04.02. Der einsame Tölpel

Das traurige Ende der Geschichte von 'Nigel no mates'

Fünf Jahre hatte der 90 Zentimeter große Seevogel auf Mana Island, einer unbewohnten Insel nördlich von Neuseelands Hauptstadt Wellington als einziger Vertreter seiner Spezies gelebt, als einsamster Tölpel der Welt, und vor gar nicht allzu langer Zeit hatte die frohe Kunde die Runde gemacht, dass sich drei weitere Tölpel auf der feindfreien Insel angesiedelt haben, vielleicht der Grundstein zu einer Brutkolonie.

Doch Nigel hielt sich von seinen Artgenossen fern, denn er war hin und weg von einer lebensecht angepinselten Tölpelattrappe aus Beton, die er anbalzte und für die er kurz vor seinem Tod ein ringförmiges Hügelnest aus Erde und Zweigen baute. Jetzt fand der Wildhüter Chris Bell den weißen Vogel mit dem orange-sonnengelben Kopf und den schwarzen Schwingen tot in diesem Nest, direkt neben seiner Angebeteten.

„Ich bin unglaublich traurig, nachdem ich ihn jahrelang neben seiner Freundin aus Beton habe sitzen sehen“, sagte Bell, „es wäre schön gewesen, wenn er noch ein paar Jahre durchgehalten und eine echte Partnerin zum Brüten gefunden hätte. Sein Tod ist irgendwie das falsche Ende der Geschichte. Er ist am Beginn einer großen Sache gestorben.“

Ein Muster an Zähigkeit nach Kiwi-Art

Als Nigel starb, war er allein – und auch wieder nicht. Ob er sich einsam fühlte, bevor er für immer einschlief, weiß niemand wirklich. Ob er zufrieden war oder gar glücklich, auch darüber gibt es nur Vermutungen, denn Nigel war ein Australtölpel (Morus serrator), über dessen Seelenleben Menschen nur Vermutungen anstellen konnten.

Liebevolle Begegnung von Tölpeln mit echtem Partner in der Kolonie am Muriwai Beach.

Copyright (alle Fotos):

Sissi Stein-Abel

Foto links:

Junggesellen wie diese beiden halten sich abseits der Brutkolonie auf, um dem aggressiven Territorialverhalten der brütenden Männchen aus dem Weg zu gehen.

Foto links:

Tölpel mit flauschigen Küken auf ihren kleinen Hügelnestern, die eigentlich nur Platz für ein Tier bieten.

Foto links und unten:

Festlandskolonie am Muriwai Beach.

Die Nachricht von Nigels Tod rührte viele Neuseeländer zu Tränen. Der einsame Vogel, der sich liebevoll um die Attrappe kümmerte, seinen Kopf an ihrem Hals rieb und stets hoffnungsfroh blieb, obwohl seine Zuneigung niemals erwidert wurde: ein Muster an Zähigkeit ganz nach dem Geschmack der Menschen hierzulande. „Ich denke, es muss eine ziemlich frustrierende Existenz gewesen sein“, mutmaßte der Ranger, „es muss sehr seltsam für ihn gewesen sein, dass nie etwas zurückkam. Er tut uns so leid, weil er in dieser aussichtslosen Situation steckte.“ Daher rührte auch sein Name: „Nigel no mates“ werden in Neuseeland Männer genannt, die keine Freunde haben.

Mana Island ist eine jener Inseln rund um Neuseeland, auf denen Schädlinge wie Possums, Marder, Ratten und Mäuse ausgerottet wurden, um das Überleben gefährdeter Tierarten zu ermöglichen. Mit 80 Lockvögeln aus Beton versuchte die Naturschutzbehörde DOC (Department of Conservation), vor der Südwestküste der Nordinsel wieder Tölpel anzusiedeln. Nachdem aber nur Nigel gelandet war und der sich in diese ganz besondere Betonfigur verguckte, anstatt ein echtes Weibchen zu suchen und mitzubringen, wurden die Attrappen 2016 frisch gestrichen. Erst im vergangenen Dezember wurden die Lautsprecher, die Vogelstimmen aussenden, neu justiert, und prompt ließen sich die drei Artgenossen nieder, wenn auch in einiger Entfernung von Nigel, der keine Anstalten machte, sich mit dem Trio anzufreunden.

Beste Beobachtungsposten am Cape Kidnappers und Muriwai Beach

Die größten Brutkolonien Neuseelands mit jeweils mehr als 10.000 Brutpaaren befinden sich auf Gannet Island (gannet = Tölpel) vor der Waikato-Küste, auf der Vulkaninsel White Island in der Bay of Plenty und auf Three Kings Island nördlich der Nordinsel. Am besten kann man die Seevögel, die eine Flügelspannweite von fast zwei Metern haben, auf den Festlandskolonien am Cape Kidnappers bei Napier und am Muriwai Beach nördlich von Auckland beobachten.

Ihre Köpfe sehen wie gemalt aus, denn feine schwarze Linien umrahmen die spitz zulaufenden blassblauen Schnäbel und blauen Augen und erwecken den Anschein, als hätte jemand mit Kohlestift die Konturen nachgezeichnet. Die schwarzen Linien sind jedoch unbefiederte Hautpartien. Vom Beinansatz bis zu den Krallen der schwarzgrauen Ruderfüße verlaufen über den Knochen zitronengelbe Linien, die ebenfalls wie nachgezeichnet wirken. Spektakulär sind die Tauchgänge der Tölpel zum Beutefang. Dazu steigen sie bis zu 30 Meter in die Höhe, winkeln die Flügel an und schießen, mit dem Kopf voraus, mit bis zu 145 Stundenkilometern wie ein Torpedo senkrecht ins Meer. Von Juli bis März sind die Vögel in den Brutkolonien. Die Nester werden auf vegetationsfreiem Untergrund zu ringförmigen Hügeln aufgeschichtet und bestehen aus Seetang, Gras, Erde und Zweigen. Die Tiere tun sich üblicherweise jedes Jahr mit demselben Partner zusammen.

Die Küken schlüpfen nach 44 Tagen. Mit ihrem buschigen Flaum sehen sie aus wie mit Badeschaum bedeckt. Bereits nach 15 Wochen verabschieden sich die Jungvögel in Richtung Australien, wo sie ihre Jugendjahre verbringen. Erst nach drei Jahren kehren sie in ihre Brutkolonie zurück und brüten erstmals mit vier bis sieben Jahren. Das ist für Nigel nur ein Traum geblieben.

INFO

87 Prozent der Australtölpel, auch: australischer Tölpel (Morus serrator), brüten in Neuseeland, der Rest in Australien. Nachdem die Zahlen bis 1947 auf 27.000 Brutpaare gesunken waren, gibt es jetzt wieder zwischen 65.000 und 70.000 Brutpaare. Die größte Gefahr droht ihnen nicht von Säugetieren, die von Wildhütern und freiwilligen Helfern ausgerottet werden, sondern von Dominikanermöwen, die Eier aus den Nestern fressen.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)