17.03. Buenos Aires

Der Schwarzmarkt floriert, die Krise beginnt

BUENOS AIRES. Der Schwarzmarkt floriert auf der Calle Florida. Vielstimmig ertönt das Angebot, Geld zu wechseln. „Cambio! Cambio! Cambio!“ Es ist wie immer in dieser lebhaften kilometerlangen Fußgängerzone in Buenos Aires.  Alle paar Meter steht einer dieser lebenden Werbeträger, die den vorbeispazierenden Einheimischen und Touristen postkartengroße Informationsblättchen über Sonderangebote in Läden, Restaurants und Nagelstudios in die Hand drücken. 

In der U-Bahn rasen die fliegenden Händler durch die Waggons, ziehen ihre Waren aus Plastiktüten oder Rucksäcken und legen den Fahrgästen Packungen mit Schokoriegeln, Socken, Kaubonbons und Batterien aufs Knie oder auf den Arm und sammeln sie vor der nächsten Station wieder ein. Kaum jemand kauft die Schnäppchen und Köstlichkeiten, aber jeder kommt mit ihnen in Kontakt und denkt sich nichts dabei. So, als gäbe es kein Corona-Virus, kein Covid-19, keine Pandemie.

Doch auch in Argentinien ändern sich die Zeiten. Langsam, aber sicher. Die Touristen bekommen es als erste zu spüren, seit Staatspräsident Alberto Fernández am Sonntag in einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz einschneidende Maßnahmen inklusive der zweiwöchigen Schließung der Schulen ankündigte, um die Verbreitung des Virus in dem südamerikanischen Land zu verhindern. 

Ausländer dürfen nicht mehr einreisen, wenn sie keinen festen Wohnsitz in Argentinien haben, und wer da ist und aus sogenannten Gefährderländern wie Deutschland, Italien, Frankreich, China, Südkorea oder Iran gekommen ist, muss eine 14-tägige Quarantäne einhalten. Schummeln ist unmöglich, denn das Einreisedatum ist in den Pass gestempelt. 


Ein Glück, dass ich nicht aus Deutschland gekommen bin

Ich habe Glück, denn ich reise zwar mit deutschem Pass, lebe aber seit vielen Jahren in Neuseeland und bin auch direkt von dort, wo es auch jetzt nur elf Fälle gibt, nach Buenos Aires geflogen. Und ausreisen darf man zum Glück noch immer.

Dem Taxifahrer, der mich von einem Appartement, in dem ich sechs Tage gewohnt hatte, zum Hotel bringt, sind die Unterschiede egal. Wie lange ich schon hier sei, fragt er, und warum ich mich nach so einem kurzen Aufenthalt überhaupt auf die Straße traue, ich müsse mich doch 14 Tage wegschließen. 

Wo ich mich denn wegschließen solle, wenn nicht in einem Hotel, frage ich. 

In dem Appartement, aus dem ich komme, sagt er. 

Es ist aber nicht mein Appartement, ich hatte es nur für die paar Tage gemietet, sage ich. 

Ach so, sagt er. Aber ich müsse sehr vorsichtig sein, denn wenn mich die Polizei entdecke, würden sie mich verhaften und deportieren. 

Das wäre die einfachste Lösung, sage ich, dann käme ich am schnellsten nach Hause. 

Haha, das findet er lustig und sagt, die Fahrt war gratis.

Im Hotel, in dem ich schon im vergangenen August gewohnt hatte, muss ich ein Formular unterschreiben, in dem ich mich verpflichte, sofort in Quarantäne zu gehen, sollte ich Corona-Symptome wie Fieber, trockenen Husten und allgemeines Unwohlsein verspüren.

Fiebermessung an der Rezeption

Aber dieser deutsche Pass… Ich verweise darauf, dass er in der deutschen Botschaft in Neuseelands Hauptstadt Wellington ausgestellt wurde und als Wohnsitz Christchurch, Neuseeland, darin notiert ist. Es ist nicht sonderlich hilfreich, dass alle Angaben nur auf Deutsch sind, aber „Residence“ und „Christchurch“ ist verständlich genug, um akzeptiert und nicht für acht Tage – die 14 Pflichttage minus die sechs Tage, die ich bereits im Land bin – im Hotelzimmer eingeschlossen und mit Zimmerservice versorgt zu werden. 

Die Fiebermessung überstehe ich mit fliegenden Fahnen: 36,5 Grad! Erleichterung. Aber ich traue mich nicht, mich zu räuspern, denn das könnte als verdächtiger Husten misinterpretiert werden.

Um künftige Verwicklungen abwenden zu können, bitte ich meinen Mann zu Hause in Neuseeland, mir eine Kopie meiner Einbürgerungsurkunde von 2014 und das Begleitschreiben, auf dem meine Adresse in Neuseeland steht, per E-Mail zu schicken. 

Der Angestellte an der Rezeption ist begeistert und druckt mir die Blätter aus, damit ich sie jedem unter die Nase halten kann, der bezweifelt, dass ich aus einem Land eingereist bin, in dem es bei meiner Ausreise nur sechs Corona-Fälle gab und keinen einzigen auf „meiner“ Südinsel. 

Sobald ich zurück bin, muss ich 14 Tage Selbstisolation einhalten, aber gleich danach werde ich einen neuseeländischen Pass beantragen, um stets mit der Nationalität reisen zu können, die im jeweiligen Land die geringsten Probleme beschert. Und solange ich in Buenos Aires bin, komme ich aus Neuseeland und bin nur so nebenbei Deutsche.


Polizeikontrollen in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels

Am Montag führte die Polizei Kontrollen in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels in Buenos Aires durch. Dabei spürten die Beamten fast 300 Personen auf, die gegen die Quarantäne-Bestimmungen verstießen, und ordneten die Deportation an. 

Das ist angesichts der bei fast allen Fluggesellschaften drastisch reduzierten Zahl von Flügen oft einfacher gesagt als getan. Ich habe meinen Rückflug in der Nacht vom Samstag auf Sonntag, als ich ein mulmiges Gefühl über die Lage in Argentinien bekam, vom 16. April auf den 22. März umgebucht, das war der frühestmögliche Zeitpunkt. Aber es war eine goldene Aktion, denn wenige Stunden später kündigte Air New Zealand an, dass es die Flüge von und nach Buenos Aires am 30. März bis zum 1. Juni aussetzen wird. 

Der Urlaub in Argentinien und Chile, den ich vor einem halben Jahr in tagelanger mühsamer Kleinarbeit zusammengestellt und gebucht hatte, wäre ohnehin zu einem Flughafen- und Hotel-Hopping verkommen, denn alle Nationalparks in Feuerland und Patagonien, die ich besuchen wollte, um die grandiosen Naturschönheiten entlang der Anden wie die Torres del Paine und den Perito-Moreno-Gletscher zu bewundern, wurden am vergangenen Wochenende gesperrt. 

Die Grenzüberfahrt nach Chile wäre gar nicht mehr möglich. In zwei Orten in Chile – Punta Arenas und Puerto Natales – herrscht Alarmstufe Rot, weil dort ein britischer Kreuzfahrtpassagier herumspazierte, bei dem später eine Infektion mit dem Corona-Virus festgestellt wurde. 

Nach meiner Flugumbuchung stornierte ich jedes einzelne Hotel, jede Busfahrt und alle Inlandsflüge. Angesichts der Ausnahmesituation erstatten Buchungsagenturen wie booking.com und Airbnb sämtliche Kosten, auch die sündhaft teure Herberge an den gesperrten Torres del Paine ist kulant, da man sie nicht mehr erreichen kann.


68 Infektionen und zwei Tote in Argentinien

Bis Montag waren in Argentinien 68 Infektionen mit dem Corona-Virus registriert, zwei Opfer sind gestorben. Dabei handelt es sich um einen 65-jährigen Mann mit Vorerkrankungen, der sich in Frankreich angesteckt hatte, und um einen 61-jährigen Universitätsdozenten, der durch Ägypten, die Türkei und Deutschland gereist war. Das Gesundheitsministerium gab bekannt, alle bisherigen Kranken seien aus dem Ausland gekommen, aber jetzt könnte es die erste Zweitinfektion geben. 

Während im Fernsehen Bilder von den leeren Straßen in Europa flimmern und ein Korrespondent vom totalen Lockdown in Frankreich berichtet, hat Argentiniens Regierung außer den oben genannten Maßnahmen beschlossen, dass alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes von zu Hause aus arbeiten sollen, sofern es die Tätigkeit zulasse. 

Ein Elternteil von schulpflichtigen Kindern kann ebenso der Arbeit fernbleiben wie Schwangere und Leute über 60 Jahre. Die Schulen bleiben für Kinder geöffnet, die nicht anderweitig versorgt werden können, weil ihre Eltern beispielsweise im Gesundheitswesen arbeiten. Theater und Kinos sind geschlossen, und alle Veranstaltungen, die Menschenmassen anziehen, inklusive Fußballspiele und anderer Sport, sind verboten. 

Aber noch sind die Straßen in Buenos Aires nicht verwaist, sind Cafés und Restaurants gut besucht. Doch auch hier macht sich die Angst allmählich breit. Desinfektionsmittel sind ausverkauft, aber jeder hat sie und reibt sich bei jeder Gelegenheit die Hände damit ein. Ansonsten sind die Regale in den Supermärkten voll. 

Im Hotel wurde das Frühstücksbüffet abgebaut; Milchkaffee, Medialunas, Brot, Obst, Schinken, Käse und Dulce de Leche werden am Tisch serviert – sofern man nicht aus Deutschland kommt, Hausarrest hat und auf seinem Zimmer essen muss. Erst die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, ob die Zahlen in Argentinien vielleicht nur deshalb noch nicht explodiert sind, weil hier gerade Sommer ist und die Leute für Infektionen weniger anfällig sind. Aber noch ist alles graue Theorie.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)



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