16.11. Rückspiel-Pleite

Kampf gegen nächtliche Feuerwerke und Luftwaffe

CHRISTCHURCH/LIMA. Der Tag danach – der Donnerstag - war Feiertag in Peru, kurzfristig angesetzt vom Arbeitsministerium. Offiziell, damit die Feierlichkeiten zur Qualifikation der peruanischen Fußball-Nationalmannschaft für die Weltmeisterschafts-Endrunde 2018 in Russland in geordnetem Rahmen stattfinden können. Inoffiziell vermutlich, weil nach der langen Nacht des Freudenrausches, nach 35 endlosen Jahren des Wartens auf die fünfte Teilnahme am Fußball-Gipfel, sowieso jeder blaumachen würde.

Gefeiert wurde natürlich schon in der verbleibenden Stunde des Mittwochs, am Tag vor dem Feiertag. Gefeiert und geweint. Dabei vergossen die Sieger deutlich mehr Tränen als die Verlierer. Und sie taten es - fünf Tage nach dem 0:0 im Hinspiel in Wellington - schon lange vor dem Abpfiff des mit 2:0 (1:0) gewonnen Rückspiels der interkontinentalen Play-offs zwischen dem Südamerika-Fünften Peru und Ozeanien-Sieger Neuseeland.

Nachdem der frühere Bundesliga-Profi Jefferson Farfán in der 28. Minute völlig freistehend im Strafraum zum Schuss gekommen war und das 1:0 für die Gastgeber erzielt hatte, weinte er wasserfallartig los, legte sich schluchzend auf den Rasen und wurde von einem Heulkrampf geschüttelt.

Farfán als hingebungsvoller Trikot-Küsser

Jemand drückte ihm ein Trikot mit der Nummer neun in die Hand, jenes des nach einem positiven Dopingbefund gesperrten Kapitän Paolo Guerrero, und der Ex-Schalker küsste es hingebungsvoll. „Ich widme dieses Tor und diesen Sieg Paolo, ich hatte ihm versprochen, dass wir es schaffen würden“, sagte er – erneut unter Tränen - nach dem Happy-End für die Weiß-Roten, die das 32er-Feld für Russland komplettierten.

Den zweiten Treffer für den Favoriten erzielte Christian Ramos in der 65. Minute aus rund sieben Metern nach einem Eckball, der einem vom sehr guten neuseeländischen Schlussmann Stefan Marinovic verhinderten Eigentor seines Kapitäns Winston Reid folgte.

Dieses Fast-Eigentor war symptomatisch für das Spiel der All Whites genannten Nationalmannschaft aus dem Land der Kiwis. Reids Schreckschuss in die falsche Richtung war ihre beste Torchance, diese Formulierung sei an dieser Stelle erlaubt, ehe in der Nachspielzeit der nach der Pause eingewechselte Stürmerstar Chris Wood eine hochkarätige Möglichkeit vergab.

Technisch versierte Peruaner in allen Belangen überlegen

Die technisch versierteren Peruaner waren den harmlosen Neuseeländern, die allenfalls einige Halbchancen herausspielten, in der nickeligen Partie in allen Belangen überlegen und hätte noch um zwei Tore höher gewinnen können. Vor allem ein Kracher ans Lattenkreuz nach gerade einmal drei Minuten und eine Glanzparade von Marinovic gegen Raul Ruidiaz (42.) sind hier erwähnenswert.

Die Überlegenheit der Gastgeber resultierte nicht nur aus dem Heimvorteil in dem mit 40.000 fanatischen Zuschauern gefüllten Nationalstadion von Lima, sondern weil Neuseelands Trainer Anthony Hudson zwei Schlüsselfiguren ersetzen musste: zum einen Abwehrrecke Tommy Smith, zum anderen eben Chris Wood, dessen Kniesehnenverletzung, wie schon im Hinspiel, seinen Einsatz von Beginn an verhinderte.

Das sind kaum zu kompensierende Nachteile in einer Nation, die Rugby lebt und atmet und in der es nur ein Profifußball-Team gibt. „Unser Problem ist, dass unser Spiel einfach sehr stark von diesen großgewachsenen Spielern abhängt“, sagte Hudson hinterher.

700.000 Bewerber für 40.000 Tickets

In Peru hingegen ist Fußball Religion. Fast 700.000 Fans bewarben sich um die Tickets für das historische Ereignis. Der Heimvorteil manifestierte sich nicht nur auf dem Rasen des Nationalstadions. Dabei war die Hexerei der bedudelten und bekifften Schamanen, die den Gegner mit einem Fluch belegten, indem sie mit einer Schlange tanzten, auf einem Mannschaftsbild der gestern ganz in Schwarz gedressten All Whites herumtrampelten und das Foto ihrer Lieblinge in geweihten Rauch hüllten, nur eine amüsante Marginalie.

Aber andere Störfeuer hatten sicherlich negative Auswirkungen auf die Neuseeländer. Fans zündeten um 3 und 4 Uhr nachts zwei ohrenbetäubende Feuerwerke vor dem Mannschaftshotel, und im Morgengrauen donnerten zwei Kampfjets der peruanischen Luftwaffe im Tiefflug über die Herberge. Da war dann auch der letzte Profi hellwach; Anpfiff der Partie war erst um 21.15 Uhr Ortszeit.

Angefangen hatte die Serie der Zwischenfälle beim Flug der All Whites von Buenos Aires nach Lima mit der ungeplanten Zwischenlandung in Chile zum Auftanken der Maschine. Dann war der Mannschaftsbus, egal, wohin die Fahrt auch ging, ewig unterwegs, und zur Krönung blieb er vor dem Abschlusstraining in der falsch gewählten Stadioneinfahrt stecken.

Taktisch unklug gewählte Unterkunft

„Ich denke, wir sollten in Peru wohl einfach nicht gewinnen, gemessen an all den Hindernissen, die uns in den Weg gestellt wurden“, sagte Trainer Hudson. „Das Beste wäre vermutlich gewesen, im Hotel direkt neben dem der Peruaner abzusteigen. Das hätte uns sicherlich geholfen.“

Der 35-jährige Engländer hielt die Leute im Land der Kiwis trotz des bitteren Endes dazu an, „stolz auf diese Mannschaft zu sein“. Schließlich habe die Nummer 122 der Fifa-Weltrangliste, der krasse Außenseiter, der Nummer zehn Paroli geboten und das Potenzial, sich in vier Jahren zum dritten Mal nach 1982 und 2010 für eine WM zu qualifizieren.

Mit oder ohne Hudson, dessen Vertrag ausläuft, steht noch in den Sternen. „Wir haben gerade den Zug nach Russland verpasst“, sagte er, „da ist meine persönliche Zukunft nicht wichtig.“

Feiertag ist in Neuseeland heute trotzdem. Allerdings nur in der Region Canterbury, wo Fußball keine große Rolle spielt.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)