12.07. Flaggen-Diskussion

Mitten in einer Posse aus Absurdistan made in NZ

Der Professor Emeritus ist Vorsitzender eines unabhängigen zwölfköpfigen Gremiums, das zwei Monate lang unterwegs war, um mit Neuseeländern über die Zukunft der Nationalflagge zu diskutieren. Doch die waren nicht an einer Debatte interessiert, sondern machten ihrem Ärger online Luft.

Wenn Umfrage-Ergebnisse der Maßstab sind, dann befindet sich das Land der Kiwis mitten in einer Posse aus Absurdistan. Je nach Meinungsforschungsinstitut oder Medienkanal lehnen zwischen 75 und 88 Prozent ein neues Banner ab.

Der Countdown für zwei Referenden läuft

Unverdrossen aber setzt die Regierung den Countdown in Richtung zweier Referenden fort, in denen die Neuseeländer per Briefwahl zunächst entscheiden sollen, welches der vier von der Zwölfer-Kommission ausgewählten Designs ihnen am besten gefällt, und erst dann, vermutlich im März 2016, ob sie eine neue Flagge wollen oder nicht.

10.292 Skizzen und Drucke sind auf eine eigens dafür eingerichtete Website (https://www.govt.nz/browse/engaging-with-government/the-nz-flag-your-chance-to-decide/) bis zum Abgabeschluss am 16. Juli hochgeladen worden, von unverwechselbaren Kreationen mit Silberfarn und Kreuz des Südens über skurrile Darstellungen des kugeligen Kiwi-Vogels und buntes Kindergekritzel bis hin zu detailverliebten, überladenen Rechtecken und witzigen Verrücktheiten. Die Vorgabe war, Motive zu wählen, die die kulturelle Identität des Inselstaates im Südpazifik widerspiegeln.

John Burrows ist kein Popstar, sondern ein respektierter Rechtswissenschaftler. Aber dass seine Tournee durch Neuseeland als totaler Flop enden würde, hatte auch er sich nicht albträumen lassen. Einmal dreizehn, einmal zwanzig Besucher in der Millionenstadt Auckland, vierzehn Besucher in Christchurch, der zweitgrößten Stadt der Nation, und egal, wo er auftauchte, überall herrschte gähnende Leere.

Link zu den Flaggen-Entwürfen:

https://www.govt.nz/browse/engaging-with-government/the-nz-flag-your-chance-to-decide/gallery/

Update Ende Juli 2015:

Weil die Labour-Partei nichts Kluges zur Flaggendiskussion beizutragen hat, hat der Vorsitzende, Andrew Little, angeregt, doch bitte lieber eine neue Nationalhymne zu erfinden, die alte sei ein Trauerlied. Und ich hatte bis vor einigen Wochen gedacht, der Mann hätte an Profil gewonnen ;-)

Die Mehrzahl der Entwürfe nimmt Symbole auf, die weltweit längst für Neuseeland stehen. Sämtliche Sport-Mannschaften tragen bei internationalen Wettbewerben den Silberfarn auf den meist schwarzen Trikots, und der Koru, ein sich aufrollendes Farnblatt, ist das Logo der nationalen Fluggesellschaft Air New Zealand.

Die seit 1902 gehisste blaue Flagge - der britische Union Jack im linken oberen Viertel und vier Sterne als Symbol für das Kreuz des Südens im Flugteil - erzählt die Kolonialgeschichte seit der Besiedlung durch die Briten vor 200 Jahren und ignoriert 800 Jahre Maori-Vergangenheit. Aus diesem Grund flattert bei offiziellen Anlässen oft die Maori-Fahne, die Tino Rangatiratanga, parallel dazu im Wind.

Das größte Problem des nationalen Symbols ist jedoch, dass außer Neuseeländern und Australiern kaum jemand die Flaggen der beiden Nachbarländer unterscheiden kann.

Auf der australischen Fahne, die sinnigerweise von einem Neuseeländer gestaltet und 1909 zum ersten Mal gehisst wurde, prangt unter dem Union Jack ein weißer Commonwealth-Stern, und rechts daneben symbolisieren fünf weiße – anstelle der vier weiß umrandeten roten Sternchen auf dem neuseeländischen Banner – das Kreuz des Südens.

Kanada hat vorgemacht, wie man unverwechselbar wird

Es entbehrt nicht der Ironie, dass 1985 zur Begrüßung des damaligen australischen Premierministers Bob Hawke in Kanada aus Versehen die neuseeländische Flagge hochgezogen wurde. Es war wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, denn Kanada hatte es den ozeanischen Nachbarländern 1965 mit der Einführung der rot-weißen Flagge mit dem Ahornblatt vorgemacht, wie man für die ganze Welt unverwechselbar wird und nebenbei die nationale Identität stärkt.

Warum also dieser Widerstand in Neuseeland? Die beiden Hauptargumente sind Geldverschwendung (die Referenden und PR-Aktionen kosten rund 15,6 Millionen Euro) und die vermeintlich frevelhafte Auslöschung der Verdienste der Soldaten, die unter der aktuellen Fahne in den beiden Weltkriegen gestorben seien. Das Argument, dass sie nicht für die Flagge, sondern für Freiheit und Demokratie gekämpft haben, verhallt ungehört.

Das historische Umfragen-Tief – bei der Tageszeitung New Zealand Herald sank die Zustimmung für den Flaggenwechsel innerhalb eines Jahres von 40 auf 25 Prozent – steht vermutlich in Zusammenhang mit den emotionsgeladenen Feierlichkeiten zum 100. ANZAC Day, dem fast schon mit hysterischer Trauer begangenen Kriegsgedenktag am 25. April.

Es geht um die Flagge, nicht um Republikbestrebungen

Auch Geschichte und Kulturerbe – die Verbundenheit zum einstigen Mutterland und zum Commonwealth – werden immer wieder liebevoll-verklärt erwähnt. Aus diesem Grund wird Premierminister John Key, dem vorgeworfen wird, sich mit einer neuen Flagge ein Denkmal setzen zu wollen, nicht müde zu betonen: „In der Flaggendiskussion geht es nur um die Flagge, nicht um Republikbestrebungen und die Abkehr vom Commonwealth.“

Den Zeitpunkt der Referenden hat die Regierung taktisch klug gewählt: weit weg von den nächsten Parlamentswahlen Ende 2017 und schon gar nicht in Verbindung mit dieser Abstimmung. Nicht dass jemand aus Wut über die Flaggenfrage ein falsches Kreuzchen setzt.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)