 95,5 % aller Unfälle

Die Unfallzahlen (1. Australien, 2. China, 3. Deutschland, 4. Großbritannien, 5. Indien) reflektieren diese Proportionen einigermaßen. Gemessen an den gefahrenen Kilometern sind Urlauber im Schnitt vermutlich sogar an weniger Unfällen beteiligt als Einheimische.

„Es ist einfach, aber unfair, mit dem Finger auf Touristen zu zeigen“, sagt Stuart Smith, der Parlamentsabgeordnete der Region Marlborough. „Viele Leute fahren in einem fremden Land weitaus vorsichtiger als zu Hause, erst recht auf Straßen, die in einem schlechteren Zustand sind als in den meisten anderen Ländern der Welt.“

Viele Neuseeländer werden angesichts des selbstgerechten Gezeters aus allen Wolken fallen, wenn sie erfahren, dass sie selbst noch immer für 95,5 Prozent aller Unfälle verantwortlich sind.