25.04. ANZAC Day
Prinzenbesuch als geheime Staatsaktion
Stippvisite bei Terroropfer im Krankenhaus
Im Starship-Kinderkrankenhaus besuchte der Prinz danach ein fünfjähriges Mädchen, das die Schießerei in der Al-Nur-Moschee in Christchurch schwer verletzt überlebt hat. Mit einer Maschine der Luftwaffe flog er mit Ardern anschließend nach Christchurch, wo ein Treffen mit Polizei- und Einsatzkräften der einzige offizielle Termin am Donnerstag war.
Tags darauf (bis zum Freitagmorgen MESZ) standen Besuche des Krankenhauses, in dem noch immer fünf Verletzte der Anschläge behandelt werden, und der muslimischen Gemeinschaft in den beiden attackierten Moscheen auf dem Programm.
Die zeitliche Nähe zu den Attentaten hatte auf alle Gedenkfeiern im Land enormen Einfluss. Dabei spielte nicht nur der Sicherheitsaspekt eine große Rolle, sondern es kam auch zu kulturellen Spannungen. Auf Antrag der Polizei wurden in der Millionenstadt Auckland 58 lokale Paraden und Gottesdienste abgesagt, einige wurden zusammengelegt, so dass am Ende nur 26 übrigblieben.
Sicherheitsmaßnahmen verärgern Soldaten
Das verärgerte einige alte Soldaten so sehr, dass sie, wie in Devonport, nicht genehmigte Rebellen-Feiern abhielten. „Wir lassen uns von den Ereignissen in Christchurch nicht in die Knie zwingen“, sagte Jack Steer, der Vorsitzende des nationalen Kriegsveteranen-Vereins, „wir lassen uns nicht sagen, uns zu verstecken. Wir sind Neuseeländer, und wir gedenken unserer Leute so, wie wir das immer gemacht haben. Und wenn es offener Ungehorsam ist.“
Die bemerkenswerteste Feier fand an der Titahi Bay in Porirua, nördlich der Hauptstadt Wellington, statt. Dort war Organisator Simon Strombom für seine Idee, zur Würdigung der Terroropfer von Christchurch einen Iman ein islamisches Gebet sprechen zu lassen, wüst beschimpft worden und hatte Drohungen aller Art erhalten. Der Tenor: Muslime schön und gut, aber nicht überall, und schon gar nicht bei so etwas Ur-neuseeländischem wie dem ANZAC Day.
Aus Sicherheitsgründen lud der Afghanistan-Veteran den Geistlichen wieder aus - und überraschte mit einer weltlichen Feier ohne Hymnen und Gebet. „Das“, meinte er, „passt besser in unsere moderne Zeit.“ In Wahrheit war’s eine Ohrfeige für seine Landsleute.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)
Ein besonderer Tag auch ohne den hohen Besuch
Der gestrige Tag wäre auch ohne den Besuch des Herzogs von Cambridge ein besonderer Tag in Neuseeland gewesen. Der ANZAC Day ist, wie auch in Australien und Tonga, ein öffentlicher Feiertag. Es ist der Kriegsgedenktag, der an den ersten Einsatztag der „Anzacs“ – der Truppen Australiens und Neuseelands – im Ersten Weltkrieg erinnert.
ANZAC steht für „Australian and New Zealand Army Corps“. Der 25. April 1915 war der Beginn der fatalen achtmonatigen Schlacht von Gallipoli in der Türkei, die insgesamt 100.000 Tote und 250.000 Verwundete forderte, darunter mehr als 8.700 Australier und 2.700 Neuseeländer.
Der ANZAC Day ist auch 104 Jahre danach ein Tag, an dem der ohnehin überbordende Nationalstolz und der Stolz auf die heldenhaften Kämpfe der Vorfahren alle Grenzen sprengt. Zehntausende strömen lange vor Sonnenaufgang zu den Paraden und Gottesdiensten im Morgengrauen, und nach Tagesanbruch finden weitere Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Gefallenen der großen Kriege statt.
Zu solch einer Veranstaltung traf Prinz William zusammen mit Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern am späten Vormittag vor dem Kriegsgedenkmuseum in Auckland ein und legte im Namen der Queen einen Kranz nieder – beschützt von schwer bewaffneten Polizisten, überwacht von kreisenden Hubschraubern. Die Besucher mussten sogar ihre Taschen abgeben.
Wenn britische Königskinder und -enkelkinder in Neuseeland landen, bricht Partystimmung aus. Konfetti, Luftballons, Winken, Händeschütteln, Spaßrennen in Gummistiefeln, Kuchenessen. Ob nun Prinz William mit Kate, Harry ohne Meghan oder Charles mit Camilla, sie alle haben in den vergangenen Jahren jubelnde Menschenmassen angelockt.
Gestern war alles anders. Prinz William war da und das normale Volk hatte bis zu seiner Ankunft in Auckland keine Ahnung, wann der Thronfolger am anderen Ende der Welt landen würde. Die Medien waren zum Stillschweigen verdammt, zu fragil erscheint den Sicherheitsbehörden der Friede nach dem Massaker auf die beiden Moscheen am 15. März in Christchurch.
Nur rund 36 Stunden hält sich der Enkelsohn von Königin Elizabeth II. im Land der Kiwis auf, um Solidarität mit den Angehörigen der 50 muslimischen Todesopfer, den Überlebenden der Anschläge und der vom Terror heimgesuchten einstigen Kolonie zu demonstrieren.
Seine Wege und die Planung glichen schon vor den verheerenden Angriffen auf Christen in Sri Lanka einer geheimen Staatsaktion, auch wenn am Ende der Visite in Christchurch doch noch ein „Walkabout“ – eine Gelegenheit fürs gemeine Volk, um bei dem Prinzen vielleicht die Hand zu schütteln – eingebaut wurde, direkt nach einer Kranzniederlegung am Erdbeben-Denkmal am Avon.
Gallipoli wird zur
Hochsicherheitszone
An dem Ort, an dem der ANZAC Day seinen Ursprung nahm, mussten sich die rund 2.000 Neuseeländer und Australier rigorosen Sicherheitskontrollen wie an Flughäfen üblich unterziehen.
Fernsehberichten zufolge war die Stimmung angespannt, nachdem in der Türkei die Meldung die Runde gemacht hatte, die Polizei habe einen der Terrororganisation Islamischer Staat (Isis) angehörenden Syrer festgenommen, der angeblich plante, die ANZAC-Feierlichkeiten auf der Gallipoli-Halbinsel zu sabotieren.
Lokale Medien berichteten, es handle sich um einen 26-jährigen Mann namens Abdulkerim H. Er habe vorgehabt, eine Bombe zu legen oder mit einem Fahrzeug in die Menge zu rasen, als Rache für Christchurch.
Der makabere Aspekt daran ist, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach den Attentaten von Christchurch gedroht hatte, dass Neuseeländer und Australier, die mit bösen Absichten in die Türkei kämen, in Särgen nach Hause geschickt würden wie ihre Vorfahren in Gallipoli. (sis)