23.04. Tunnelblick

Vandalismus im Paradies - irgendwo in Nirgendwo

GLENORCHY. Das Paradies liegt in Neuseeland. In Glenorchy, am nördlichen Ende des Wakatipu-Sees, wo die Welt eigentlich schon zu Ende ist, weist ein Schild den Weg. 37 Kilometer bis Paradise. Es liegt irgendwo in Nirgendwo.

Die Fahrt auf der schmalen Schotterpiste führt über den Dart River, durch dunkle Südbuchenwälder und Furten. Zu beiden Seiten des Tales ragen die nackten schneegekrönten Bergketten der Südalpen fast senkrecht in den wolkenlosen Himmel. Das perfekte Paradies auf Erden, in dem auch der Fels von Eden und das Tor zum Himmel zu finden sind. Es ist ein Paradies für die 470 Einwohner von Glenorchy, für zivilisationsmüde Menschen und für zähe Wanderer.

Die Straße von der 46 Kilometer entfernten lärmigen Touristenhochburg Queenstown mit ihren Bungy springenden Adrenalin-Junkies ist nur bis kurz hinter Glenorchy asphaltiert, danach beginnt die Wildnis des Mount-Aspiring-Nationalparks, und auf der anderen Seite der Berge glitzern Neuseelands Fjorde.

Weil die Idylle gar so märchenhaft ist, drehte Peter Jackson hier in der Gegend einige Szenen der „Herr der Ringe“-Trilogie, und die UNESCO erklärte die ganze Region Te Wahipounamu (Südwestland) aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Authentizität zum Weltnaturerbe.

37 Kilometer bis Paradise: Straßenschild am Ortsausgang von Glenorchy.

Petition gegen die Genehmigung des Tunnel-Projekts von Milford Dart Limited:

http://www.change.org/petitions/department-of-conservation-new-zealand-decline-permission-to-milford-dart-ltd-to-construct-the-dart-passage-tunnel

Schotterpiste nach Paradise, am Dart River entlang. In den dunklen Wäldern im Hintergrund drehte Peter Jackson Szenen der "Herr der Ringe"-Trilogie. Dort beginnen/enden auch der Routeburn Track und andere berühmte Wanderungen.

Update 26. Oktober 2012

Mittlerweile haben fast 28.000 Personen die Petition gegen den Bau des Tunnels unterzeichnet.

Die Aktionsgruppe arbeitet jetzt mit der Gruppe "Save Fiordland" zusammen, die von Te Anau aus gegen den Bau einer 29,5 Kilometer langen Schwebebahn (monorail) durch unberührte Natur kämpft.

Doch jetzt ist der Friede nachhaltig gestört. Die Gemeinde - und mit ihr weite Teile Neuseelands - ist in hellem Aufruhr, weil ein Unternehmen namens Milford Dart Limited – wie schon einmal vor sieben Jahren – ein Projekt aufgetischt hat, das vorsieht, die Straße von Queenstown durch Glenorchy hinein in die einsamen Wälder in eine Autobahn für Reisebusse zu verwandeln, um eilige Touristen in der halben Zeit zum Milford Sound, Neuseelands berühmtestem Fjord, karren zu können.

Das Konsortium, bestehend aus sechs Direktoren, hat vor, auch die Schotterpiste in Richtung Paradise busgerecht zu verbreitern und zu teeren. Mitten im Urwald wollen sie einen Großparkplatz anlegen und einen 11,3 Kilometer langen Tunnel durch die Berge bohren.

Das Licht der Welt würden die Urlauber erst wieder im Hollyford Valley erblicken, wo derzeit noch uralte Baumriesen die Sicht versperren und vom Aussterben bedrohte Laufvögel wie der Kiwi und der Takehe ungestört durchs Unterholz stapfen. 600 bis 800 Jahre alte Miro-Bäume (Prumnopitys ferruginea) müssten der technischen Betriebsanlage weichen.

„Die Touristen wollen den Tunnel“, erklärte Milford-Dart-Direktor Michael Sleigh einer Kommission in Queenstown, die über die Baugenehmigung entscheiden wird. 128 Busreisende, die derzeit noch rund um die Berge durch den Ort Te Anau chauffiert werden, hätten erzählt, dass sie die Fahrt hin und zurück schön, aber ein bisschen lang fänden.

Daraus schloss er haarscharf, dass dringender Bedarf für die Abkürzung durch den Tunnel besteht, der übrigens direkt über der erdbebenträchtigen Alpinen Verwerfungslinie läge. 800.000 bis eine Million Besucher strömen jedes Jahr zu dem Fjord.

Die Röhre würde aber nicht etwa dem Tourismus im Allgemeinen dienen, sondern dürfte lediglich von den Bussen von Milford Dart Limited befahren werden. Wer im Mietwagen oder eigenen Auto unterwegs ist, müsste weiterhin wenigstens vier Stunden seines Lebens investieren, um die 300 Kilometer von Queenstown zum Milford Sound zu bewältigen.

Die meisten dieser Leute übernachten ohnehin in Te Anau und zockeln dann gemütlich die letzten 121 Kilometer zum Fjord, denn die Fahrt auf der Passstraße ist so spektakulär, dass man ständig anhält, schaut, staunt, fotografiert, wandert. Hier ist der Weg das Ziel – und das Ziel eines der vielen achten Weltwunder, die es heutzutage gibt. Für Schnellreisende, die in sieben Tagen um den Globus düsen, gibt es Flüge ab Queenstown.

Fast so atemberaubend wie das Panorama ist der Sinneswandel der Naturschutzbehörde DOC (Department of Conservation). Noch vor fünf Jahren ein strikter Gegner des Tunnelprojekts, hat DOC nun sein Veto revidiert.

Seit dem Regierungswechsel vor vier Jahren haben es Naturschützer in Neuseeland schwer. Die Nationalpartei von Premierminister John Key fördert alles, was kurzfristig Geld bringt – selbst wenn der Profit eines Unternehmens durch Verluste anderer Betriebe, in diesem Fall aller anderen Busgesellschaften und der Beherbergungsbetriebe in Te Anau – aufgehoben würde. Die Regierung hat das Budget der Naturschutzbehörde drastisch beschnitten. Sie bekam den Auftrag, die Natur „geschäftsorientierter“ zu verwalten. Michael Sleigh sagt, die Angst der Tunnel-Gegner vor dem Verlust des Weltnaturerbe-Stempels sei übertrieben. Vom Verlust ihrer Lebensqualität spricht er nicht.

Die zuständige Ministerin Kate Wilkinson schweigt beharrlich.* Und Ngai Tahu, der geschäftstüchtige größte Maori-Stamm der Südinsel, der sich gerne als Hüter der Natur produziert und Büsche, Bäume und Vögel im Wald segnet, wenn mit einem Projekt kein Geld zu verdienen ist, scheint angesichts der Aussicht auf Touristen-Dollars seine guten Vorsätze zu vergessen. Sir Tipene O’Regan, Kuratoriumsvorsitzender der Ngai-Tahu-Stiftung, ist einer der sechs Milford-Limited-Direktoren. Ein klarer Fall von Tunnelblick.

Copyright (Text und Fotos): Sissi Stein-Abel

* Update 11.05.2012

Die zuständige Ministerin Kate Wilkinson schwieg, bis ihr eine Protestgruppe aus dem kleinen Glenorchy gestern im Rahmen der Tourismus-Konferenz Trenz in Queenstown eine von 4160 Personen unterzeichnete Petition gegen das – wie sie selbst einräumte – „höchst kontroverse“ Projekt überreichte. Die Ministerin sei „sehr freundlich“ gewesen, sagte die Initiatorin der Petition, die aus den Niederlanden stammende Fotografin Patricia Jantien Ko, und habe versprochen, alle Kommentare der Unterzeichner zu lesen.

Die Verdienste dieser Ministerin um Neuseelands Natur und Umwelt werden deutlich, wer unter der Rubrik "Green & Clean New Zealand" im englischsprachigen Teil meiner Website die Geschichte über die Kühe im Lake Ellesmere nachliest.