09.09. Kakapo-Rekord

Ein Jahr der Superlative für flugunfähige Papageien

CHRISTCHURCH. Queenie humpelte mit einem gebrochenen Bein durch die Welt. Kein Problem, das heilte, als die Verletzung der jungen Mutter durch Zufall entdeckt wurde. Bei Esperance sah es wesentlich schlechter aus. Sie wurde mit einem deformierten Schädel und einer daraus resultierenden Gehirnquetschung geboren. Aber für engagierte Chirurgen wie Prof. Brett Gartrell und Dr. Lisa Argilla gibt es erst mal keine hoffnungslosen Fälle. Sie führten an dieser Patientin die weltweit erste Schädeloperation durch – ein Novum, weil Esperance ein Kakapo ist, ein Nacht- oder Eulenpapagei (Strigops habroptilus). Diese vom Aussterben bedrohte Spezies, die nur in Neuseeland vorkommt, ist so selten, dass jedes Küken einen Namen bekommt und nichts unversucht bleibt, um ein Vogelleben zu retten.

Esperance – voller Name: Esperance-1-B-19 – ist das Paradebeispiel dafür. Sie hat sich von dem Eingriff in dem durch Spendengelder finanzierten Wildlife Hospital in Dunedin blendend erholt. Sie hat in ihrem Krankenhaus-Käfig mit anderen Kakapo-Küken getollt und Purzelbäume geschlagen, und mit ihrem Überleben hat sie, da sie jetzt älter als 150 Tage ist und den Status als Jungvogel erreicht hat, mitgeholfen, die Kakapo-Population Neuseelands nach einer Rekordsaison von 142 auf mehr als 200 anwachsen zu lassen.

Wenn alle das kritische Alter überschritten haben, stapfen 214 Exemplare dieser liebreizend dreinblickenden Schwergewichte – Männchen wiegen bis zu vier, Weibchen bis zu zweieinhalb Kilogramm – auf ihren stämmigen Beinen durch die Nacht. Die Kakapos sind nämlich nicht nur die schwersten, sondern auch die einzigen nachtaktiven und flugunfähigen Papageien der Welt.

72 von 86 geschlüpften Küken überlebten

Es war ein Jahr der Superlative für diese seltsamen Vögel, die Schnurrhaare wie eine Katze haben, nach Blumen und Honig riechen und trotz beträchtlicher Flügel nicht fliegen können. 72 der 86 geschlüpften Küken überlebten, das sind zehn Mal so viele wie der Durchschnitt. Wobei man wissen muss, dass die leuchtend moosgrün-gelben Kakapos nur alle paar Jahre brüten, wenn die roten Früchte auf den Rimu-Steineiben reifen. Woher die Vögel wissen, dass solch ein Mastjahr bevorsteht, ist ein Rätsel.

Auf den beiden feindfreien Inseln im tiefen Süden – Codfish Island (Whenua Hou) bei Stewart Island und Anchor Island im Dusky Sound in Fiordland - paarte sich nur ein Weibchen im brutfähigen Alter nicht. Es muss laut zugegangen sein in diesen geschützten und vom Personal der Naturschutzbehörde (Department of Conservation/DoC) streng überwachten Habitaten, wo die Federtiere – einige mit Minisender ausgestattet – Service rund um die Uhr genießen, denn die Männchen balzen zwei, drei Monate lang wie die Weltmeister. Und in diesem Jahr hat sich das kräftezehrende Ritual endlich mal wieder gelohnt.

Aber es war auch ein besonders schwieriges Jahr, denn auf Codfish Island brach im April eine Aspergillosis-Epidemie aus. Diese vom Aspergillus-Pilz ausgelöste Atemwegserkrankung, die nur Tiere mit geschwächtem Immunsystem befällt, kann auf die inneren Organe übergreifen und zum Tod führen.

Atemwegserkrankung rafft sieben Vögel dahin

Aufgrund der geringen genetischen Diversität der winzigen Population sind Infektionskrankheiten stets ein Grund zur Panik, denn sie können die ganze Spezies auslöschen. Deshalb wurden 36 Kakapos mit den geringsten Symptomen – Atemnot, Schleimhautverfärbung, Appetitlosigkeit – per Hubschrauber zur Untersuchung in das Hospital nach Dunedin, den Zoo nach Auckland und die „Wildbase“ der Massey-Universität in Palmerston North geflogen.

Zwei erwachsene Vögel und fünf Küken sind dennoch gestorben, die übrigen infizierten Tiere wurden mehrere Monate medikamentös behandelt und aufgepäppelt. „Wir hatten große Sorge, welche Auswirkungen die Aspergillosis-Epidemie haben würde”, sagt DOC-Rangerin Bronwyn Jeynes, „und es war ein schwerer Schlag ins Kontor, dass es passierte, als viele Küken gerade flügge wurden. Zum Glück haben wir das Problem in den Griff bekommen. Alle infizierten Vögel sind jetzt gesund und auf dem Weg nach Hause.“

Die Verteilung der Population auf mehrere Habitate mindert das Risiko der Extinktion. Während das Programm zur Rettung des Kakapos 1989 auf Codfish Island begann, leben in der Zwischenzeit unter anderem 21 brutfähige Weibchen auf Anchor Island und eine weitere Gruppe auf Little Barrier Island nordöstlich von Auckland, wo sich in dieser Saison nachwuchsmäßig nichts getan hat.

Künstliche Befruchtung mit Sperma von nachwuchslosen Männchen

Auch ist es den Wissenschaftlern um Dr. Andrew Digby gelungen, einige Eier mit dem Sperma von genetisch unterrepräsentierten Männchen zu befruchten, die noch nie Nachwuchs produziert hatten. Darüber hinaus werden die Kakapo-Weibchen animiert, eine zweite oder dritte Brut zu legen, indem ihnen das erste Gelege aus dem Nest genommen wird.

Das ist einfach, weil die Weibchen nachts auf Futtersuche gehen und die Eier stundenlang unbewacht lassen. Die entwendeten Eier werden dann in Inkubatoren ausgebrütet, und die Küken werden in mehreren Brutzentren von Hand großgezogen. Das Dunedin Wildlife Hospital und Andrew Digby posten auf Facebook und Twitter regelmäßig herzerwärmende Videos von den putzigen Küken.

Ohne diese Tricks und den Einsatz des DOC-Personals und unzähliger freiwilliger Helfer, die auf den geschützten Inseln in der Nähe der Nester in Zelten campieren, gäbe es vermutlich längst keine Kakapos mehr. In freier Wildbahn würden die von Menschen eingeführten Säugetiere - Wiesel, Marder, Ratten, Hermeline, verwilderte Hauskatzen – die Nester leerräumen und auch den erwachsenen Kakapos den Garaus machen, denn deren einziger Abwehrmechanismus ist, sich auf ihre vermeintliche Tarnfarbe zu verlassen. Darauf fallen die mittlerweile in Neuseeland lebenden Räuber aber nicht mehr herein.

Umso mehr sind die Kakapos, die 90 oder gar 100 Jahre alt werden können, auf die Hilfe engagierter Menschen wie Lisa Argilla angewiesen. Die gebürtige Südafrikanerin, die weltweit Schlagzeilen machte, als sie sich 2011 um den in Neuseeland gestrandeten Kaiserpinguin Happy Feet kümmerte, macht kein Aufhebens um ihre Wundertaten. „Es ist meine Leidenschaft, mich um verletzte und kranke Tiere zu kümmern“, sagt sie, „dafür lebe ich.“

Links zu Informationen, Fotos und Videos:

https://www.doc.govt.nz/our-work/kakapo-recovery/

https://www.facebook.com/Dunedinwildlifehospital/

https://twitter.com/takapodigs

(Copyright: Sissi Stein-Abel)