17.03. Die rechte Szene
Die unterschätzte Gefahr von der anderen Seite
CHRISTCHURCH. Ein Mann, der ständig unterwegs war, der nicht nur in die Türkei, nach Bulgarien, Kroatien und Ungarn sowie zahlreiche Länder Afrikas und Asiens reiste, sondern auch nach Pakistan. Ein Mann, der einen Waffenschein und halbautomatische Gewehre besaß. Einer, der laut dem internationalen Sicherheitsexperten Paul Buchanan Verbindungen in die rechtsradikale Szene von Christchurch hatte. Warum konnte dieser Mann unter dem Radar der Sicherheitsbehörden in Neuseeland durchschlüpfen?
Warum hat der nationale Geheimdienst NZSIS (New Zealand Security Intelligence Service) die Warnzeichen nicht wahrgenommen, die Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch, aussendete? Nein, die Ideologie des Rassenhasses blieb so lange verborgen, bis der Australier wenige Minuten vor den Anschlägen auf die beiden Moscheen in Christchurch sein umfangreiches Manifest („The Great Replacement“), in dem er den norwegischen Massenmörder Anders Breivik und den bosnischen Kriegsverbrecher Radovan Karadžić glorifiziert, per Email an 70 Personen inklusive Premierministerin Jacinda Ardern schickte – zu spät, um das Blutbad zu verhindern.
Ganz einfach, sagt Buchanan, der in Neuseeland lebende ehemalige Sicherheitsberater der US-Regierung: „Weil die elektronischen Überwachungssysteme auf die Sprache radikaler Islamisten geeicht sind. Sie können die Ausdrucksweise von rechtsradikalen Rassisten nicht identifizieren.“ Premierministerin Jacinda Ardern hatte bereits am Freitag, direkt nach den Anschlägen auf die beiden Moscheen in Christchurch, eingeräumt: „Wir haben uns einseitig auf islamistischen Terror konzentriert.“
Eine Liste mit 30 bis 40 Gefährdern
Der NZSIS, der eine Liste von 30 bis 40 Gefährdern hat, schrieb in seinem jüngsten Jahresbericht, die Behörde arbeite hart daran, Bedrohungen zu identifizieren und zu bekämpfen, „aber es ist möglich, dass eine abgeschottete Einzelperson, von der diese Behörden nichts wissen, auf die Idee kommen könnte, einen Terroranschlag in Neuseeland zu verüben“. (Wobei mit „diese Behörden“ die Geheimdienste der „Five Eyes“-Allianz USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland gemeint sind.)
Die Gefahr von rechts existiert im Land der Kiwis durchaus und kann leicht unterschätzt werden, weil eine Minderheitsgruppe in einem Land mit nur 4,6 Millionen Einwohnern nicht sehr umfangreich ist. Kyle Chapman, der als Gründer der Nationalen Front (NZNF) in Christchurch über die Jahre mehrere kleine Neonazi-Aufmärsche organisierte und die Gründung einer weiß-europäischen Gemeinde in der Region ankündigte, wurde eher als armer Irrer betrachtet denn als Gefahr, erst recht, als er 2004, 2007 und 2013 bei der Bürgermeisterwahl in Christchurch kandidierte.
Der mittlerweile 47 Jahre alte Chapman ist vorbestraft. Er warf eine Brandbombe auf einen Marae, eine Versammlungsstätte der Maori, und schleuderte mehrmals Molotow-Cocktails auf Gebäude, inklusive einer Schule. In Auckland plante er vor einigen Jahren einen Marsch gegen die wachsende Zahl chinesischer Einwanderer. Beim letzten Versuch, Bürgermeister von Christchurch zu werden, erhielt er 499 Stimmen, und die Frage lautet: Entspricht diese Zahl dem Gefahrenpotential aus der rechten Ecke?
"Den Anschlag zwei Jahre lang geplant"
Sicherheitsexperte Buchanan spricht zwar davon, Brenton Tarrant habe Verbindungen in die rechte Szene von Christchurch gehabt, obwohl er in der 400 Kilometer südlich gelegenen Stadt Dunedin lebte und als Fitnesstrainer arbeitete, aber der Attentäter sagte in seinem Manifest, er habe die Tat alleine vorbereitet.
Seine anti-muslimische Haltung verschärfte sich auf Reisen durch Westeuropa in den vergangenen zwei Jahren. „Den Anschlag habe ich zwei Jahre lang geplant, und obwohl Neuseeland eigentlich nicht meine erste Wahl dafür war, habe ich mich drei Monate vorher für Christchurch entschieden“, schrieb er.
Die Stadt sei als Ziel so lohnend wie jede andere in der westlichen Welt, und die Anschläge würden Einfluss auf die Politik der USA und die Weltpolitik nehmen. Sein Ziel ist klar: Die Berichterstattung über das Massaker an Muslimen, die im vermeintlichen Paradies Schutz vor Gewalt und Krieg in ihren Heimatländern suchten und letztlich doch nicht fanden, soll Entsetzen und Fassungslosigkeit in der ganzen Welt auslösen. Wenn das gelinge, könnte sich niemand auf der ganzen Welt mehr sicher fühlen.
INFO
Die Behörden der von Brenton Tarrant in der jüngeren Vergangenheit besuchten Länder ermitteln nun die Bewegungen des Australiers: was er unternommen und ob er sich mit Einheimischen getroffen hat. In einem offiziellen Statement aus Bulgarien heißt es, der Australier habe sich für die historischen Stätten der Kämpfe der Muslime und Osmanen interessiert. Seine vielen Reisen soll der Attentäter von Christchurch, der seit Abschluss seiner Schulzeit als Fitnesstrainer arbeitete, durch erfolgreichen Handel mit einer Kryptowährung und eine Erbschaft finanziert haben.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)