20.03. Wasserlüge

Buchhaltertrick statt Großreinemachen

CHRISTCHURCH. Umweltminister Nick Smith kreierte im vergangenen Jahr einen Begriff, der nicht nur die Umweltschützer, sondern auch ganz normale Naturliebhaber in Neuseeland auf die Palme trieb. Es sei, sagte er damals, unpraktisch bis unmöglich, die Wasserqualität der Flüsse und Seen im Land so zu verbessern, dass jedermann darin schwimmen könne, ohne krank zu werden. Das Ziel müsse deshalb sein, die verseuchten Gewässer im Lauf der Jahre nicht „swimmable“ (schwimmbar) zu machen, sondern „wadeable“, also watbar.

Sprich: es genügt, dass jemand durch die durch die immer stärker verschmutzten Flüsse und Seen stapfen kann, ohne sich gleich eine Magen-Darm-Infektion einzufangen, so wie im vergangenen August, als eine Massenepidemie in der Stadt Havelock North mehrere tausend Einwohner auf Toiletten und in Arztpraxen trieb. Der Begriff „watbar“ wurde zum Schimpfwort, sind diese Gewässer doch nichts anderes als ein toxisches Gebräu aus Koli-Bakterien und Blaualgen, verursacht von Cyanobakterien.

Deshalb blickte die Nation kürzlich der Ankündigung der Regierung zum Thema Wasserqualität gespannt entgegen. Es sei ein ehrgeiziger Plan, sagten Premierminister Bill English und Nick Smith, der Erfinder der „Watbarkeit“, im Gleichklang.

Der Unterschied zwischen "schwimmbar" und "watbar"

Im ersten Augenblick staunte so mancher Zuhörer Bauklötze, steht die konservative Nationalregierung doch den Farmern nahe, die mit der Intensivierung der Milchwirtschaft die Hauptverantwortung für die Verseuchung der Gewässer tragen: mit eingespülten Düngemittel-Rückständen (Nitrat, Phosphat) von den Weiden und Gülle. Im Jahr 2040, so die Mitteilung der Regierung, müssten 90 Prozent der Gewässer „schwimmbar“ sein, und das ließen sich die Regierung, Regionalbehörden und Farmer in den kommenden 23 Jahren rund 1,5 Milliarden Euro kosten. Es ist wieder mal Wahljahr.

Derzeit sind 90 Prozent der Tieflandflüsse verschmutzt und 43 Prozent so stark, dass man nicht darin schwimmen kann. Die Hälfte der Seen ist voller Blaualgen und invasiven Fischarten. 2006 waren von 134 überprüften Seen 56 Prozent eutrophiert oder gar umgekippt, das heißt die Nitrat- und Phosphatwerte überschritten die Normalwerte deutlich oder gar dramatisch.

Heute ist es bedeutend schlimmer. Aus diesem Grund glauben nur noch 20 Prozent der extrem nationalstolzen Neuseeländer, der Werbeslogan der Tourismusbehörde, die das Land mit den Slogans „grün und sauber“ sowie „100% Pure“ vermarktet, entspreche der Realität.

Der erste Teil des "Wunders" geschieht über Nacht

Wer nun allerdings dachte, Neuseeland setze zum Großreinemachen an, sah sich schnell ge- und enttäuscht. Der erste Teil des Wunders geschieht nämlich über Nacht mit einem Buchhaltertrick: durch die Erhöhung der nationalen Grenzwerte, mit denen die Wasserqualität von Flüssen und Seen neu definiert wird.

Gilt bislang eine Konzentration von 235 kolibildenden Einheiten (KBE) pro 100 Milliliter Wasser als Obergrenze für Flüsse, in denen man bedenkenlos baden kann, so wird dieser Wert auf 540 KBE angehoben, also mehr als verdoppelt.

Die meisten Regionalverwaltungen im Land verhängen bereits ein Badeverbot bei 500 KBE, denn dann besteht ein fünfprozentiges Risiko, dass ein Schwimmer an Brechdurchfall erkrankt, verursacht von Campylobakter; das sind Bakterien, die im Verdauungstrakt von Tieren leben. „Das ist so, wie wenn man es akzeptabel fände, dass sich in einem Restaurant jeder zwanzigste Gast eine ansteckende Magen-Darm-Infektion zuzieht“, sagt Mike Joy, Dozent für Ökologie-Verträglichkeit und Umwelt-Management an der Massey-Universität in Palmerston North.

Verwirrende Verwässerungspolitik

Der bekannteste Wasser-Experte der Nation ist nur einer der unzähligen Kritiker der Verwässerungspolitik der Regierung. „Betrug“, nennt es Lan Pham, eine Süßwasser-Ökologin mit Sitz im Umweltamt der Region Canterbury: „Die feigen nationalen Standards tun nichts, um die Sauberkeit der Gewässer zu verbessern.“

Selbst die Umweltbeauftragte der Regierung, Jan Wright, nannte die Neudefinition „sehr verwirrend“. Lesley Immink, die Direktorin der Vereinigung der Tourismuswirtschaft, geißelte die neuen Richtwerte als „Deckmantel, der den wahren Zustand unserer Gewässer verschleiert“.

Ausländische Urlauber seien aber nicht dumm: „Der organisierte Tourismus findet größtenteils in unberührter Natur statt, aber wenn die Leute im Mietwagen durchs Land fahren und überall die Schwimmverbotsschilder mit den Gifthinweisen sehen, wird auch ihnen klar, dass unser Land nicht grün und sauber oder ‚100% Pure‘ ist. Unser Ruf wird auf Dauer leiden.“

Vergleich mit dichtbesiedelten Industrienationen unzulässig

Das Argument, dass beispielsweise in der EU die Grenzwerte weitaus höher liegen – bei 1800 KBE, und 500 KBE gelten als „ausgezeichnet“ – lässt Mike Joy nicht gelten. „Man kann nicht die dichtbesiedelten Industrienationen Europas mit dem dünn besiedelten Naturland Neuseeland vergleichen, wo nur 4,6 Millionen Menschen wohnen“, sagt der streitbare Wissenschaftler. „Hier sind Flüsse und Seen schon verseucht, bevor sie menschliche Siedlungen und deren Klärwerke erreichen. Die Verschmutzung wird nicht von Menschen und der Industrie verursacht, sondern von Kühen. Außerdem muss man an ein Land, das mit ‚100% Pure‘ wirbt, höhere Maßstäbe anlegen.“

Die sichersten Flüsse, so argumentieren manche Kritiker sarkastisch, werden in Zukunft jene sein, die aufgrund des Klimawandels und der Ableitung von Wasser für die Bewässerungssysteme der Landwirtschaft austrocknen. Schwimmen erlaubt, aber unmöglich.

INFO 1

Die Reinheit von Flüssen wird in Neuseeland mit der Messung von Kolibakterien ermittelt, jene von Seen mit der Konzentration von Cyanobakterien (Blaualgenblüten). Auf diese Weise kann ein mit Blaualgen verseuchter Fluss ein Reinheitssiegel erhalten. Üblicherweise werden, wie auch in der EU, Mittelwerte für eine komplette Badesaison oder das ganze Jahr errechnet. Bei der Überschreitung des Höchstwertes werden Sofort-Badeverbote ausgesprochen.

INFO 2

Jedes Jahr stecken sich in Neuseeland zwischen 18.000 und 30.000 Personen mit Krankheiten an, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden. Das nationale Institut NIWA ist für die Erstellung der Daten zur Qualität von Wasser zuständig.

Der Zusammenhang von Milchwirtschaft und Wasserverschmutzung ist eindeutig: Während sich die Werte in landwirtschaftlich genutzten Regionen dramatisch verschlechtert haben, wurden in Flüssen fern dieser Weidegebiete keine Änderungen festgestellt. Die Wasserqualität in den einheimischen (Ur-)Wäldern ist üblicherweise sehr gut.

In dem Jahrzehnt bis 2014 ist der Einsatz von Düngemitteln um 700 Prozent gestiegen. 90 Prozent der Feuchtgebiete, die natürliche Wasserfilter wären, sind verschwunden. Die Zahl der Kühe ist seit 1991 (3,4 Millionen) auf 6,7 Millionen (2014) gestiegen. Aufgrund fallender Milchpreise liegt sie derzeit bei rund 6,5 Millionen.

INFO 3

Laut Angaben des Umwelt-Bundesamts sind die meisten Flüsse im dicht besiedelten Deutschland als Badegewässer nicht geeignet. Kläranlagen entfernen die Krankheitserreger aus menschlichen Fäkalien nur zum Teil. So kann stromabwärts von Zuläufen aus Kläranlagen Ansteckungsgefahr bestehen. Die überwiegende Zahl der Badegewässer in Deutschland liegt an Seen oder an den Küsten von Nord- und Ostsee. Es gilt die Badegewässer-Richtlinie der EU.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)