24.09. Masern-Epidemie NZ

Noch immer keine Impfpflicht trotz Rekordzahlen

CHRISTCHURCH. Als die US-Regierung kürzlich eine Reiseempfehlung für Neuseeland herausgab, waren einige hochrangige Stellen und natürlich auch die Tourismusbehörde im Land der Kiwis leicht verschnupft. Aber wer die tägliche Statistik verfolgt, muss sich nicht wundern. Höchstens darüber, dass die Politik in Neuseeland noch nicht dem Beispiel Deutschlands gefolgt ist und die Masern-Impfpflicht einführt hat. Der Inselstaat im Südpazifik erlebt nämlich eine Masernepidemie ungekannten Ausmaßes, die die außergewöhnlich hohen Zahlen in Europa und anderen Ländern in den Schatten stellt.

Neuseeland hat nur 4,9 Millionen Einwohner, aber 1.422 Masernfälle. Der internationale Vergleich zeigt, wie dramatisch diese Zahlen sind. Deutschland mit seinen 83 Millionen Einwohnern hatte laut Robert-Koch-Institut mit Stand vom 11. September 478 Fälle, Großbritannien mit einer Bevölkerung von 68 Millionen 532 Fälle und die USA mit 329 Millionen Einwohnern 1.241 Fälle – weniger als Neuseeland, obwohl in den USA 67.000 Mal so viele Menschen leben.

Oder: In Neuseeland kommt eine Masernerkrankung auf 3.445 Einwohner, in den USA ein Fall auf rund 265.000 Menschen und in Deutschland ein Fall auf 173.640 Personen – und bereits das finden die Gesundheitsbehörden besorgniserregend. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO infizierten sich 2018 in Europa 82.596 Menschen mit Masern, und 72 Kinder und Erwachsene starben an der Viruserkrankung. Nur sechs von 53 Ländern waren frei von Masern. In diesem Jahr sind die Zahlen fast überall in die Höhe geschnellt.

Süd-Auckland ist der Krisenherd

In Neuseeland ist die Millionenstadt Auckland, wo fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung lebt, der große Krisenherd. Fast 1.200 der 1.422 infizierten Menschen wohnen hier und der Großteil der Betroffenen wiederum im Süden der Metropole. Dort, in Manukau, leben keine Impfgegner, sogenannte Anti-vaxxers, die aus wissenschaftlich unhaltbaren Studien schließen, ihre Kinder könnten durch die Impfung an Autismus erkranken. Vielmehr ist die Gegend Heimat sozial schwacher Schichten und vieler Familien aus dem Südpazifik, die nicht informiert sind, aus kulturellen Gründen Vorsorgeuntersuchungen und -maßnahmen scheuen und oft auch kein Geld haben, um zum Arzt zu gehen.

Hier hat das Gesundheitsministerium angesetzt und Impfkliniken eingerichtet, in denen Reihenimpfungen stattfinden. Doch längst nicht jeder wird geimpft, sondern erst einmal die größten Risikogruppen – Kinder zwischen ein und fünf Jahren landesweit sowie junge Leute zwischen 15 und 29 in Auckland -, weil der Impfstoff Priorix knapp geworden ist. Erst in der vergangenen Woche trafen 52.000 Dosen des Vakzins im Land ein. Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass weitere 100.000 Dosen bestellt wurden.

Doch trotz der Impf-Offensive gibt es täglich neue Fälle, und durch die Mobilität der Leute verbreiten sie sich im ganzen Land. Seit 2012, so das Ministerium, seien sämtliche Masernerkrankungen in Neuseeland von Reisenden aus Übersee – und das können wiederum Einheimische gewesen sein – eingeschleppt worden.

Was in Deutschland im März 2020 Gesetz wird, wird angesichts der Epidemie in Neuseeland vielerorts praktiziert: Kindertagesstätten nehmen ungeimpfte Kinder nicht mehr auf, und manche Schulen mit Masernfällen fordern Eltern auf, ungeimpfte Kinder nicht zum Unterricht zu schicken. Nicht-immune Touristen, heißt es, sollen Süd-Auckland meiden. Dummerweise liegt dort der Flughafen.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)