22.02. Der Jahrestag

Wiederaufbau ist kein Sprint, sondern ein Marathon

Von Sissi Stein-Abel

CHRISTCHURCH. Jane Andrews kennt jedes Haus in Bexley, das in den vergangenen elf Jahren in einem trocken gelegten Feuchtgebiet gebaut worden ist. „Unser Haus war das erste hier“, sagt sie. „Es sollte unser letztes Haus sein. Unser Altersruhesitz.“

Jetzt steht Jane Andrews auf einer Hügel- und Kraterlandschaft aus grauem Sand, die jeden Vorgarten in diesem Vorort von Christchurch begraben hat, und schaut zu, wie ein Bagger auf der gegenüber liegenden Straßenseite auf einen leergeräumten Bungalow einprügelt.

Die wenigen Menschen, die sich in der totenstillen und staubigen Seabreeze Close eingefunden haben, sind keine Schaulustigen, sondern Trauergäste. Sie haben in dieser Straße gewohnt oder gleich um die Ecke, so wie Jane Andrews, die eine der wenigen ist, die am ersten Jahrestag des tödlichen Erdbebens vom 22. Februar 2011 in der zweitgrößten Stadt Neuseelands noch nicht weggezogen sind.

Aber am 31. März kehren auch sie und ihr Mann dieser auf Sand gebauten Siedlung, die dem Erdboden gleich gemacht wird, den Rücken. Sie haben – wie alle in diesem Viertel - das Angebot der Regierung akzeptiert und ihr Haus an den Staat verkauft.

Der Regierungsarm CERA wiederum schickt die Abrisskommandos, bis auf diesem Puddingboden, der sich bei jedem größeren Erschütterung seit dem 4. September 2010 verflüssigt hat, kein Haus mehr steht.

Die Einzigen, die bleiben, sind die Kormorane, Schnabelenten, Trauerschwäne, Purpurhühner und Kanadagänse die aus den angrenzenden Teichen und dem Avon in ihre einstigen Lebensräume zurückkehren werden.

Dann werden auch endlich die Plünderer verschwinden, die aus verlassenen Häusern selbst Dinge stehlen, die angeschraubt und fest eingebaut sind, inklusive Heißwasserkessel und Leitungsrohre.

Bexley ist ein Versuchsballon, ein Projekt, um herauszufinden, wie die großräumige Beseitigung kompletter Stadtviertel effektiv gestaltet werden kann. Insgesamt werden mehr als 7000 Häuser abgerissen und nie mehr aufgebaut, Bexley ist nicht der einige Vorort, der von der Landkarte verschwinden wird.

Bexley: ein Wohngebiet als Dünenlandschaft.

Mit den Plünderern und illegalen Hausbesetzern hatte niemand gerechnet. Einen roten Aufkleber an der Haustür, der bedeutet, dass es zu gefährlich ist, das Haus zu betreten, mit Brettern verrammelte Fenster, Absperrzäune und mit hohem Unkraut überwucherte Vorgärten interpretieren diese Parasiten der Erdbeben-Gesellschaft offenbar als Einladung, sich selbst zu bedienen.

Sie werden auch dann ihr Unwesen treiben, wenn die Bürger von Christchurch am 22. Februar, ein Mittwoch in diesem Jahr, im Hagley Park der Toten gedenken, die bei dem Beben vor zwölf Monaten – 6,3 auf der Richterskala – ums Leben gekommen sind. Die Zahl wurde mittlerweile auf 185 korrigiert, weil drei Menschen später ihren Verletzungen erlegen sind.

Es wird ein Tag der Besinnung sein – und endlich auch einmal wieder der Einigkeit. Das ist erwähnenswert, weil die Leute in Christchurch die typischen post-traumatischen Phasen der Heldenhaftigkeit, des energischen Zupackens, des Zusammenhalts, des Goodwill und der Dankbarkeit nach einer Naturkatastrophe hinter sich haben.

Enttäuschung, Wut und Ärger über die staatliche Erdbebenversicherung, Bürokratie, Schlamperei und Inkompetenz sind derzeit die dominierenden Gefühle. Psychologen erklären, dass dies ganz normal ist. Die Menschen erkennen, dass der Wiederaufbau kein Sprint, sondern ein mit Hindernissen gespickter Marathon ist. Erst recht, weil die Erde keine Ruhe gibt.

Jane Andrews in der Seabreeze Close.

Die Beben am 13. Juni (6,4) und 23. Dezember (6,0) haben den Prozess der Erneuerung weiter verzögert. Probleme mit Versicherungen, die keine neuen Policen ausstellen, führen zur Kapitalflucht und der Sorge, dass das noch immer abgesperrte Geschäftszentrum verwaist bleibt, wenn die Abrissarbeiten erst einmal beendet sind.

So unglaublich es klingt: Auch ein Jahr nach dem Horrorbeben wird in Christchurch noch immer abgerissen und nicht aufgebaut. Noch immer hausen Menschen in unbewohnbaren Häusern, operieren Läden und Cafés in umgebauten Schiffscontainern.

Der Stadtrat ist so hoffnungslos zerstritten, dass die Regierung einen „Beobachter“ schickte. 4000 Bürger gingen auf die Straße, um für Demokratie und gegen eine 14-prozentige Gehaltserhöhung des Stadtverwaltungschefs zu protestieren. Erdbeben-Minister Gerry Brownlee nannte Bürgermeister Bob Parker kürzlich gar einen Clown.

Und der (in England geborene) Dekan der schwer beschädigten anglikanischen Kathedrale, Peter Beck, hat wegen Dissonanzen mit der (kanadischen) Bischöfin über die Zukunft des Symbols der Stadt die Brocken hingeworfen. Dank einer Nachwahl sitzt er jetzt im Stadtrat. Die Bischöfin, Victoria Matthews, will für vier Millionen NZ-Dollar eine temporäre Katherale aus Pappe bauen lassen.

Aber selbst jetzt, nach vier fürchterlichen, Dutzenden schweren und mehr als 9600 kleineren Beben innerhalb von knapp 18 Monaten weiß niemand, wann Christchurch in neuem Glanz erstrahlen wird.