05.01. Koala-Retter

Kratzer, Narben und Augenringe als Markenzeichen

Eukalyptusblätter und Plüschteddy im Gehege

Mittlerweile ist Harry alt genug, um tagsüber in einem großen Gehege Eukalyptusblätter zu knabbern, zu klettern und einen Plüschteddy zu knuddeln. Vier solche Gehege für jeweils zwei Koalas haben die Simpsons im Garten, alle selbst finanziert. Wer Koalas rettet und versorgt, ist auf Spenden und Sponsoren angewiesen. Im Gegensatz zur freien Wildbahn, wo sie Einzelgänger sind, freunden sich Koalas in den Gehegen an, das verringert den Stress. Jetzt während der Hitzewelle kommen manche Tiere nur für zwei, drei Tage, werden rehydriert und dann wieder in Freiheit entlassen.

Summer und ihr Joey Blaze sind länger da. Blaze erlitt einen Hitzschlag und fiel aus dem Baum. Summer wurde eingefangen und mit Blaze wiedervereinigt. Im Gehege genießen die beiden vor ihrer Entlassung die Kaltwasser-Sprühanlage und die frischen Eukalyptusblätter.

Nebenan sitzt Priscilla und brüllt, weil sie Angst und Schmerzen hat. Sie ist von einem Hund angefallen worden, eine ihrer Krallen fehlt. Das röhrende Koala-Brüllen passt so gar nicht zu den niedlichen Gesichtern dieser liebreizenden Beuteltiere, es klingt wie eine Mischung aus Schnarchen, Grunzen und Rülpsen. Die Behandlung von infizierten Wunden ist problematisch, weil Antibiotika die Darmbakterien töten, die Koalas zur Verdauung der giftigen Eukalyptusblätter benötigen.

Kletterbaum im Wohnzimmer

In Cheryls Wohnzimmer in Greenwith, in den Adelaide Hills nordöstlich von Adelaide gelegen, ist ein dicker, verzweigter Ast als Kletterbaum aufgebaut. Darauf döst der sieben Monate alte Austen, und die ein, zwei Monate ältere Maisy klettert von Ast zu Ast.

Austen wurde weinend unter einem Auto in Lobethal gefunden, von der Mutter keine Spur. Keiner weiß, ob sie noch lebt. Ob sie zu schwach war, um für ihr Joey zu sorgen, ob sie bei einem Baumwechsel von einem Hund angegriffen oder von einem Auto angefahren wurde und das Baby dabei von ihrem Rücken fiel.

Damals waren die Temperaturen noch erträglich, jetzt wüten auch in dieser Gegend – Woodside, Lobethal, Gumeracha, Cudlee Creek – verheerende Buschfeuer. Die Lage im Krisengebiet um Cudlee Creek ist so katastrophal, dass die für solche Situationen geschulten und lizenzierten Koala-Retter keinen Zutritt mehr haben.

Dennoch werden täglich verletzte Tiere aufgelesen und mit Infusionen rehydriert, das angesengte Fell gestutzt, die verbrannten Pfoten mit Salbe eingecremt und bandagiert, Verbände gewechselt. Das findet meistens beim Tierarzt statt, und der Vorgang ist so schmerzhaft, dass manche Koalas dafür betäubt werden müssen. „Das ist nicht ideal“, sagt Dee Hearne-Hellon, „aber wenn man das nicht macht, werden die Helfer verletzt. Man darf nicht vergessen, dass Koalas wilde Tiere sind. Sie können nicht domestiziert werden.“

Selbst in Zeiten ohne Buschfeuer überleben nur 25 Prozent der Koalas

Die „Adelaide and Hills Koala Rescue“-Gruppe ist mit rund 30 Mitgliedern die größte Freiwilligen-Organisation in Südaustralien. Cheryl, die nur mit Vornamen genannt werden möchte, Dee und Merridy Montarello sind die Gründerinnen – und Merridy die „Queen Koala“, die laut Cheryl „unser Guru ist und alles weiß“.

Dee postet regelmäßig lustige Erfolgsgeschichten auf Facebook, aber die Wahrheit ist, dass selbst in Zeiten ohne Buschfeuer nur 25 Prozent der geretteten Koalas überleben. „Wir behalten viele traurige Geschichten für uns, um die Leute, die uns anrufen, wenn sie einen verletzten oder kranken Koala finden, nicht zu demotivieren“, sagt sie. „Wir wollen, dass sie sich weiterhin melden und Schalen mit Wasser in ihre Gärten und in Koala-Reviere stellen, damit die Tiere bei Hitze trinken können.“ Bei den extremen Temperaturen trocknen auch die Eukalyptusblätter aus, von denen sich die Koalas fast ausschließlich ernähren.

Abgesehen von Buschfeuern, sind Hunde und Autos die größten Koala-Killer. Verletzte Koalas werden zum Röntgen und zu Infusionen zum Tierarzt gebracht. Andere Untersuchungen können die Ersthelfer selbst durchführen und sind Standard. Mit einem Abstrich wird auf die Infektionskrankheit Chlamydia getestet, von der in Südaustralien rund 40 Prozent der Population befallen sind.

Bei Nierenfunktionsstörung werden die Tiere eingeschläfert

Trinkt ein Koala auffällig viel, wird eine Urinprobe genommen. Bestätigt sich der Verdacht auf eine Nierenfunktionsstörung, wird das Tier eingeschläfert, um ein langes und elendes Sterben abzukürzen. Aufgabe der Helfer ist auch, den sogenannten Pap zuzubereiten und Joeys damit zu füttern, die zu Waisen wurden, als sie noch im Beutel lebten. Das ist ein kotähnliches Ausscheidungsprodukt, das die Joeys fressen müssen, um nach dem Ende ihrer Ernährung mit Muttermilch die giftigen Eukalyptusblätter verdauen zu können.

Alle paar Tage fahren Mish und Wade elf Kilometer in ein Schutzgebiet in der Nähe von McLaren Flat, um nach Bugsy und Evie zu schauen. Die Jungtiere, die einst als Joeys zu den Simpsons kamen, sitzen auf einem himmelhohen Eukalyptusbaum, um sich an das Leben ohne Kontakt zu Menschen zu gewöhnen. Der Rutenförmige Eukalyptus (Eucalyptus viminalis) ist von einer hohen Aluminiumwand umgeben, um Hunde und Wildkatzen fernzuhalten.

Unter dem Baum stehen Behälter mit Zweigen von drei anderen Eukalyptusarten aus Tasmanien, Süd- und Westaustralien. An diese Vielfalt müssen sich die Koalas gewöhnen, denn irgendwann unterm Jahr ist die Toxizität ihrer Lieblingsbäume so hoch, dass sie sich trotz ihres einzigartigen Verdauungssystems damit vergiften würden.

Haben sie auch diese letzte Lektion gelernt, werden sie ausgewildert. „Einmal in Freiheit, klettern sie auf einen Baum und wollen dich nicht mehr sehen“, sagt Mish. „Es ist ein bisschen traurig, aber es ist der Grund, warum wir Koalas retten.“ Oder, wie Merridy es ausdrückt: „Wir tun es für die Koalas, nicht für unser Ego.“

LINKS:

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KOALA-INFOS

Geschichte: Vor der Ankunft der europäischen Siedler 1788 in Australien lebten Millionen und Abermillionen Koalas in den Eukalyptuswäldern der Ostküste und im Südosten Südaustraliens. Durch den Handel mit Koala-Fellen wurden die Bestände dramatisch reduziert. Großbritannien importierte in den 20 Jahren von 1888 bis 1918 allein 4,1 Millionen Felle. Der Fellhandel endete 1927, als der spätere US-Präsidenten Herbert Hoover ein Importverbot verhängte.

Zu diesem Zeitpunkt gab es nur noch in Queensland reichlich Koalas, in Victoria rund 1000, in New South Wales wenige hundert, und in Südaustralien waren sie ausgestorben. Zwischen 1923 und 1925 wurden 18 Koalas aus Victoria auf Kangaroo Island ausgewildert und vermehrten sich dort sprunghaft. Koalas von dieser Insel wurden zwischen 1959 und 1969 in Südaustralien angesiedelt, auch in Gegenden, in denen es früher keine Koalas gegeben hatte. Aufgrund dieser Inzucht fehlt den Koalas in Südaustralien die genetische Vielfalt.

Genetik: Genetische Vielfalt zu erzielen, ist sehr schwierig, da Koalas nicht einfach umgesiedelt und gekreuzt werden können. Sie passen sich zwar ihrer Umgebung an, aber es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Arten.

Der Nord-Koala, der im tropischen Queensland und im nördlichen New South Wales vorkommt, hat kurzes, weiches, hellgraues Fell und ist kleiner und wesentlich leichter (Männchen 4,2 bis 9,1 kg, Durchschnitt 6,5 kg; Weibchen 4,1 bis 7,3 kg, Schnitt 5,1 kg) als der Süd-Koala im südlichen New South Wales, Victoria, ACT (Region um Canberra) und Südaustralien.

Der Süd-Koala hat ein dichteres, längeres und wolligeres Fell für die kalten Winter und ist dunkelbraun bis dunkelgrau. Auch das Fell im Gesicht und in den Ohren ist länger. Das Männchen wiegt 9,5 bis 13,5 kg (Schnitt 11,8 kg), das Weibchen 7,0 bis 9,8 kg (Schnitt 7,9 kg).

Geschlechtsmerkmale: Männchen und Weibchen kann nicht nur an der Größe und an den Genitalien ganz leicht unterscheiden. Männchen haben eine Hormondrüse auf der Brust, die ein bräunliches Sekret absondert. Damit reiben sie sich an den Bäumen ihres Heimreviers, um dieses zu markieren. Dadurch färbt sich das weiße Fell auf ihrer Brust und sieht schmutzig aus.

Beuteltiere und Joeys: Koalas sind keine Bären (das sind Säugetiere), sondern Beuteltiere. Der Nachwuchs wird unreif geboren und entwickelt sich erst im Schutz des Beutels weiter. Dort leben die Babys, die Joeys genannt werden, sechs bis sieben Monate und ernähren sich ausschließlich von Muttermilch.

Bevor sich die Jungen mit Eukalyptusblättern ernähren können, müssen sie eine Zeitlang kot-ähnliche Verdauungsprodukte der Mutter fressen, Pap genannt, um die giftigen Blätter verdauen zu können. Erst danach verlassen sie den Beutel und halten sich vornehmlich auf dem Rücken der Mutter auf.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

Kratzer und Narben an Händen, Armen und Hals sind die Erkennungsmerkmale von Menschen, die verwaiste, verletzte und kranke Koalas pflegen. Und Augenringe, denn ähnlich wie Menschenkinder müssen Koala-Babys – Joeys genannt – alle vier bis sechs Stunden mit Muttermilchersatz aus der Flasche gefüttert werden.

Es ist ein unbezahlter Rund-um-die-Uhr-Job neben Beruf und Haushalt, denn nach jedem Notruf fährt das Ehepaar, egal ob bei Tag oder Nacht, meilenweit durch die Weinregion um McLaren Vale und sammelt Koalas ein. „Es ist optimal, dass Wade flexibel ist“, sagt Mish, die in Adelaide als Datenwissenschaftlerin für die Landesregierung arbeitet, während Wade zwei Autowerkstätten besitzt und sich die Zeit einteilen kann.

Das Paar, sie 34, er 36, sind die „Southern Koala Rescue“. Wade nennt sich selbst „Koala-Mutter“, und so ist das auch. Er und Mish sind Mutter-Ersatz und müssen diesem unfassbar goldigen dunkelgrauen Beuteltier alles beibringen, was es im richtigen Leben von seiner Mutter lernen würde und später in der Wildnis braucht. Harry schläft in einer plüschigen Kuschelhülle, dem Ersatz für den Beutel seiner echten Mutter, in dem er die ersten sechs, sieben Lebensmonate verbracht hätte, und statt sich auf Mamas Rücken festzukrallen, steigt er Mish auf die Schulter.

ADELAIDE. Harry sitzt im Birnbaum in Mish und Wade Simpsons Garten in Onkaparinga, einem kleinen Ort 35 Kilometer südlich von Südaustraliens Hauptstadt Adelaide. Erst klettert er auf den Ästen, ehe er sich auf den Boden gleiten lässt und dann Mish als Kletterbaum benützt. Das ist schmerzhaft, denn Koalas springen mit Schwung auf Bäume und krallen sich fest, und je jünger ein Koala ist, desto schärfer sind die Krallen; sie stumpfen erst im Lauf der Jahre durch das Klettern ab.

Update 11.01.2020

Katastrophe auf

Kangaroo Island

In Südaustralien ist jetzt der Fokus auf Kangaroo Island gerichtet. Die halbe Insel – die drittgrößte Australiens – ist ein Inferno, und es wird befürchtet, dass die Hälfte der Koala-Population von rund 50.000 in den Flammen umgekommen ist.

Einige Mitglieder der Gruppe haben mit der Fähre in das 130 Kilometer südwestlich von Adelaide gelegene Tierparadies übergesetzt und packen mit an, um zu retten, was zu retten ist. Es ist nicht viel.

Aufs Festland können die Koalas nicht gebracht werden, da sie sonst nie mehr nach Kangaroo Island zurückkehren können. Der Grund dafür ist, dass die Koalas auf der Insel frei von Chlamydia sind, während die Krankheit auf dem Festland weit verbreitet ist. Dadurch besteht ein Infektionsrisiko, so dass jeder Koala, der mit der Fähre aufs Festland transportiert wurde, dort auch bleiben muss, um die Population auf Kangaroo Island vor Chlamydia zu schützen.

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