Tod bei Segelflug-WM
Absturz im Segelflieger-Paradies
Von Sissi Stein-Abel
OMARAMA. „Schau mal“, sagte Herbert Weiß und hob seine Brille von der Nase. „Hier haben sie mich zusammengeflickt. Die Jochbeine, die Nase, alles.“ Uralte feine Narben, die zwischen den zarten Falten im sonnengebräunten Gesicht des 59-Jährigen Segelflug-Piloten aus Öhringen-Friedrichsruhe verschwanden.
„Und“, sagte er und strich mit der rechten Hand über die Vorderseite seines weißen T-Shirts, „da war auch alles kaputt. Und ich war zwei Monate querschnittsgelähmt. Aber die haben alles wieder hingekriegt.“
Der Schwabe aus der Nähe von Heilbronn erzählte von einem Unfall vor 32 Jahren, nach dem er neun Monate im Krankenhaus gelegen hatte und über den er eigentlich gar nicht gerne redete, „weil Segelfliegen halt doch kein ganz ungefährlicher Sport ist, und das wäre eine schlechte Werbung“.
Das war ungefähr um 13.30 Uhr, 75 Minuten vor dem Start des dritten Wertungsfluges der Grand-Prix-Weltmeisterschaft in Omarama, dem Flieger-Paradies im Zentrum der Südinsel Neuseelands. Vielleicht eine, vielleicht eineinhalb Stunden später war Herbert Weiß tot, abgestürzt am Ostufer des Wanaka-Sees in der Nähe des Örtchens Makarora.
Gemeinsam hoffen und bangen
In einem Seitental des Wanaka-Sees, in einer Gegend namens Siberia, hatten einige wenige andere Flieger den Berufsschullehrer noch gesehen. „Da waren zwei Piloten ganz weit unten in einem Seitental, dort habe ich ihn zuletzt gesehen“, sagte Mario Kießling aus Weil der Stadt, der punkt 17 Uhr die imaginäre Ziellinie als Erster vor dem Kleinosterheimer Michael Sommer überquerte. Doch anstatt den deutschen Doppelsieg zu feiern, wich die Freude dem Warten auf die Nachzügler, und als es immer später wurde, kamen die Piloten und Crew-Mitglieder aus dem Hotel ins Flugzentrum zurück, um gemeinsam zu hoffen und zu bangen.
Auch der Franzose Didier Hauss hatte die „zwei Flieger weiter unten“ gesehen: „Er muss einer davon gewesen sein, aber ich weiß es nicht.“ Der Münsinger Uli Schwenk, Sieger des ersten Wertungsfluges, sagte: „Ich bin dort gekreist, um Höhe zu gewinnen, und hätte ihn eigentlich sehen müssen. Aber ich habe nicht nach unten geschaut.“
Petr Krejcirik war der zweite Pilot, der in den schwierigen Luftverhältnissen bei Siberia in die Bredouille geraten war. Während es dem Tschechen gelang, seine Maschine wieder in eine sichere Zone zu hieven, brach kurz danach der Funkverkehr zu Weiß’ Helfer Walter Sinn im Flugzentrum und die Telemetrie-Verbindung für die Live-Übertragung im Fernsehen und Internet ab.
Es war kein technischer Defekt, es war der Anfang vom Ende eines leidenschaftlichen Fliegerlebens. Der Tod eines Routiniers, der in 38 Segelflieger-Jahren 6800 Flugstunden angesammelt und niemals Kopf und Kragen riskiert hatte.
Ein glücklicher Mann am letzten Tag seines Lebens
Ob er von seinem Unfall erzählte, weil er eine Vorahnung hatte? Ob er danach von seinem Leben erzählte, weil es wenige Stunden später zu Ende ging? Dass er mit seiner Frau 20 Jahre zusammen war, ehe die beiden jetzt erwachsenen Kinder kamen. Doch alle Philosophie zwischen Himmel und Erde beiseite: Dieser Mann war glücklich am letzten Tag seines Lebens.
Die Weltklasse-Segelflieger sind ohnehin ein lustiger und stets gut gelaunter Haufen, der nicht auf die Idee käme, irgendjemanden zu siezen, der sich auf ihre Flugwiese verirrt. Und Herbert Weiß mit seinem feinen Humor war ein herausragender Protagonist dieser Spezies.
Er hatte so viel Spaß, er lachte so viel – und lachte mit, wenn die anderen über ihn lachten, so wie am vergangenen Dienstag, dem offiziellen Trainingstag vor dem Start der Wettflüge in Omarama, seinem 59. Geburtstag. Da hatte er eine holprige Landung hingelegt, weil er vergessen hatte, das Rad auszufahren. „Obwohl...“, gab er zu, „das ist mir schon ziemlich peinlich. Aber ich war halt ein bisschen aufgeregt.“
Fachsimpelei mit dem Kapitän der All Blacks
Und gestern. Dieser letzte Morgen. Unverhofft tauchte Richie McCaw, der Kapitän der All Blacks, des neuseeländischen Rugby-Teams, und seit zwei Jahren ein begeisterter Segelflieger, in Omarama auf, und Herbert Weiß fachsimpelte mit ihm über dessen neue Discus 2c. Er kannte ihn vom vergangenen Jahr, als er nicht wusste, dass er es mit dem populärsten Sportler Neuseelands zu tun hatte, „weil ich halt keine Ahnung von Rugby hatte“. Hinterher erzählte er, er habe den Trainer der All Blacks getroffen. „Was weiß ich, wer da Trainer und wer Spieler ist.“
Auch McCaw blieb gestern abend lange im Flugzentrum von Omarama. Aber auch er konnte nur warten. Warten auf die Nachrichten der Suchflugzeuge und dann, als das Wrack der Maschine an einem Berghang entdeckt wurde, das Hoffen auf ein kleines Wunder. Doch als der Rettungshubschrauber aus Queenstown am Unfallort eintraf und die Szene untersuchte, erlosch auch dieses letzte Hoffnungsfünkchen.
Ob sie für ihren Helden der Lüfte weiterfliegen oder die WM für einen Tag unterbrechen werden, wollten die Piloten in einer Aussprache am Morgen danach (gestern abend) entscheiden.