07.06. Abschied von Shrek
Das berühmteste Merinoschaf der Welt ist tot
... und warum mich das berührt.
Vielleicht, dachte ich schon, weil ich die Tiere in Neuseeland lieber mag als die Menschen - mit Ausnahme von John natürlich, meinen Freunden und einigen herausragenden Menschen, die Gutes tun, ohne nach öffentlichen Lobpreisungen zu schielen ;-)
Die Tiere lechzen nicht danach wie so viele Menschen hier, nicht bloß gut, sondern in allem die Besten der Welt zu sein. Die green-sten und clean-sten, die genialsten, die talentiertesten, die "world leaders" in Städteplanung, Gartenpflege, ja, sogar im Trauern. In punkto Gewalt gegen Kinder, Kriminalität, Alkoholmissbrauch und Fettleibigkeit haben sie's ja schon geschafft ;-)
Ich habe natürlich ein Herz für Tiere, wenn es sich nicht um dauerbellende Hunde und vogelkillende Nachbarskatzen handelt. Ich bin ein mitfühlender Mensch, ganz besonders wenn es um Kiwis mit gebrochenem Schnabel, Koalas mit angesengtem Fell (natürlich nicht hier in Neuseeland, sondern nebenan in Australien) oder gestrandete Pinguine geht. Und die Geschichte von Shrek, dem Merinohammel, der sich jahrelang in den Bergen von Central Otago versteckte, bis sein Fell so dick und schwer war, dass er nicht mehr laufen konnte, hat mich natürlich auch bewegt.
„Fahren Sie einfach rechts ums Haus herum, an der Wollscheune vorbei, dann nach links, und in dem Gebäude mit der Veranda ist Shrek“, erklärt der Farmer. „Sie gehen die Treppe hoch, ziehen das Tor auf, und drin sind Sie. Dann können Sie Shrek schon mal fotografieren und sich mit ihm unterhalten.“ Und wenn Shrek fremdelt? „Na ja“, sagt Perriam, „nachdem er vor ein paar Tagen erster Klasse in einem Privatjet fliegen durfte, ist er vielleicht ein bisschen hochnäsig. Dann nehmen Sie einfach eines der beiden roten Seile und legen es ihm um den Hals. Dann weiß er, dass er keine Faxen machen darf.“ Aha. Shrek allein zu Haus. Oh Schreck!
Aber der wollige Vierbeiner, der im April 2004 weltweite Berühmtheit erlangte, als er nach sechsjährigem Eremitenleben mit 27 Kilo Wolle auf dem Leib in einer Höhle der felsigen Bendigo Mountains entdeckt wurde, ist Publikum gewöhnt.
Vor zweieinhalb Jahren habe ich Shrek zu einem Interview besucht. Diese Geschichte hänge ich an diesen Text an. Sie zeigt, wieviel Gutes Shrek - als Begleiter seines Besitzers John Perriam - getan hat, durch seine bloße Existenz nach der glücklichen Rettung aus einer Höhle. Wie er lebte, war fast surreal, wie für ein Märchenbuch ersonnen. Auch das trug zu seiner Popularität bei - und ließ uns vielleicht träumen, dieses menschliche Schaf sei unsterblich. Das ist Shrek natürlich auch: durch die Erinnerungen und die drei Bücher, die über ihn geschrieben wurden - zwei Kinderbücher und seine Memoiren.
Als ich gestern von Shreks Tod hörte, habe ich schnell einen Nachruf zusammengeschrieben - und erst danach einige Tränen vergossen... Shrek war 16 Jahre alt, das entspricht ungefähr 90 Menschenjahren. Er litt an altersbedingten Zipperlein, hatte Durchblutungsstörungen und Probleme mit der Vorderfüßen. "Er hatte Schmerzen und wollte schlafen", sagte John Perriam, der Shrek nach Konsultation eines Tierarztes einschläfern ließ.
Der wohlhabende Farmer plant, Shrek einäschern zu lassen und die Asche über dem Mt. Cook zu verstreuen. In der Kirche des Guten Hirten (Church of the Good Shepherd) am Lake Tekapo soll dieses außergewöhnlichen Merinoschafs gedacht werden.
Rendez-vous mit Shrek
TARRAS. Verabredung mit Shrek, dem Schaf. Die Haustür und die Fenster des herrschaftlichen Farmhauses der Bendigo Station stehen an diesem sommerheißen Tag zwar sperrangelweit offen, aber das ist in der Einöde Central Otagos, tief drunten im einsamen Süden Neuseelands, üblich. Von Mensch und Tier keine Spur.
„Ich musste dringend weg“, sagt John Perriam, der Herr des prächtigen Anwesens, der umliegenden Berge und des weltberühmten Merinohammels, am Handy. „Aber Shrek erwartet Sie.“ Wie? Was? Wo?
Shrek und John Perriam auf dem Flug auf den Eisberg, der vor der Küste Otagos schwamm. Dieses Foto hängt an der Wand in Shreks "Haus". Dort habe ich es abfotografiert, ebenso wie das Bild unten von der Schur auf dem Eis.
Shrek bei meinem Besuch im November 2008. Er war nach einer wohltätigen Veranstaltung auf dem Sky Tower in Auckland frisch geschoren.
Er hat dem neuseeländischen Parlament in Wellington und der vor einem Monat abgewählten Premierministerin Helen Clark einen Besuch abgestattet, ließ sich nach einem Hubschrauber-Flug auf einem vor der Ostküste Neuseelands treibenden Eisberg scheren, hat Ausstellungen und Landwirtschaftsschauen eröffnet, unzählige Schulklassen-Besuche klaglos ertragen. Als Jetsetter ist er 20-mal im Flugzeug und Helikopter durchs ganze Land gereist. „Er ist mehr geflogen als die meisten Neuseeländer“, sagt der Farmer, der 25.000 Merinos besitzt.
Jetzt hebt Shrek kurz den Kopf und starrt – ja, wohin eigentlich mit einem nach links und einem nach rechts gerichteten Auge?
Sein Fell ist weiß und kurz geschoren. Kein Vergleich zu dem schmutzig-ockerfarben Wollberg, mit dem ihn eine Schaftreiberin vor viereinhalb Jahren fand. Damals konnte er sich kaum noch bewegen und wurde in Sicherheit getragen.
Auch dieses Foto hängt in Shreks Haus auf der Bendigo Station.
Erst vor ein paar Tagen hat er auf dem Sky Tower in der Millionenstadt Auckland, auf der Nordinsel, sein auf zehn Kilo angewachsenes Fell gespendet. Seit seiner Rettung hat er für „Cure Kids“, eine wohltätige Organisation zur Unterstützung schwerkranker Kinder und damit verbundener Forschungsprojekte, mehr als 100.000 NZ-Dollar (43.000 Euro) gesammelt und indirekt mit seinem Engagement ein Vielfaches dieser Summe in die Kassen gebracht.
„Das ist sein Dank dafür, dass er noch am Leben ist“, sagt John Perriam, der dem mittlerweile 14 Jahre alten Tier Altersteilzeit verordnet hat. „Er soll weniger Pflichten übernehmen“, sagt er. „Keine Flüge mehr, bloß noch Auftritte in der Umgebung.“
Der direkte Draht zu Shrek.
Als der 62-jährige Farmer dies kürzlich im Rundfunk und Fernsehen bekanntgab, „riefen mich viele Leute an, die sich um Shrek Sorgen machten“.
Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Merinoschafes, das sein Leben in den rauen Bergen Central Otagos verbringt, ist sieben Jahre. Dann enden alle außer Shrek im Kochtopf, weil sie zu wenig Wolle für feinstes Tuch produzieren.
Shreks Heim ist weniger ein Stall als ein Haus mit großen unverglasten Fenstern. Es hat rund 120 Quadratmeter Fläche und ist mit niedrigen Gittern locker aufgeteilt in den Geburtstagstorten-Bereich, ein Fresszimmer, einen Ruheraum und diverse Flure.
An den Holzwänden hängen riesige gerahmte Fotos und Poster von seinen Abenteuern, über den Gittern seine roten Mäntel mit aufgenähtem Namen.
Buchpremiere.
Die eineinhalb Meter hohe dreistöckige Geburtstagstorte mit aufgeklebten Schafen und schiefen grünen Kerzen oben drauf ist aus Pappe.
Kinder aus Tarras, dem nächstgelegenen Ort, rund 30 Kilometer östlich von Wanaka, haben sie gebastelt. Sie haben auch Shreks Geschichte aufgeschrieben, die in zwei Hochglanz-Kinderbüchern veröffentlicht wurde.
Raus und rein: Shrek spazierte einige Male rund um sein Anwesen, ehe er sich lammfromm an die Leine nehmen ließ.
Eine Türöffnung führt auf eine schattige Veranda mit Blick auf die Gebirgszüge der Dunstan Ranges. Der Boden hier und im Haus hat Ritzen, so dass Shreks Mist auf einfachste Weise entsorgt wird und seine Hufe – und Besucherschuhe - sauber bleiben. Von der Veranda führt eine kurze Rampe hinunter auf eine kleine Weide mit saftigem Gras.
Shrek wirkt aufmerksam, aber nicht wirklich begeistert. Er hört sich das Gerede seines auf Augenhöhe in die Hocke gegangenen Gastes an, aber an Streicheleinheiten ist er zunächst nicht interessiert. Wenn er Abstand haben will, stampft er kurz mit dem rechten Vorderhuf auf. Vermutlich die Starallüren, die John Perriam erwähnte...
Der König der Merinos blickt über sein Reich.
Angst, dass Shrek angreifen könnte, ist überflüssig, denn er ist kastriert und hat nur zwei kurze Hörnchen, nicht die riesigen geschwungenen Hörner, die wilde Widder tragen. Er ist ein sanftmütiger Hammel, der seinen Besitzer an der Stimme und am Geruch erkennt. Immer wieder stellt er sich fotogen neben die Torte, aber auf einen kurzen Spaziergang auf die Weide hat er – vielleicht wegen der Hitze – keinen Bock. Vielleicht wäre das rote Seil einen Versuch wert?
Kaum zu glauben: Widerstandslos lässt sich Shrek das lose Lasso über den Kopf und das in Falten vom Hals hängende Fell ziehen – und ist plötzlich lammfromm. Er lässt sich streicheln, bis die Hände vom Lanolin, das die feine gekräuselte Wolle der Merinos umhüllt, wie mit Creme aus der Tube eingefettet sind. Er stöckelt wie ein dressierter Hund bei Fuß auf die Weide und zurück ins Haus, ohne dass man an der Leine ziehen muss.
Kaum vom roten Seil befreit, hat Shrek wieder seinen eigenen Kopf und besteht auf einen halben Meter Abstand. Also gibt’s zum Abschied keinen Knuff aufs Fell. „Schöne Grüße von Shrek“, sagt John Perriam, der gerade an einem Shrek-Museum in Tarras arbeitet, das im kommenden März eröffnet werden soll, später am Telefon. „Er entschuldigt sich dafür, dass er zwischendurch ein bisschen bockig war.“
Der Farmer muss es wissen. Zweimal am Tag redet er mit Shrek.
Ruhe in Frieden, Shrek. Rest in peace.
Auch Kimi der Bär sagte Hallo.