28.04. Schweizer Rentner

Rentenklau à la Kiwi - "Das sind Diebe, Kriminelle"

AUCKLAND. Regula und Erich Widmer leben in einem grünen Paradies. Baumfarne, Keulenlilien, Swimmingpool. Zum Strand an der Blockhouse Bay im Westen der Millionenstadt Auckland sind es nur ein paar Minuten, und in die andere Richtung erstrecken sich die Waitakere Ranges mit ihren himmelhohen Kauri-Fichten.

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Foto links: Regula und Erich Widmer (Foto: privat - Copyright!)

Das Schweizer Ehepaar, das vor 38 Jahren mit nur drei Seekoffern in Neuseeland ankam, hat es fern der Heimat gut getroffen. „Es war schön in der Schweiz“, sagt Erich Widmer, „aber man ist limitiert in dem, was man machen darf.“ Aufgrund geringerer Regulierung öffneten sich für den gelernten Elektromonteur im Land der Kiwis beruflich neue Welten. Er reparierte Radios und Maschinen, machte sich selbständig, fräste im eigenen Zahnlabor Implantate und stellte Zahnersatz her. Jetzt ist der gebürtige Frauenfelder, der wie einst im Thurgau in einer Rockband spielt, 66 Jahre alt und Rentner im Unruhestand: Er schnitzt aus grünen Steinen (Greenstone, Neuseeland-Jade), die er an einem Strand aufsammelt, Schmuck und preist bei Heimwerkermessen die Vorzüge dänischer Holzheizungen an. „Ich habe gerne Kontakt mit Leuten“, sagt er.

"Ich habe hier 38 Jahre gearbeitet - und die nehmen uns das Geld weg"

Aber das ist nur die eine Seite der Geschichte. Der Schweizer, einer von 7.000 Eidgenossen in Land der Kiwis, hört auch deshalb nicht zu arbeiten auf, weil er in Neuseeland keinen Cent Rente bekommt. „Das sind Diebe, Kriminelle“, sagt er und meint die Regierung des Inselstaates im Südpazifik, „ich habe hier 38 Jahre lang gearbeitet und Steuern gezahlt, und die nehmen uns das Geld weg.“

Seine Frau Regula, die in der Schweiz als Damenschneiderin arbeitete, in Neuseeland zehn Jahre Brot in einer irischen Bäckerei buk und jetzt Kleidung aus einem Mischgewebe aus Merinowolle und Fuchskusu-Fell strickt, wird es im kommenden November treffen, wenn sie 65 wird.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, wo die Rentenansprüche aus jedem Land addiert werden, zieht Neuseeland nämlich fast alle ausländischen Beitragsrenten, inklusive der Schweizer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), von der Staatsrente – NZ Super genannt - ab und stürzt damit viele Betroffene in Altersarmut und Verzweiflung.

Von wegen jeder, der zehn Jahre in Neuseeland gelebt hat, bekommt Rente!

Und das, obwohl jeder mit 65 Jahren die aus Steuergeldern finanzierte NZ Super bekommt, der nach dem 20. Geburtstag mindestens zehn Jahre in Neuseeland gelebt hat, fünf davon nach dem 50. Geburtstag, unabhängig von Nationalität, Familienstand, Arbeitsjahren oder Vermögen. Millionäre bekommen sie. Leute, die niemals gearbeitet haben, bekommen sie. „Nutzniesser und Schmarotzer kriegen die volle Rente und wir zahlen dafür“, schimpft Widmer, „uns nehmen sie das Geld weg.“

Erich Widmer, der vor seiner Auswanderung in Frauenfeld und Luzern lebte und arbeitete, teilt das Schicksal von mehr als 90.000 Einwanderern und Heimatrückkehrern, die bei der Abgabe ihres Rentenantrags beim Arbeits- und Sozialamt (WINZ) aus allen Wolken fallen, wenn sie erfahren, dass sie möglicherweise keine NZ Super erhalten, selbst wenn sie mit ihren Steuern jahrzehntelang die Renten von Neuseeländern mitfinanziert haben.

Immerhin zählt er zu den Wenigen, die schon vor dem Tag X wussten, was auf ihn zukommen würde. Deshalb zahlte er nach seiner Auswanderung einige Jahre lang in die private Versicherung in der Schweiz ein; solche Renten werden nicht abgezogen.

Die Schweizer Botschaft kämpft für ihre Landsleute

Darauf weist auch die Schweizer Botschaft in Wellington hin und rät Neuankömmlingen dringend, private Vorsorge zu treffen, solange die Proteste von Betroffenen und ausländischer Regierungen gegen den Missbrauch ihrer Beitragsrentensysteme ungehört verhallen.

Durch den Abzug spart Neuseeland jährlich mehr als 250 Millionen Schweizer Franken an den Kosten von NZ Super. Der Betrag ist deutlich höher, weil in der Statistik des Sozialministeriums (MSD) jene Rentner nicht erfasst sind, die keinen Cent NZ Super erhalten, weil ihre Auslandsrente höher ist als NZ Super (850 Franken im Monat).

Viele Schweizer stellen deshalb nicht einmal einen Antrag auf NZ Super. Deshalb tauchten beispielsweise nur 317 Schweizer Renten in der MSD Statistik 2016 auf, während die AHV ungefähr doppelt so viele Renten an Personen mit Wohnsitz in Neuseeland zahlte. Das sparte Neuseeland 766.000 Franken in jenem Jahr – plus mehrere Millionen Franken, weil ja viele Schweizer keinen Cent NZ Super erhielten.

Selbstbedienung des Staates bei Einwanderern und Rückkehrern

Ein Trick in dem seit 1938 mehr oder weniger unveränderten Gesetz zur sozialen Sicherung (Social Security Act) erlaubt diese Selbstbedienung des Staates bei Einwanderern und Kiwis, die nach jahrelanger Arbeit im Ausland in die Heimat zurückkehren. Der Direktabzug (Direct Deduction Policy) ist in Artikel 70 festgehalten.

Ursprünglich sollte das Gesetz lediglich verhindern, dass eine Person zusätzlich zu NZ Super eine zweite steuerfinanzierte Rente aus dem Ausland erhält – was fair und gerecht ist. Doch mittlerweile ist es so formuliert, dass es nahezu alle Beitragsrenten erfasst. Entscheidend ist, ob eine Rente „von der Regierung oder im Auftrag der Regierung“ verwaltet wird. Das trifft auf fast jede Rente der Welt zu.

Es ist völlig unerheblich, dass die Auslandsrenten nur einen Teil des Erwerbslebens abdecken und nicht die NZ Super einer Person auslöschen sollte, die, wie Erich Widmer, mehr als zwei Drittel ihres Erwerbslebens in Neuseeland verbracht und ihren Beitrag zur Gesellschaft geleistet hat.

"Es ist diskriminierend, als Goldesel behandelt zu werden"

„Es ist diskriminierend, als Goldesel behandelt zu werden“, sagt der Frauenfelder, der den Jodelchor in Auckland viereinhalb Jahre leitete und dessen Töchter auch am anderen Ende der Welt Schwyzerdütsch sprechen, „uns die Renten durch den Abzug wegzunehmen, ist Unterschlagung, Betrug, Diebstahl. Wenn einer von uns das macht, kommt er hinter Gitter.“

Der Direktabzug ist jedoch noch nicht das Schlimmste, was einem passieren kann. Wenn ein Neuseeländer eine Beziehung mit einer Person hat, die eine Auslandsrente bezieht, greift die sogenannte Ehegattenversorgung (Spousal Provision).

Obwohl ein neuseeländisches Millionärsehepaar zwei volle NZ-Super-Renten erhält, wird solch ein Paar mit einer Auslandsrente zur „ökonomischen Einheit“. Die eine Beitragsrente wird von der Summe der beiden NZ-Super-Beträge abgezogen.

Das führt im Extremfall dazu, dass solch ein Paar keinen Cent NZ Super bekommt und von der in grauer Vorzeit erworbenen Auslandsrente leben muss, auch wenn einer der Partner sein ganzes Leben in Neuseeland verbracht hat. Die Begründung der Regierung: „Niemand sollte mehr Geld bekommen als ein neuseeländisches Paar, das nicht im Ausland gearbeitet hat.“ Knapp 600 Rentner sind derzeit davon betroffen.

Anhörung vor dem Menschenrechtstribunal in Wellington

Diese Regelung findet auch die nationale Menschenrechtskommission (HRC) verwerflich. Sie ermöglichte es drei Rentnern, das Sozialministerium auf Staatskosten zu verklagen. Die Anhörung vor dem Menschenrechtstribunal in Wellington (Diskriminierung aufgrund des Familienstandes) fand im vergangenen März statt.

Dabei wurde deutlich, dass das Ministerium diese Regelung nur deshalb mit Zähnen und Klauen verteidigt, damit nicht das komplette Rentenabzugssystem zusammenbricht, das dem Staat so viel Geld spart. Aber bis zu einer Entscheidung kann es zwei Jahre dauern.

Die Schweizer Botschaft in Wellington war die erste diplomatische Vertretung, die sich mit dieser Praxis der Staatsbereicherung auf Kosten Einzelner ernsthaft beschäftigte. „Schon drei oder vier Botschafter haben sich mit dem Problem befasst“, sagt der stellvertretende Missionsleiter, Botschaftsrat Jürg Bono.

Botschafter David Vogelsanger, der den Posten seit Ende 2015 bekleidet, hält regelmässig Gespräche mit Vertretern der neuseeländischen Regierung. Nach einer Aufklärungskampagne durch deutsche Lobbyisten sind auch die Diplomaten einiger anderer Nationen aufgewacht und haben begonnen, die Angelegenheit untereinander und mit den Regierungen ihrer Länder zu diskutieren.

Die Schweiz ist einen Schritt weiter als andere Länder

Auch hier ist die Schweiz einen Schritt weiter. Dank der Zusammenarbeit der Botschaft mit Peter Ehrler (Foto links; privat; Copyright!) , dem gewählten Delegierten der Auslandsschweizer-Organisation (ASO) in Neuseeland, und dessen unermüdlicher Lobbyarbeit wurde das Rentenproblem im vergangenen Jahr in den beiden Kammern des Schweizer Parlaments in Bern debattiert, als es um den Automatischen Informationsaustausch (AIA) ging.

Der National- und Ständerat stimmten dem Abkommen am Ende jedoch zu, vielleicht auch, weil sie die menschenrechtliche Dimension des Problems nicht erkannten. Dennoch flogen Anfang April fünf Ständeräte der Aussenpolitischen Kommission (APK) – das erste Mal in 25 Jahren – nach Wellington, um Gespräche mit der neuseeländischen Regierung zu führen.

„Sie sagten, wenn sie damals gewusst hätten, was sie jetzt wissen, hätten sie vielleicht anders abgestimmt“, berichtet Peter Ehrler, ein ehemaliger Flugverkehrsleiter, der in Neuseeland geboren wurde, aber 47 seiner 65 Lebensjahre in der Schweiz (Seewen-Schwyz und Bremgarten/Aargau) verbrachte.

Den Abzug von AHV-Renten verurteilt Ehrler, der selbst keine NZ Super beantragen wird, mit ähnlichen Worten wie Erich Widmer: „Es ist erwirtschaftetes Geld, vergleichbar mit einer privaten Versicherung, das Neuseeland stiehlt. Das ist schlicht und einfach verbrecherisch.“ Ein Sündenfall im Paradies.

INFO

Wer nach zehn oder zwanzig Jahren in Neuseeland in die Schweiz zurückkehrt, bevor er 65 ist, hat nicht nur eine Rentenlücke in der Schweiz, sondern bekommt auch keine Rente (NZ Super) aus Neuseeland.

Um eine auf die in Neuseeland verbrachten Jahre hochgerechnete proportionale NZ Super zu bekommen, muss man bei Antragstellung mit 65 Jahren in Neuseeland leben und zumindest vorgeben, dass man nicht die Absicht hat, in absehbarer Zeit seinen Wohnsitz ins Ausland zu verlegen.

Man muss „ordinarily resident“ sein, das heißt, man muss seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Neuseeland haben, nachzuweisen mit Immobilienbesitz, Steuerpflicht, Konten, Rechnungen, Klubmitgliedschaften etc.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)