10.05. Kleine Fluchten

Ein gewaltiger Schreck mitten in der Nacht

Ich bin sicherlich in der Lage, über andere Dinge als Erdbeben zu schreiben. Aber auch heute bewegt mich das Thema, weil wir in der vergangenen Nacht kurz nach 3 Uhr von einem 5,3-Rumpler aufgeweckt wurden und senkrecht im Bett saßen.

Das heißt schon was, denn seit dem großen Beben am 22. Februar hat mich kaum einmal ein Nachbeben geweckt, erschüttert oder um den Schlaf gebracht.

Dabei hatten wir diesmal sogar Glück, dass das Epizentrum des Nachbebens nicht auf "unserer" geologischen Verwerfungslinie lag (Port Hills Faultline), wie die meisten Nachbeben seit Februar, sondern auf der so genannten Greendale Faultline, die das 7,1-Beben im vergangenen September ausgelöst hatte. Das Epizentrum war in Rolleston, rund 30 Kilometer westlich von Lyttelton gelegen und 20 Kilometer von Christchurch City entfernt, in einer Tiefe von 15 Kilometern. "Unsere" Nachbeben vor der Haustür sind meist nur fünf Kilometer tief.

Diese Entfernung und der Schreck über das sekundenlange Rumpeln lösen durchaus ein mulmiges Gefühl aus, denn ein Nachbeben dieser Stärke ist auch auf "unserer" Verwerfungslinie noch möglich. Ehrlich, es kann mir gestohlen bleiben, ich habe allmählich die Nase voll von den Erschütterungen. (Und auch von dem Typ vor dem Haus, der im Nachbarhaus etwas repariert und jedesmal die Autotüren mit solcher Wucht zuschlägt, dass das Haus wackelt und ich jedesmal zusammenzucke!)

Drei Tage in Wellington

Es war eine herrliche Abwechslung, in der vergangenen Woche für drei Tage nach Wellington zu flüchten. Das schönste auch an diesem Ausflug war, ein paar Tage ohne Nachbeben zu verbringen und durch Straßen ohne Erdbeben-Schäden und Absperrungen zu spazieren, nach Herzenslust Läden zu durchstöbern und es mir in Restaurants und Cafés gut gehen zu lassen.

Das Wetter war zwar nicht durchgehend berauschend, aber auch nicht so schlecht, dass man nichts hätte unternehmen können. Da ich die Hauptstadt sehr gut kenne und schon so ziemlich alles gesehen habe, besuchte ich diesmal das aufgemöbelte historische Haus, in dem Neuseelands berühmteste Schriftstellerin, Katherine Mansfield, aufwuchs.

Bislang hatte ich einen Bogen darum gemacht, weil ich noch keines ihrer Werke gelesen habe. Einige Geschichten spielen in diesem Haus, und vieles ist autobiographisch, so dass ich nun die Gelegenheit beim Schopf packen und eines ihrer Bücher lesen sollte, um die frischen Eindrücke nicht verblassen zu lassen. Zudem fesselte mich die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser Frau, die mit nur 34 Jahren starb.

Natürlich habe ich den Aufenthalt nicht nur zu meiner literarischen Fortbildung genutzt, sondern zu wesentlich banaleren Dingen. Zum Beispiel Türkisch und Italienisch essen zu gehen. Das war in Christchurch schon vor dem Erdbeben schwierig. Kimi, mein Reisebär, besuchte Boris, einen noch viiiel größeren Bär im gelben Rugby-Trikot der Hurricanes, der vor einem Bärengeschäft namens "Bears with Attitude" steht. Und ich traf mich mit einer Freundin aus Karapiro, die ihre Schwester und Tochter in Wellington besuchte.

Im Gegensatz zu Christchurch ist Wellington wirklich eine Multi-Kulti-Stadt, in die es offenbar sämtliche - siehe meine Restaurant-Präferenzen - nach Neuseeland auswandernden Italiener und Türken zieht. Auch Einwanderer von sämtlichen Südsee-Inseln sind überall zu sehen. Im Vergleich dazu ist Christchurch ziemlich eindimensional: wenig Maori, viele Engländer, viele Asiaten, dazu kleine Gruppen von Europäern, insbesondere Niederländer und Deutsche. Wobei ich immer den Eindruck haben, dass es die Holländer leichter haben, gute Jobs zu finden. Warum? Ich habe da einen Verdacht...

Abriss-Wut in Lyttelton

Abrissarbeiten in Lyttelton

Harbour Light Theatre

Hier in Lyttelton sind in der Zwischenzeit die meisten schwer beschädigten Gebäude in der Hauptstraße, der London Street, und der Uferstraße (Norwich Quay) abgerissen worden. Die London Street ist kaum wiederzuerkennen. Das Harbour Light Theatre, das mit seinem beiden mächtigen ockerfarbigen Betontürmen das Straßenbild dominiert hatte, ist verschwunden, ebenso das historische Empire Hotel, das knallgelbe Volcano Café, die dazu gehörende Lava-Bar, das Delikatessen-Geschäft namens Ground. Und so weiter, und so fort.

Dank der Beseitigung dieser einsturzgefährdeten Gebäude ist die London Street nun wieder offen, einige Läden und ein Café konnten endlich wieder aufmachen. So kehrt wieder ein bisschen Normalität ein. Ich hatte mich schon an die mobilen Fressbuden gewöhnt... Erstaunt bin ich darüber, dass ich mich so schnell an den neuen Look mit den vielen Baulücken gewöhnt habe. Ich hoffe, dass sie nicht bloß irgendwelche billigen Schuhschachteln an die Stelle der eingestürzten und abgerissenen Gebäude stellen, sondern architektonisch ansprechende Häuser, die man seinen Gästen mit Stolz präsentieren kann.

Hausinspektion und Renovierungen

Das kann man hoffentlich auch bald wieder von unserem Haus sagen. Überraschenderweise fand bereits in der vergangenen Woche die Inspektion (full assessment) unseres Hauses durch die staatliche Versicherung (Earthquake Commission/EQC) statt. Im Großen und Ganzen stellten die beiden Schadensschätzer fest, dass bis auf eine Toilette sämtliche Räume renoviert werden müssen, weil überall feine Risse repariert werden müssen.

Das bedeutet, dass sämtliche Decken und Wände gestrichen bzw. neu tapeziert werden müssen. Der Küchenboden und der Boden im Eingangsbereich sollten ersetzt werden. Außerdem müssen die Risse außen am Haus verspachtelt, verputzt und danach das ganze Haus gestrichen werden. Sollten die Bürohengste alles abzeichnen, hätten wir hinterher fast ein neues Haus...

Das Unglaubliche ist, dass die Assessoren der Versicherung schneller waren als die Firma, die bei uns einige wenige Notreparaturen durchführen sollte. (Der Besuch war ja in der Woche vor dem 22. April angekündigt...) Der Winter hat begonnen, auch wenn wir zwischendurch wunderbare milde Sonnentage haben, und wir können unseren (verrutschten) Pellet-Ofen noch immer nicht benutzen. Die eingestürzte Stützmauer liegt noch immer da wie im Februar, und im Treppenhaus brennt kein Licht.

Ich friere gerade neben einem mobilen Ölheizer vor mich hin und mag mir gar nicht vorstellen, wie es bei Leuten ist, bei denen das Dach, die Wände und Fenster nicht dicht sind.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese von der Regierung so großzügig eingesetzte Firma (Fletcher Building) anderswo viel flotter arbeitet. Diese Trantütigkeit ist eine Schweinerei. Wir haben mittlerweile von mehreren Seiten gehört, dass man die Fletcher-Leute direkt anrufen und in den Hintern treten muss. Wenn ihnen die EQC-Sachbearbeiter Aufträge geben, sagen sie wahrscheinlich Jaja und tun nichts. Aber alle Welt schimpft auf die EQC.

Wir sind nun gespannt, ob es die Fletcher-Leute schaffen, ihren nächsten Termin einzuhalten. Die EQC-Inspektoren haben schriftlich festgehalten, dass unsere Notreparaturen innerhalb einer Woche durchgeführt werden müssen, vor allem der Pellet-Ofen als unsere primäre Heizquelle. Morgen geht diese eine Woche zu Ende...

... und die neue Lücke: