Auswanderer-Albtraum

Rückkehr mit 1,39 Dollar

Von Sissi Stein-Abel

CHRISTCHURCH. Vielleicht haben die Schumachers ja nur zuviel fern gesehen. Die Auswanderer-Serien, in denen sich deutschland-müde Familien auf den Weg in neue Welten machten. Die verführerischen Reisereportagen und DVD’s, in denen wollige Schäfchen über hügelige Weiden im menschenarmen Land der langen, weißen Wolke hoppeln. „Ja, durch diese Auswanderer-Geschichten sind wir vor zwei oder zweieinhalb Jahren auf die Idee gekommen, nach Neuseeland zu gehen“, sagt Jochen.

Er sah sehr wohl, dass viele Leute unrealistische Vorstellungen hatten und völlig blauäugig, ohne Sprachkenntnisse und ohne Rückversicherung in Länder gezogen waren, in die sie nie zuvor einen Fuß gesetzt hatten, so wie er Neuseeland nur aus dem Fernsehen kannte.

Um sich gegen böse Überraschungen zu wappnen, surfte Jochen im Internet. „Ich habe alles nachgelesen und im deutschen Forum mitdiskutiert.“ Er nahm Kontakt mit einem auf Einwanderungsfragen spezialisierten deutschen Rechtsanwalt in dem Städtchen Nelson an der Nordküste von Neuseelands Südinsel auf.

Im vergangenen Oktober landete die Familie aus Niedersachsen – außer Jochen (44) noch Ehefrau Andrea (43) sowie die Söhne Daniel (19), Patrick (12) und Tristan (6) in Christchurch, der zweitgrößten Stadt des Landes, und fuhren erwartungsfroh nach Nelson.

Jobverlust der Anfang vom Ende

Jetzt ist der Traum vom Neuanfang am anderen Ende de Welt vorbei. Jochen hat seinen Job verloren. Auto, Möbel, Hausrat, sogar die Kamera sind verscherbelt, die Ersparnisse aufgebraucht. Die Familie hat kein Geld, um neue Visa zu beantragen, nicht mal Geld für den Rückflug nach Deutschland. „Ich habe meinen Kontostand abgefragt“, sagt Jochen und zieht den Ausdruck aus der Hosentasche, „wir haben noch 1,39 Dollar.“

Seit fast einem Monat sind sie wieder in Christchurch, mit dunklen Ringen unter den Augen, die Kinder blass vom neuseeländischen Winter. Die Heilsarmee füttert die Deutschen durch. Die Schumachers haben schon auf dem Campingplatz, im Frauenhaus, beim Christlichen Verein Junger Frauen (YWCA), in einer Kirche, bei der Stadtmission und im Büro der Einwanderer-Anlaufstelle „move2nz“ (http://www.move2nz.com/) geschlafen.

Die letzten beiden zwei Nächte in einem Motel bezahlte ein anonymer Gönner. Heute, Samstag, können sie endlich nach Deutschland zurückfliegen – in eine Heimat, in der nichts und niemand auf sie wartet. Kein Platz zum Schlafen, kein Geld, lediglich die Aussicht, dass Jochen als Malermeister schnell Arbeit findet und es dann wieder aufwärts geht.

Andrea und die drei Söhne halten sich mittlerweile illegal in Neuseeland auf, weil sie nur ein Touristenvisum hatten. Das ist ihr Glück. Sonst wäre nämlich noch immer keine offizielle Stelle für sie zuständig. Die Deutsche Botschaft in der Hauptstadt Wellington und das Auswärtige Amt sowieso nicht. Letzteres wies den Hilferuf, die Flugkosten wenigstens vorzustrecken, zurück mit der Begründung, die Familie sei länger als drei Monate aus Deutschland weg, habe einen festen Wohnsitz im Ausland und Arbeit aufgenommen. Dass der Job weg war und keine Chance auf eine Neuanstellung bestand, weil Neuseeland im Zuge des Rezession plötzlich keine Maler mehr brauchte, spielte keine Rolle.

"Lasst Euch rausschmeißen"

Auf Illegale, so genannte „Overstayers“, reagieren sie im Land der Kiwis in einem Affenzahn. Diesen Tipp gab der Familie ein Mitarbeiter des Raphaelswerks in Hamburg, das seit 1871 Auswanderer, im Ausland lebende Deutsche und Rückkehrer berät und betreut. „Lasst Euch rausschmeißen, sagte der Mann am Telefon“, erzählt Jochen.

Genau das geschieht jetzt – allerdings erst nach Interventionen einer Parlamentarierin. Ein Vollstreckungsbeamter der Einwanderungsbehörde, Immigration NZ, ordnete an, Andrea und die Jungs am Samstag auf Staatskosten zu „beseitigen“ (remove) und „rückzuführen“ (repatriate).

In Jochens Fall waren ihm jedoch die Hände gebunden. Sein Visum läuft noch bis zum 15. Juli. Erst 42 Tage danach wird er zum „Overstayer“. Am Donnerstag war Immigration NZ jedoch zum Kompromiss bereit: Die Behörde bezahlt auch Jochens Flug, so dass er mit seiner Familie nach Deutschland fliegen kann. Der Haken: Die Schumachers haben Einreiseverbot in Neuseeland, bis sie die kompletten Reisekosten zurückgezahlt haben.

Nach einem Aufruf der Tageszeitung „The Press“ haben sich hunderte Menschen gemeldet. Einige haben Geld für die Flüge auf ein Sonderkonto überwiesen. „Die Leute wollen alle helfen“, sagt der zwölfjährige Patrick, „bloß die Behörden nicht.“

Furcht vor Spott und Hohn in Deutschland

Die Schumachers heißen nicht Schumacher. Auch ihre Vornamen sind geändert. Sie fürchten sich vor Spott und Hohn in Deutschland, davor, als Loser abgestempelt zu werden, weil sie es nicht geschafft haben. Dabei haben sie ihre Situation nicht selbst verschuldet. Jochen hatte sich bei dem lizenzierten Einwanderungsspezialisten in Nelson rückversichert, dass Maler auf der Liste der langfristig meistgefragten Berufe (Skilled Migrants Shortage List) standen.

Mit 10.000 Euro in der Tasche wagten sie das Abenteuer. Der Plan war, nach zwei Jahren Arbeit im Angestelltenverhältnis einen Antrag auf unbefristete Aufenthaltsgenehmigung (Permanent Residence) zu stellen und sich dann, wie in Deutschland, selbständig zu machen. Den Umweg über die „Skilled Migrants“-Kategorie wählte Jochen, „weil ich zuletzt vor 20 Jahren in der Schule Englisch gesprochen hatte“. Um sich für die „Permanent Residence“ bewerben zu können, muss man sich fließend in Englisch unterhalten können. Jochen dachte, das wäre nach zwei Jahren kein Problem.

Der Anwalt in Nelson sollte sich um die Anerkennung von Jochens beruflicher Qualifikation, die Arbeitserlaubnis (Work Permit) und Visa-Anträge kümmern und nach einem Job für Jochen schauen. Nur wer nämlich ein Arbeitsplatz-Angebot vorweisen kann, bekommt einen „Work Permit“. Wer nicht im Land ist und nicht sofort arbeiten kann, tut sich schwer, angeheuert zu werden. Ein Teufelskreis.

Zwei Tage vor dem Abflug schickte der Anwalt, der für seine Dienste 5000 Euro kassierte, eine Email und teilte mit, die Bearbeitung von „Work Permits“ dauere mittlerweile 70 Werktage, also mehr als ein Vierteljahr. „Danach hätten wir eigentlich nicht in den Flieger steigen sollen“, sagt Jochen, „denn wie sollte das denn gehen? Kein Permit, kein Einkommen, aber Miete, Strom, Telefon und Lebensmittel für fünf Personen bezahlen?“

Illegale Arbeit bis zur Erteilung der Arbeitserlaubnis

Als die Schumachers am 23. Oktober in Neuseeland ankamen, erfuhren sie, dass der Anwalt kein Stellenangebot für Jochen hatte. Also machte sich der Maler mit 25 Jahren Berufserfahrung selbst auf die Suche. Mit Erfolg. Er verdiente aber nur 550 NZ-Dollar (250 Euro) pro Woche. Allein die Miete verschlang bereits 320 Dollar. „Ich habe vom 5. Januar bis 22. Februar illegal gearbeitet, bis ich die Arbeitserlaubnis bekommen habe“, erzählt Jochen, „habe aber Steuern bezahlt...“

Die Familie lebte von der Hand in den Mund, aber das dicke Ende kam erst noch. Jochen wurde zum 30. April gekündigt, obwohl der Chef von ihm begeistert war. Als Folge der Entlassung wurde sein bis Oktober 2010 ausgestelltes Visum auf 15. Juli 2009 verkürzt. Um eine andere Stelle konnte er sich nicht bewerben, weil die Arbeitserlaubnis nur für den spezifischen Betrieb galt. Außerdem müssen Unternehmer, die Ausländern einen Job anbieten, nachweisen, dass sie keinen Einheimischen dafür finden.

Da Immigration NZ Maler aus der Berufsliste für „Skilled Migrants“ gestrichen hatte, hätten die Schumachers nur noch einen Antrag auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis stellen können. „Aber dafür hatten wir kein Geld – und auch niemanden in Deutschland, den wir hätten anpumpen können“, sagt Jochen. „Inklusive der Gesundheitszeugnisse hätte uns das mehr als 3000 Dollar gekostet.“ So blieb nur die Odyssee von Pontius zu Pilatus.

Dutzende solcher Fälle

Mike und Tammy Bell berichteten in dieser Woche bei einem Treffen mit hochrangigen Politikern und Einwanderungsexperten in Christchurch von Dutzenden solcher Fälle. Das britische Ehepaar betreibt das Informationszentrum „move2nz“, in dem Einwanderer kostenlos Auskunft bekommen. Finanziert wird es durch Werbung auf ihrer Website. „Die Arbeit wächst uns über den Kopf“, sagt Mike Bell. „Wir sind beide jede Woche 85 Stunden im Einsatz und am Ende unserer Kraft.“

Immigration NZ hat die Bearbeitungszeit von Anträgen auf 35 Werktage halbiert, aber kaum jemand kann sieben Wochen ohne Einkommen überstehen. „Diese Leute müssen besser versorgt werden“, forderte Jim Anderton, ein ehemaliger Kabinettsminister, bei dem Treffen. „Das sind gesetzestreue Bürger, die Steuern bezahlen, keine Verbrecher, die dem Staat auf der Tasche liegen. Wenn wir Leute hierher holen und dann unsere Meinung ändern, wenn sie hier sind, ruinieren wir langfristig unseren Ruf. Wir sind auf die Arbeit von Einwanderern angewiesen, wenn es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht.“

Mike Bells wichtiges Anliegen ist jedoch, Auswanderungswilligen die Augen zu öffnen, bevor sie sich ins Unglück stürzen. „Wer keinen klaren Weg vor sich hat, um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, sollte es gar nicht erst versuchen“, warnt er. Sie sollten auch wegschauen, wenn ein Fernsehsender – wie kürzlich das ZDF – ohne Hinweis auf die neue Realität eine alte Geschichte wiederholt, in der Auswanderer von einem konkurrenzlosen Arbeitsmarkt und hervorragenden Jobaussichten berichten. Es war einmal.