24.04. Osterbotschaft

Nachbeben, Festplatten und Wetterwenden

Ja, ich weiß, ich habe schon ewig nichts mehr geschrieben. Wie üblich, habe ich natürlich eine Erklärung dafür ;-)))

Die zwei schweren Erdbeben vom vergangenen September und Februar sind zumindest teilweise schuld daran. Weil ich auf- und umräumen, renovieren und schreiben musste, bin ich nicht oder nur selten dazu gekommen, meine tausende Fotos vom vergangenen Jahr zu durchforsten und zu bearbeiten.

Das führte nicht nur einmal dazu, dass die Festplatte meines Laptops knallvoll war. Da ich Bildordner erst dann auf externe Festplatten und CD's/DVD's auslagere, wenn die Fotos abschließend bearbeitet sind, begann ich also mit dieser unerquicklichen Pflichtaufgabe - bloß um die Festplatte umgehend mit wahren Bildlawinen von den Erdbeben vollzuknallen und wieder vor dem gleichen Problem der Festplatten-Überfüllung zu stehen...

In den vergangenen Wochen habe ich viele Tage mit nichts anderem verbracht, als Bilder zu bearbeiten. Ich habe sogar die eine oder andere interessante Zeitungsgeschichte nicht geschrieben, bloß um die digitalen Fotoberge zu reduzieren und Speicherplatz zu schaffen.

Sei's drum. Ich bin noch lange nicht fertig damit, aber immerhin nähere ich mich nun dem Ende der Bilderordner von 2010...

Ein mächtiges Nachbeben

Frohe Ostern

Wir hatten drei herrliche Ostertage: Am Karfreitag radelten wir 46 Kilometer auf dem Little River Rail Trail, am Samstag gingen wir auf den Markt und in die Stadt, am Ostersonntag fuhren wir mit der Fähre nach Diamond Harbour und marschierten nach Purau, wo wir picknickten. Auf der Rückfahrt zeigte der Temperaturanzeiger auf der Fähre 27,4°C an. Christchurch war offiziell wärmster Ort in Neuseeland mit 25 Grad.

Dafür haben wir heute - Ostermontag - wieder lausiges Wetter. Es ist kalt, und es regnet - wie so oft in den vergangenen Wochen. Wir hatten sogar schon Schnee in den Vorbergen der Südalpen. Irgendwie fehlt uns dieses Jahr der Herbst, obwohl sich die Blätter allmählich färben. Aber wir sind vom Sommer direkt in den Winter gefallen, dann zurück in den Sommer, und jetzt ist wieder Winter. So eine Art deutscher November.

Rückkehr nach oben

Wir sind in der vergangenen Woche aus dem Gästezimmer im Erdgeschoss in unser Schlafzimmer nach oben zurückgezogen - natürlich nicht, ohne einige wenige Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, damit uns im Falle eines Nachbebens nichts auf die Köpfe fällt.

Die große Tiffany-Lampe, die neben Johns Bett stand, ist im Februar heruntergefallen und der Fuß abgebrochen, so dass sie nicht mehr benützt werden kann. Meine Nachttischlampe steht auf dem Boden. Alle Bilder sind abgehängt, stehen hinter dem Sofa oder liegen unter dem Bett. Auch im Erdgeschoss hatten wir die Lampen auf dem Boden und alle Bilder abgehängt.

Meine Brille lagere ich schon seit September in einer stabilen Box auf dem Nachtkästchen, sie wäre das Einzige, was auf mich fallen könnte. Also keine Gefahr durch fliegende Gegenstände.

Reisefreuden

Wir lassen uns durch die Erdbeben das Leben nicht vermiesen, denn wir haben gesehen, wie schnell es zu Ende sein kann.

Kürzlich nutzte ich Johns zweitägige Dienstreise nach Auckland, um ihn in diese erdbebenfreie Zone der Nordinsel zu begleiten. Allein schon diese riesige Auswahl an Restaurants erfüllte mich mit Freude, die italienische Pasta und das Eis. Ich fotografierte jedes ungeschädigte Gebäude ;-))) Und fuhr mit der Fähre zur Insel Motuihe, auf der Graf Luckner am Ende des Ersten Weltkriegs in Gefangenschaft war. Aber ehrlich, wenn ein Lastwagen an mir vorbei ratterte und die Straße erbeben ließ, zuckte ich zusammen...

Vor gut einer Woche, am 16. April, hatten wir wieder einmal ein Nachbeben, das es in sich hatte. Mit der Zeit wird man einigermaßen erdbebenresistant, zumindest wir. Das heißt: man sitzt die Rüttler und Rumpler aus und lässt sich nicht groß von dem ablenken, was man gerade tut. Lediglich wenn sich eine Art Doppelschlag nähert, bereite ich mich gedanklich darauf vor aufzuspringen, denn so hat auch das große Beben am 22. Februar begonnen.

An jenem Samstag um 17.49 Uhr wackelte es nicht nur mächtig für einige Sekunden, als wir gerade gemütlich auf dem Sofa saßen und fernsahen. Bei dem Beben der Stärke 5,3 fiel bei uns und in einigen anderen Stadtvierteln wie am 22. Februar auch der Strom aus. Ich rannte zu meinem "Stammplatz", dem Türrahmen zum Schlafzimmer, und hielt vorsichtshalber den schwankenden Fernseher fest - damit wir später, wenn wir wieder Strom hätten, weiter in die Röhre gucken könnten ;-)

Wir drehen nicht durch, wenn die Erde bebt. Erst recht nicht, wenn klar ist, dass alle Schränke noch stehen und wir noch alle Tassen, die im Februar nicht zerbrochen sind, im Schrank haben... Es macht nichts besser und man kann nichts ändern. Und einfach aus Christchurch wegzuziehen, um der Gefahr zu entfliehen, hilft auf lange Sicht auch nicht.

Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwoanders ein schweres Erdbeben stattfindet oder ein Vulkan ausbricht, ist weitaus höher als hier. Wellington sitzt auf fünf geologischen Verwerfungslinien. Die große Alpine Verwerfungslinie durchzieht die Südinsel von Nordost nach Südwest und ist überfällig für ein 8,0-Beben. Kürzlich trafen wir in Wanaka ein deutsches Ehepaar, dessen Haus direkt auf dieser Verwerfungslinie sitzt... Auckland wurde auf 49 schlummernden Vulkankegeln erbaut. Der Lake Taupo, Neuseelands größter See, ist der Kratersee eines ebenfalls nicht erloschenen Vulkans im Zentrum der Nordinsel.

Reiseerlebnis der anderen Art

Ich hatte an jenem Samstag drei amerikanische Touristen durch Christchurch und um die Bucht von Lyttelton geführt. Sie waren gerade eine Stunde in ihrem Hotel zurück, als es rumpelte. Sie waren natürlich wie vom Donner gerührt, rannten aus dem Gebäude - und wären am liebsten sofort nach Hause geflogen. Ironie des Schicksals, dass fast zur gleichen Zeit ein Tornado ihre Heimat in North Carolina verwüstete - zum Glück nicht ihren Ort. Und auch hier sind sie letztlich mit dem Schrecken davongekommen.

Für die Leute, die schon im Februar am schwersten getroffen wurden, hatte auch dieses Nachbeben die schlimmsten Folgen. Bei vielen verflüssigte sich wieder der Untergrund, Wasser- und Schlammfontänen spritzten durch Risse in Fußböden und Gärten, das große Schaufeln begann aufs Neue, bei vielen zum drittenmal seit September. In manchen Wohnzimmern wachsen Pilze.

Da es auch noch heftig regnete, wurde das neue Problem, das Christchurch hat, offenbar. Das Abwassersystem funktioniert vielerorts nicht. Manche Rohre sind mit Sand und Schlamm verstopft, andere gebrochen. So kann auch Regenwasser nicht abfließen. Dieses Wasser überflutete Straßen und Grundstücke in den küstennahen östlichen Vororten und entlang dem Fluss Avon.

In Sumner und Redcliffs brachen weitere Felsbrocken von den Klippen. Im Tal des Heathcote donnerte Geröll die Hänge der Port Hills hinab. Ein Bekannter erzählte, es sei gespenstisch gewesen. Erst das Rumpeln des Bebens, dann Totenstille, die schließlich von den rollenden Steinen durchbrochen wurde. Manche Felsen schlugen in zum Glück bereits evakuierten Häusern ein. Im abgeriegelten Stadtzentrum stürzten bereits beschädigt Gebäude ein und wurden umgehend abgerissen.

Warten auf die Inspektoren

Das größte Problem für viele Menschen ist das Warten. Warten auf die Auskunft, ob ihre Häuser abgerissen werden müssen oder nicht, ob gar ihr ganzes Stadtviertel dem Erdboden gleich gemacht und in ein Feuchtgebiet zurück verwandelt wird, ob sie umgesiedelt werden.

Andere Leute sitzen in notdürftig geflickten Bruchbuden und können die Reparaturen nicht durchführen lassen, bevor nicht ein Inspektor der Earthquake Commission (EQC) den Schaden begutachtet hat. Das Wetter war lausig in den vergangenen Wochen - abgesehen von drei grandiosen Sommertagen am Karfreitag, Samstag und Ostersonntag. Die Leute frieren, Kamine und Öfen sind unbenutzbar, es regnet in die Häuser hinein. Und nichts passiert.

Auch wir warten. Wir haben noch immer eine halb eingestürzte Stützmauer hinterm Gästebad, die im Winterregen vollends kollabieren könnte, und ein Loch in der raumhohen Fensterscheibe - zum Glück ist's keine Wetterseite, und wir haben das Loch mit einer Plastikplane abgedichtet. Im Wohnbereich müssen wir uns mit zwei kleinen Elektroheizern behelfen, weil wir uns nicht trauen, den verrutschten Pellet-Ofen anzuwerfen. Wir haben vor sieben Wochen einen Antrag auf Notreparatur gestellt, weil die kleinen Dinger den großen Raum nicht warm bekommen.

Da sitzt irgendein völlig überforderter Mensch in der Führungsetage der EQC, der unter alle Anträge auf dringende Reparaturen seine Unterschrift setzen muss, und das kann dauern. Unser Sachbearbeiter hat schon vor einigen Wochen angerufen und gesagt, er habe alles abgezeichnet. Durch Zufall hat John erfahren, dass wir auf einer Liste dringender Hausbesuche stehen, um diese beiden Reparaturen durchzuführen. In der "Woche bis zum 22. April" sollte das geschehen. Heute ist der 25. April. Niemand war hier.

Die Bürokratie feiert fröhliche Urstände

Die EQC hat all diese Inspektionen an Neuseelands älteste Baufirma namens Fletcher Building vergeben. Man kann nicht einfach den Handwerker seines Vertrauens kommen lassen und die Rechnung an die EQC schicken. Viele Handwerker stünden Gewehr bei Fuß, aber auch sie warten. Und viele vergeblich, wenn sie nicht bereit sind, sich von Fletcher zu reduzierten Stundenlöhnen anheuern zu lassen.

Das Problem ist, dass die EQC die staatliche Versicherung ist, die bei jedem Hausbesitzer, der eine Hausrat- und Erdbeben-Versicherung bei einer privaten Versicherungsgesellschaft hat, die ersten 100.000 NZ-Dollar des Schadens deckt. Ein Teil der Versicherungsprämien fließt an die EQC. EQC ist also keine Benefizeinrichtung. Wer keine Privatversicherung hat, hat rechtlich keinen Anspruch auf Geld von der EQC. Die Privatversicherungen kommen für die Schäden über der 100.000-Dollar-Grenze auf. Unnötig anzufügen, dass die EQC und die Versicherungsgesellschaften Kommunikationsprobleme haben und oft völlig unterschiedliche Schadenssummen schätzen.

Wann ein EQC-Inspektor auftaucht, ist, wie gesagt, rätselhaft. Erst mal muss man's auf eine Warteliste schaffen. Dieser Vorgang ist anscheinend abgeschlossen. Auch so eine Art Geniestreich. Da spazierten offenbar Inspektoren durch die Straßen, machten Schnelleinschätzungen ("Rapid Assessments") und warfen den Leute dann Benachrichtigungen in die Briefkästen, in denen stand, ob dringende Reparaturen erforderlich waren, strukturelle Schäden vorlagen oder nichts dergleichen.

Wenn ein Haus nicht windschief am Hang hing, landete man sofort auf der Langen-Bank-Liste, was eine Wartezeit von neun bis zwölf Monaten auf die eingehende Inspektion bedeutete. Auf dieser Liste landeten auch wir, weil der Schnellassessor just an jenem Tag unser Haus für wenige Sekunden in Augenschein nahm, an dem ich ihn nicht abgrätschen und hinters Haus führen konnte. Von der Straße aus sieht man nämlich unsere eingestürzte Stützwand nicht - und wenn im Inneren ein Ofen einen Salto mortale geschlagen hat, natürlich auch nicht.

"Lyttelton" und "Stützmauer" beschleunigen die Sache

Ich fotografierte also den Schaden und emailte ihn an die EQC. Am nächsten Tag rief unser Sachbearbeiter wegen unserer Ofenreparatur bei John an, ohne diese Email gesehen zu haben, und fragte, ob wir sonst irgendwelche Probleme hätten. John erwähnte also die Stützmauer - und bei "Stützmauer" und "Lyttelton" rasseln bei der EQC die Alarmglocken. So sind wir also in der Warteliste nach oben geschnellt, von Warten bis zum Sankt-Nimmerleinstag zur dringenden Notreparatur.

Wir sind natürlich tausendmal besser dran als die Leute, die in Häusern mit eingestürzten Wänden, unter Planen statt Dächern, ohne funktionierendes Abwassersystem wohnen, zum Duschen in irgendwelche öffentlichen Einrichtungen fahren müssen, ihre Wäsche nicht waschen können, ihre transportablen chemischen Toiletten zu den Sammelbehältern schleppen und dort ausleeren müssen, etc.

Das Leben dieser Leute ist völlig aus den Fugen geraten. Sie sind mit der Verrichtung täglicher Pflichten völlig ausgelastet - und müssen jetzt wieder, wie schon erwähnt, Schlamm schippen, der mit Kot und anderem Dreck gemischt ist. Die funktionieren nur und überleben, haben aber kein Leben. Manchmal heißt es, es könne mehrere Jahre dauern, bis diejenigen, die am schlimmsten dran sind, wieder ein Zuhause haben werden.

Wer geringere Schäden hat, muss im Chaos leben, weil die Gutachter erst die schlimmsten Fälle begutachten müssen. Wir waren ja mitten am Renovieren, als das Erdbeben passierte. John strich das Haus außen, ich wollte im Erdgeschoss tapezieren. Da wir jetzt Risse in den Wänden haben, die erst repariert werden müssen, können wir buchstäblich nichts tun. Naja, so komme ich wenigstens dazu, die Bilder auf meinem Laptop zu bearbeiten ;-)))

Auckland, Sky Tower, St. Patrick's

Dann waren wir drei Tage im Süden in Wanaka, wo Freunde von uns in ihrer Ferienwohnung ein Zimmer frei hatten. Wir nutzten die Gelegenheit, um uns mit schwäbischen Online-Bekannten zu treffen. Ein großartiges Wochenende!

Anfang Mai geht's für drei Tage nach Wellington.