11.07. Berliner Mauer in NZ

Verständnis, Geschichte, Toleranz: Note ungenügend

Es war eine grau getünchte Holzwand, achteinhalb Meter lang und drei Meter hoch, mit Graffiti besprüht wie das Original. „Runter mit der Mauer“, stand darauf, „Deutschland einig Vaterland“ und Schlagworte wie: hilflos, machtlos, heimatlos, Ost, West, Zerstörung, Wechsel, 1989. Auf großen Fotos erzählte sie von der Geschichte der 160 Kilometer langen und 3,40 bis 4,20 Meter hohen Mauer und der Zäune, die Deutschland und insbesondere Berlin mehr als 28 Jahre lang trennten. Das fanden die Neuseeländer höchst interessant.

Als vor zwei Jahren zwei Stücke der echten Berliner Mauer in Christchurch eintrafen, die Segmente Nummer 88 und 143, nahm es die Bevölkerung wahr, hatte aber nichts dazu zu sagen. Die Entzückensrufe blieben den Offiziellen vorbehalten.

Offizielle Freudenausbrüche

Sie bedankten sich für die großzügige Geste der EMP Beratungsgesellschaft, die mit dem Abbau der Mauer betraut war und die beiden jeweils 3,60 Meter hohen und vier Tonnen schweren bemalten Betonstücke nach einem Treffen mit dem damaligen neuseeländischen Botschafter Rod Harris der Nation am anderen Ende der Welt schenkte. Die lokale Baufirma Southbase bezahlte den Transport der massiven Platten.

„Teile der Mauer finden wir jetzt in der ganzen Welt, und sie stehen für das friedliche und erfolgreiche Streben nach Freiheit“, sagte Harris damals. Stadtrat Phil Clearwater freute sich, dass die Mauerreste zu der Kollektion öffentlicher Kunstwerke hinzugefügt werden konnten. „Der Fall der Berliner Mauer war eine Sternstunde des 20. Jahrhunderts, und wir können uns glücklich schätzen, dass wir diese Segmente bekommen haben“, sagte er.

Doch welch ein Aufschrei der Entrüstung, als die in Christchurch erscheinende Tageszeitung The Press kürzlich meldete, die Mauerstücke sollten am Victoria Square, einem kompakten Platz zwei Blocks nördlich der Kathedrale, aufgestellt werden. Wobei es nicht einmal direkt auf der Grünfläche und den geklinkerten Pfaden sein sollte, sondern am Rande, stilistisch passend zwischen zwei brutalistischen Bauwerken: der Stadthalle und dem ehemaligen Bezirksgericht.

Leserbriefschreiber mit Schaum vor dem Mund

Eine Flut von feindseligen Leserbriefen füllte einige Tage lang die Seiten. Es waren Texte, geschrieben mit Schaum vor dem Mund, garniert mit Fremdenhass, historischen Fehler und kleinkariertem Inseldenken, und geprägt von der Unfähigkeit zu verstehen, dass die Mauerteile nur deshalb in Christchurch stehen können, weil es seit 1989 eben keine Unterdrückung, realsozialistische Diktatur und Stasi mehr gibt, sondern das genaue Gegenteil.

CHRISTCHURCH. Es hat in Christchurch schon mal eine Berliner Mauer gegeben. Ein ehemaliger deutscher Kneipier, der vor den verheerenden Erdbeben von 2011 im Café/Restaurant Bismarck Thüringer Knackwurst, Königsberger Klopse und Hasenbraten mit Rotkraut und Klößen servierte, baute sie vor zehn Jahren in der Poplar Street, einer versteckten, engen Straße im Zentrum der zweitgrößten Stadt Neuseelands, um den 20. Jahrestag des Mauerfalls und das Ende der Teilung Deutschlands zu feiern.

Segment Nummer 143 der Berliner Mauer in Christchurch.

Foto (Copyright): Christchurch City Council/Newsline

Foto links:

Segment Nummer 88 der Berliner Mauer in Christchurch. Direkt neben dem Mauerstück: Stadträtin und ehemalige Bürgermeisterin Vicki Buck.

Foto (Copyright): Christchurch City Council/Newsline

„Es ist ihre Politik [die der Deutschen] und nicht unsere. Wo bleibt unser Patriotismus?“, schrieb Jane W. „Ich finde es lachhaft, dass es eine Diskussion darüber gibt, wo zwei Betonstücke, die die Teilung Deutschlands während des Kriegs symbolisieren, aufgestellt werden sollen. Sie haben Bezug zu einer repressiven Zeit und sollten keinen Platz in Christchurch haben“, meinte Rob L., während Olivia P. die von Kindern mit Lernbehinderung und einem Fan der TV-Serie „Doctor Who“ bemalten Betonstücke ablehnte, „weil sie nichts mit unserer Geschichte zu tun haben und eine Abscheulichkeit sind“. Peter S. schlug vor, die Mauerreste in das Landrückgewinnungsareal im Hafen von Lyttelton zu kippen. Der Tenor: Deutschland ist weit weg und soll seine Geschichte für sich behalten; Neuseeland, Neuseeland über alles. Das Land der selbsternannten Toleranzler. Auch einige Stadträte dachten eher so als anders, und so gab es eine kontroverse Debatte auf höchster Ebene. Dabei kam auch zum Ausdruck, dass der Victoria Square als einstige Maori-Siedlung von hässlichen Betonbrocken verschont bleiben müsse.

Kompromiss: Die Mauerteile kommen in den Rauora Park

Vermutlich, um ihre Wiederwahl bei den Stadtratswahlen am 12. Oktober nicht zu gefährden, haben die Volksvertreter jetzt einen Kompromiss gefunden: Die beiden Mauerstücke werden – möglichst vor dem 9. November, dem 30. Jahrestag des Mauerfalls – im Rauora Park aufgestellt, das ist ein breiter Grünstreifen östlich des Stadtzentrums, der nach den Erdbeben angelegt wurde und dessen Name den meisten Leuten in Christchurch noch nicht geläufig ist, und sie sollen nach dem Willen zweier Stadträte von jungen Einheimischen neu bemalt werden.

Auf dem kulturell so sensiblen und für mehrere Millionen ureinwohnermäßig aufgerüsteten Victoria Square mit seiner signifikanten Maori-Vergangenheit stehen die Statuen von Neuseeland-Wiederentdecker James Cook, dessen Ankunft 1769 erst dieser Tage als Beginn des Rassismus im Land der Kiwis gegeißelt wurde, und der britischen Königin Victoria, die Symbol für 66 Jahre Kolonialherrschaft mit Maori-Landkriegen, Unterdrückung und deren Folgen bis zum heutigen Tag ist. Das stört keinen. Auch in Neuseeland sind Heimatkunde und Geschichte keine Hauptfächer.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)