09.12. Eruption White Island

Tote und verletzte Touristen im Ascheregen

CHRISTCHURCH/WHAKATANE. In einem Land, das auf einem Pulverfass sitzt, ist die ständige Gefahr durch Naturkatastrophen Normalität, Teil des Lebens. Aber dann dieser Horror, die Tragödie, die wie immer überraschend und unerwartet passiert, so wie heute um 14:11 Uhr Ortszeit, als der Hauptkrater der Vulkaninsel White Island an der zentralen Nordküste der Nordinsel Neuseelands Gift und Galle spuckte und rund 50 Touristen überraschte, die sich zum Zeitpunkt der Eruption auf der 48 Kilometer vor der Küste der Bay of Plenty gelegenen Insel befanden.

Mindestens fünf Menschen haben den Vulkanausbruch nicht überlebt, aber es könnte noch mehr Tote gegeben haben, erklärte Polizeikommandeur John Tims bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Wellington. Es könnten sich bis zu 27 Personen noch auf der Insel befinden. Über ihren Zustand ist nichts bekannt, es besteht keine Verbindung. Sieben Rettungshubschrauber, die vom Einsatzzentrum in der Stadt Whakatane losgeschickt wurden, mussten aufgrund des Ascheregens unverrichteter Dinge wieder umkehren. (*) „Zu diesem Zeitpunkt ist es für die Polizei und Rettungsdienste zu gefährlich, auf die Insel zu gehen. Sie ist derzeit von Asche und vulkanischen Materialien bedeckt.“

23 auf einer Anlegestelle ausharrende Menschen wurden von Fremdenführern mit motorisierten Schlauchbooten von der Insel geholt und auf ein mehrere Stunden vor der Insel festgemachtes Ausflugsboot transportiert. Darunter waren auch die mittlerweile fünf Toten. Die übrigen 18 Personen haben vor allem Verbrennungen erlitten.

Die meisten wurden in die Krankenhäuser in Whakatane und Tauranga eingeliefert, zwei lebensgefährlich verletzte Patienten wurden in das auf Verbrennungen spezialisierte Middlemore-Hospital in Auckland geflogen. Die Verletzten, die selbst gehen konnten, weinten, schrien, fielen dem wartenden medizinischen Personal in die Arme. Horror, Schock, Entsetzen allenthalben.

Verstörte Augenzeugen filmten die Katastrophe

Entsprechend verstört waren auch die Augenzeugen der Katastrophe, die den Vulkanausbruch von dem Ausflugsboot beobachtet hatten. Michael Schade, ein amerikanischer Tourist, war einer jener Besucher, die schon auf dem Boot zurück waren, als der Hauptkrater in die Luft flog. Er filmte die Katastrophe und postete die Videos auf Twitter. Um 13:49 Uhr habe er noch selbst am Kraterrand gestanden, schrieb er. 22 Minuten später die Eruption, die bis zu 3,6 Kilometer hohe Aschewolken in die Atmosphäre schoss.

Die Menschen an Bord rannten in Panik durcheinander und riefen immer wieder nur: „Oh no! Oh no!“ Auf einem Video des brasilianischen Touristen Allessandro Kauffmann brüllt jemand: „Geht nach drinnen! Geht nach drinnen!“ Kauffmann schrieb auf Instagram: „Es waren zwei Tourgruppen auf dem Vulkan. Wir waren die erste, die andere konnte die Insel nicht rechtzeitig verlassen. Wir mussten warten, um den Leuten zu helfen, die noch auf der Insel waren. Einige hatten riesige Brandwunden am ganzen Körper. Das andere Boot war von Asche bedeckt.“

Auf einem Foto der fest installierten Kamera (Webcam) des Nationalen Instituts für Geologie- und Nuklearwissenschaften (GNS Science), das die Aktivität des Vulkans durchgehend beobachtet, sind kurz vor der Explosion 22 Personen am Kraterrand und in der Fumarole (Dampfwolke) zu erkennen.

32 bis 38 Besucher, die auf White Island waren, sind Passagiere des riesigen Kreuzfahrtschiffes Ovation of the Seas, das in Mount Maunganui, dem Hafen von Tauranga, festgemacht hat; der australische TV-Sender Nine News berichtete von 24 Australien, die eine White-Island-Tour gebucht gehabt hätten. Diese Ausflüge finden per Boot oder per Hubschrauber statt. Auf Fotos und Videos ist auch solch ein zerstörter Ausflugshelikopter zu erkennen. Ob sich Menschen in einen 2016 für den Fall einer Eruption aufgestellten Schiffscontainer retten konnten, ist unbekannt.

Warum waren Touristen trotz erhöhter Warnstufe auf der Insel?

Eine der Fragen, die jetzt natürlich gestellt werden, ist, warum die Touristen überhaupt auf White Island waren, denn vor einer Woche hatten die GNS-Forscher erhöhte vulkanische Aktivität – Gas, Dampf und Schlammausbrüche an einem Schlot – gemeldet. Im Oktober waren verstärkter Schwefeldioxid-Ausstoß und Vibrationen, so hoch wie seit 2016 nicht mehr, gemessen worden.

Damals war es zu einer Eruption gekommen, ebenso wie 2013, als sich zum Glück niemand auf der Insel befand. Ein größeres Unglück liegt schon mehr als 100 Jahre zurück: Am 21. September 1914 riss ein Lahar – das ist eine vom Vulkan rollende Schlammlawine – die Unterkünfte eines Schwefelbergwerks mit sich; dabei kamen zehn Männer ums Leben, nur ein Kater namens Peter überlebte. Das Desaster wurde erst eine Woche später entdeckt. Heute ist die Insel unbewohnt und wird lediglich von Wissenschaftlern und Touristen besucht.

White Island, das die Maori „Te Puia o Whakaari“ (Der dramatische Vulkan) nennen, ist der aktivste Vulkan Neuseelands, der seit mindestens 150.000 Jahren aktiv ist. 70 Prozent des Stratovulkans, der 321 Meter aus dem Pazifischen Ozean ragt, befinden sich unter der Wasseroberfläche. Der Hauptkrater, nur 30 Meter über dem Meeresspiegel, bedeckt fast die ganze Insel, die einen Durchmesser von rund zwei Kilometern hat. Der Kratersee verschwindet und bildet sich regelmäßig neu.

Whakaari sitzt am nördlichen Ende der Taupo-Vulkanzone, zu der auch Neuseelands größter See, der Lake Taupo, gehört, der in Wahrheit die mit Wasser gefüllte Caldera eines Supervulkans ist. Südlich des Taupo-Sees brechen die drei Vulkanriesen des Tongariro-Nationalparks regelmäßig aus, zuletzt der Mt. Tongariro 2012, und meistens ohne Vorwarnung. Solange sie schlummern, sind sie Naturschönheiten, so wie die weißen Dampfwolken, die von White Island in den Himmel steigen, ein alltägliches Phänomen am Horizont der Bay of Plenty. Touristen ergötzen sich daran, und Tourenanbieter leben gut davon. Solange alles gutgeht.

10. Dezember 2019

Eine Katastrophe mit fröhlichen Gesichtern

Paula Summer (Name geändert) lebt seit mehr als zehn Jahren in Whakatane, aber auf White Island, der Insel am Horizont, war sie nie. Die weißen Dampfwolken, die der 48 Kilometer entfernte Vulkan ausspuckt, registriert sie nur am Rande, weil sie nicht direkt an der Küste wohnt. Die Folgen der Tragödie, dieser fatalen Eruption am Montagnachmittag, die mindestens fünf, vermutlich aber mindestens 13 Menschen das Leben kostete, nimmt sie deshalb nur akustisch wahr. „Die Hubschrauber fliegen noch immer pausenlos über die Stadt“, erzählt sie, „und am Montag rasten Krankenwagen und Polizeifahrzeuge mit Sirenengeheul nonstop durch die Straßen.“

Die Helikopter-Piloten haben die Schwerverletzten, die fürchterliche Verbrennungen erlitten, als der höchst aktive Meeresvulkan heiße Asche, Felsbrocken und giftige Schwefelgase in die Luft schleuderte, vom örtlichen Krankenhaus in sieben Spezialkliniken im ganzen Land transportiert, ebenso Blutkonserven, Notärzte, Sanitäter, Rettungspersonal und Pathologen, die die Aufgabe haben, die Toten zu identifizieren.

Aber noch immer ist das Risiko einer weiteren Eruption zu hoch und die Bedingungen auf der Insel sind zu gefährlich, um Suchtrupps in den Hauptkrater des grollenden Vulkans zu schicken. Wer am Montag von den eingeflogenen Rettungskräften nicht versorgt und per Boot von der Insel geholt wurde, ist tot. Acht Personen, die beim Ausbruch am Kraterrand standen, zählen als vermisst. Darunter soll sich auch ein/e Deutsche/r befinden.

47 Personen in zwei Tourgruppen befanden sich auf White Island

Die Zahlen der Opfer wurden gestern korrigiert. Demnach befanden sich 47 Personen in zwei Tourgruppen auf White Island, darunter vier Deutsche. Fünf Menschen starben. 34 Verletzte, davon einige in akuter Lebensgefahr, wurden in Krankenhäuser eingeliefert und nur drei von ihnen konnten nach kurzer Behandlung wieder entlassen werden; dabei handelt es sich offenbar um Touristen, die in dem Hubschrauber auf die Insel geflogen waren, der auf Videos als schwer beschädigt zu erkennen ist.

Unter den Vermissten und Toten sind die Tourenführer Hayden Marshall-Inman und Tipene Maangi von „White Island Tours“, die mit den beiden Gruppen in Ausflugsbooten zur Insel transportiert worden waren, und eine vierköpfige australische Familie aus Sydney mit einer 17-jährigen Tochter und einem 19-jährigen Sohn.

Und aus der Washington Post lächelt ein glücksstrahlendes Brautpaar aus den USA, das in Klinken in Auckland und Christchurch getrennt behandelt wird: Lauren Urey, erzählt ihre Mutter Barbara Barham, habe an 20 Prozent ihres Körpers Verbrennungen erlitten, Ehemann Matthew an 80 Prozent. Es geht um Leben und Tod. Mit den im Internet verbreiteten Fotos all dieser fröhlichen Menschen hat die Katastrophe Gesichter bekommen.

Die Hälfte der Opfer sind Australier

Die Hälfte der Opfer sind Australier. Premierminister Scott Morrisson, der mit seiner neuseeländischen Amtskollegin Jacinda Ardern in Dauerkontakt steht, bestätigte, drei der Toten seien Australier, 13 Landsleute lägen verletzt in Krankenhäusern. 24 Australier im Alter von 17 bis 72 Jahren seien Passagiere der Kreuzfahrtschiffes Ovation of the Seas gewesen, das am 4. Dezember in Sydney zu einer Neuseeland-Rundreise abgelegt hatte.

Morrisson bereitete seine Landsleute darauf vor, dass „es noch schlechtere Nachrichten“ geben werde. Am Abend gab die Polizei die sieben Herkunftsländer der 47 Insel-Besucher bekannt: Außer aus Australien (24) und Deutschland (4) stammen sie aus den USA (9), Neuseeland (5), Großbritannien, China (je 2) und Malaysia (1).

In einem Gespräch mit der Tageszeitung New Zealand Herald erzählte Geoff Hopkins, der in Hamilton (Neuseeland) wohnt, vom Horror, dem auch die Helfer nach dem Vulkanausbruch ausgesetzt waren. Der 50-jährige Mann befand sich auf einem Ausflugsboot, das schon abfahrbereit war, als sich die Naturkatastrophe ereignete.

Eine Schlauchbootladung mit Überlebenden nach der anderen sei abgesetzt worden, und alle hätten fürchterliche Brandwunden gehabt, im Gesicht, am ganzen Körper, unter der Kleidung. Ein Paar, um das er sich kümmerte, habe mehrmals das Bewusstsein verloren. „Ich hoffe, sie sind nicht unter den Toten“, sagte er, „die Leute sind ins Meer gerannt, um sich zu retten.“

Zwei Ärzte und Ersthelfer waren an Bord

Zwei Ärzte hätten sich an Bord befunden, er und seine Tochter Lilliani seien ausgebildete Ersthelfer. „Ich habe nie zuvor in meinem Leben so riesengroße Brandblasen gesehen“, erzählte er, „und die Leute fingen vor Schmerzen zu schreien an.“ Auf dem Rückweg setzte die Küstenwache mehrere Notärzte auf dem Boot ab, die sich um die Schwerstverletzten kümmerten. Es war das furchtbare Ende seines Trips, den ihm seine Tochter, eine Geologie-Studentin, zum Geburtstag geschenkt hatte.

Jacinda Ardern verlangte gestern im neuseeländischen Parlament „Antworten auf ernsthafte Fragen“ und meinte damit die Entscheidung des Unternehmens „White Island Tours“, trotz der Warnung des nationalen Instituts für Geologie- und Nuklearwissenschaften, GNS, vor erhöhter vulkanischer Aktivität Urlauber durch den aktivsten Vulkan Neuseelands zu führen.

Die Polizei sagte, es sei zu früh, um zu entscheiden, ob strafrechtliche Ermittlungen gegen den Veranstalter eingeleitet werden, der im vergangenen Jahr skurrilerweise die Auszeichnung als „Neuseelands sicherster Arbeitsplatz“ in der Katagorie Kleine Unternehmen erhielt. Auf der Website von „White Island Tours“ steht: „Wir befolgen einen umfassenden Sicherheitskatalog.“

Zu diesen Maßnahmen zählt beispielsweise, dass Besucher feste Schuhe, Helm und Gasmaske tragen müssen, wenn sie auf ihrer Wanderung den grünen Kratersee, von Schwefel und Eisen spektakulär gelb und rot gefärbte Felswände, blubbernde Schlammtöpfe und rauchende Schlote bewundern.

2018 waren 17.500 Besucher auf der Insel

Es existieren Evakuierungspläne für Notfallsituationen, und seit der Erhöhung der Warnstufe sei zusätzliches Personal auf die in Privatbesitz befindliche Insel geschickt worden, um die Lage zu sondieren, bevor Besucher an Land gehen durften. „Wir orientieren uns an den Einschätzungen von GNS“, sagte Paul Quinn, der Chef von „White Island Tours“, das im vergangenen Jahr 17.500 Besucher über die Insel führte.

Diese Ausflüge findet der Geowissenschaftler Prof. Ray Cas von der Monash-Universität in Melbourne fragwürdig. „Dieser Vulkan ist völlig unberechenbar und hyperaktiv“, sagte er. „Ich war zwei Mal dort und dachte immer, dass es zu gefährlich ist, dort täglich Tourgruppen abzusetzen. Diese Katastrophe musste irgendwann passieren.“

Wie zum Hohn spürte Whakatane gestern die Ausläufer eines schweren Erdbeben der Stärke 5,3 (auf der Momentmagnitudenskala) mit Epizentrum in der Nähe der nur 120 Kilometer Luftlinie entfernten Stadt Gisborne. Neuseelands Natur, eine unendliche Katastrophengeschichte.

11. Dezember 2019

Noch immer keine Bergungsaktion

Obwohl die Polizei noch nicht alle Namen der Opfer veröffentlicht hat, die bei der Eruption der neuseeländischen Vulkaninsel White Island am Montag gestorben oder verletzt worden sind, so gibt es doch Hinweise auf das Schicksal von zwei der vier Deutschen, die auf der Liste der 47 Personen stehen, die sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs auf dem Eiland in der Bay of Plenty befunden haben.

Bei ihnen könnte es sich um ein Ehepaar, beide 63 Jahre alt, aus dem Raum Karlsruhe handeln. Aber dies ist bis zur offiziellen Bestätigung reine Spekulation. Die Eheleute standen am Dienstag auf einer langen, vom Roten Kreuz erstellten, Liste der Vermissten, von der viele Leute, die in Sicherheit waren, mit „I am alive“ (Ich bin am Leben) markiert wurden.

Auf Anfrage teilte eine Polizeisprecherin mit, sie könnten die Identität der Opfer „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht bekanntgeben. Gestern Abend (Ortszeit) wurden die Namen von neun Personen offiziell bestätigt, darunter keine Deutschen, sondern sieben Australier und zwei neuseeländische Tourenführer. Der totgelaubte Sohn einer vierköpfigen australischen Familie wurde überraschenderweise lebend im Krankenhaus gefunden, die Eltern und seine Schwester sind verschollen.

Vier Deutsche besuchten White Island per Hubschrauber

Tim Barrow, Besitzer von „Volcanic Air“ in Rotorua, ein Mann, der schon zigtausende Touristen per Hubschrauber und Wasserflugzeug nach White Island transportiert hat, erzählte, dass sein Pilot Brian de Pauw vier Deutsche auf die Insel geflogen habe. Als der Vulkan ausbrach, habe er den Deutschen gesagt, sie sollten sofort ins Wasser springen, um sich zu retten. „Zwei haben es getan, die beiden anderen nicht“, sagte er, „die einen waren unverletzt, die beiden anderen schwer verbrannt.“ Der Hubschrauber, mit dem sie unterwegs waren, ist jener, der schwer beschädigt und mit Asche bedeckt auf Videos und Fotos zu erkennen ist.

Barrow und einige andere Helikopter-Piloten hatten sich nach Bekanntwerden der Naturkatastrophe trotz des sofort verhängten Flugverbots auf den Weg nach White Island gemacht und versucht, so viele Menschen wie möglich zu retten.

Einer dieser Piloten war Mark Law, der der Polizei und den Wissenschaftlern des nationalen Instituts für Geologie und Nuklearwissenschaften, GNS, den Vorwurf machte, sie am Dienstag nicht auf die Insel geschickt zu haben, als ideale Bedingungen herrschten, um die Toten zu bergen. „Das wäre eine Sache von 20 Minuten gewesen“, sagte er. „Wir wissen, wo sie liegen. Wir hätten sie in Leichensäcke gepackt und an Land gebracht.“

GNS-Vulkanologe Graham Leonard erwiderte: „Im Nachhinein betrachtet hat er recht, aber man weiß es vorher nicht.“ Gestern stufte GNS die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Eruption des ununterbrochen dicke Dampfwolken ausspuckenden Vulkans auf 60 Prozent ein, so dass die Bergung der Toten bis auf weiteres vertagt wurde. Am Montag flogen die Piloten nach Angaben von Tim Barrow zwölf Verletzte nach Whakatane, aber, so der 50-Jährige, „zwei sind auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.“

Vermutlich 15 Tote

Nachdem eine Person am Dienstag im Krankenhaus gestorben ist, steht die vermutete Zahl der Toten bei 15: die sechs Touristen, die bereits zur formellen Identifizierung von Whakatane nach Auckland gebracht worden sind, plus die neun Vermissten, die sich noch auf der Insel befinden. Eines der 24 australischen Opfer wurde zur Behandlung nach Sydney geflogen, weitere werden von der australischen Luftwaffe in die Heimat und näher zu ihren Familien gebracht. Derzeit liegen 29 Verletzte mit schwersten Verbrennungen in neuseeländischen Krankenhäusern.

Wie furchtbar die Verletzungen sind, belegen folgende Zahlen: 22 der 29 Menschen werden künstlich beatmet, zwei von ihnen haben Verbrennungen von 90 Prozent ihrer Haut erlitten, in den USA wurden 120 Quadratmeter Haut für Transplantationen bestellt. Die Opfer waren nicht nur der Druckwelle der Eruption und Temperaturen von bis zu 800 oder 900 Grad ausgesetzt, sondern auch der in die Luft geschleuderten Asche und Geröllbrocken sowie giftigen Chemikalien wie Schwefeldioxid, Kohlendioxid und Schwefelsäure.

13. Dezember 2019: Die Bergung der Toten

Wie gelbe Ameisen in einem surrealen grauen Aschemeer

Es war dunkel über der Bay of Plenty. Am Ufer Gitarrenklänge, Gesang, gemeinsame Trauer und Tränen. Ein Boot mit einigen Angehörigen der Opfer schipperte im Morgengrauen in Richtung White Island, dümpelte eine Weile einen Kilometer von der Vulkaninsel entfernt, deren Eruption am vergangenen Montag mindestens 16 Menschen das Leben gekostet hat und das Leben von mehr als zwei Dutzend verletzter Personen dramatisch verändern wird, sofern sie ihre schweren Verletzungen überleben.

Ein Maori-Prediger des lokalen Stammes der Ngati Awa sprach ein Gebet und segnete die Insel, die Lebenden und die Toten. Es war die spirituelle Unterstützung, die in der Kultur der Maori nach tragischen Ereignissen üblich ist, und für die am Boden zerstörten Familien, so der stellvertretende Polizeikommandeur Mike Clement, „eine sehr emotionale Zeit und ein großer Trost, diese Verbundenheit mit den Einheimischen zu spüren“.

Der Einsatz zur Bergung der auf White Island zurückgebliebenen Toten begann gestern bei Tagesanbruch in Whakatane, das 50 Kilometer von der Katastropheninsel vor der Nordinsel Neuseelands entfernt ist. Die kleine Küstenstadt mit ihren knapp 36.000 Einwohnern ist die Schaltzentrale für Rettungseinsätze und Transportflüge.

Drei Stunden für die Bergung von acht Toten - aber zwei Opfer bleiben verschollen

Von der ersten Meldung der Polizei, dass ein Helikopter der Luftwaffe um 8:20 Uhr auf White Island gelandet sei, bis zur Nachricht, dass sechs der acht Leichen von den Militärhubschraubern auf das vor der Insel liegende Marineschiff HMNZS Wellington geflogen worden seien, vergingen keine drei Stunden. Aber zwei Todesopfer, deren Positionen auf Drohnen-Aufnahmen nicht ermittelt werden konnten, blieben trotz einer weiteren einstündigen Suche verschollen.

So lange reichte die Atemluft aus den Sauerstoffgeräten, die die acht Soldaten – sechs Männer und zwei Frauen, die auf die Entschärfung von Bomben und den Umgang mit gefährlichen Substanzen spezialisiert sind – bei ihrem riskanten Einsatz trugen. Auch eine spätere Suche aus der Luft blieb erfolglos.

Am Nachmittag traf eine Taucherstaffel vor der Insel ein, um nach diesen beiden Personen zu suchen. „Wir wissen, dass mindestens eine Leiche im Wasser ist, weil sie dort am Dienstag gesichtet wurde“, sagte Neuseelands Polizeichef Mike Bush, „und wir versuchen, sie zu finden.“ Den Angehörigen versprach er: „Es ist noch nicht vorbei.“ Heute Vormittag wird die Suche fortgesetzt.

Während der drei kritischen Stunden gestern Morgen lief die Bergung auf dem unberechenbaren und ununterbrochen weiße Dampfwolken speienden Vulkan nach Plan. Lediglich der Fußmarsch der Bergungstruppe vom Landeplatz bis zu den Leichen am Kraterrand dauerte ein bisschen länger als vorgesehen, weil, so Clement, „die Schutzkleidung sehr schwer ist und die Männer in ihren Bewegungen einschränkt“.

Klobige Ausrüstung zum Schutz vor einer neuerlichen Eruption

Die Ausrüstung war so klobig, um die Soldaten für den Fall einer neuerlichen Eruption vor Verletzungen durch giftige Gase und Flüssigkeiten zu bewahren. Sie trugen gelbe Schutzanzüge mit Kapuzen, Beatmungsgeräte mit Sauerstoff für vier Stunden und Gasmasken. Auf Luftaufnahmen sahen sie aus wie bunte Ameisen in einem surrealen dunkelgrauen Aschemeer.

Dass die in den Vortagen aus Sicherheitsgründen abgelehnte Aktion trotz dieser großen Gefahr vonstattenging, lag sicherlich mit an dem öffentlichen Druck, der durch die in den Medien verbreitete Kritik und Wut der Familien der beiden vermissten einheimischen Tourenführer entstanden war. Die größte Angst der Angehörigen war, dass sie ihre Toten nicht begraben oder ihre Lieben gar vom Vulkan verschlungen werden könnten, wenn die Bergung nicht schnell genug in die Wege geleitet worden wäre.

In dieser Beziehung leidet Neuseeland ohnehin an einem Trauma: Die 29 Toten, die im November 2010 bei der Explosion in einem Kohlebergwerk an der Westküste der Südinsel (Pike River) starben, sind trotz der Versprechen wechselnder Regierungen bis heute nicht geborgen worden.

Die Forderung nach schnellem Handeln war berechtigt

Die Forderung der Angehörigen nach schnellem Handeln im aktuellen Fall war berechtigt, da die extrem säurehaltige Luft zum einen die Verwesung beschleunigt und zum anderen ein nach einer Eruption auftretendes Phänomen die Toten quasi in den Berg einzementieren könnte. Geologie-Professor Phil Shane von der Universität Auckland bestätigt diese chemische Reaktion, bei der sich Asche und Regenwasser nach einer Eruption verbinden, und beim Trocknen wird die Masse so fest wie Zement.

Sollte nur einer der beiden Vermissten nicht gefunden werden, wäre dies der Anfang vom Ende von Whakaari – White Island in der Maori-Sprache – als Touristenattraktion, mit der ein Anbieter von Bootstouren und drei Helikopter-Unternehmen jahrzehntelang gut verdient haben.

Bliebe ein Toter an dem wütenden und meistens ohne Vorwarnung ausbrechenden Vulkan zurück, würde die Insel für die Maori für immer heilig – „tapu“ in ihrer Sprache, daher kommt das Wort „Tabu“ – und damit unantastbar, und die Maori müssen in Neuseeland nicht nur, aber ganz besonders bei kulturell derart sensiblen Themen konsultiert werden. „Dann“, sagt der Maori-Älteste und Kulturreferent Pouroto Ngaropo, „wird Whakaari ein Friedhof, ein lebender, atmender Vorfahr, der zur Ruhestätte für unsere verehrten Toten wird.“

Whakatane müsste sich neu erfinden, um Urlauber anzulocken: mit den ungefährlichen Naturschönheiten, derer sich die Stadt rühmen kann, den weißen Sandstränden und den meisten Sonnenstunden im ganzen Land.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

9. Dezember 2019

Ich poste meine Texte über den Vulkanausbruch und die dramatischen Folgen fortlaufend auf dieser Seite, mit Ausnahme eines Interviews mit einer deutschen Ärztin.

* Update:

Wie mittlerweile bekannt ist, flogen private Hubschrauberpiloten trotz des Flugverbots nach White Island und transportierten viele Verletzte nach Whakatane. Wahre Helden.

Update 29. Januar 2020

Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf 21 gestiegen, nachdem einige Patienten in Krankenhäusern in Neuseeland und Australien gestorben sind.