Im Koala-Krankenhaus
Eine Arche der besonderen Art
Die Lage könnte kaum idyllischer sein: Mitten in einer lieblichen Weingegend steht das neue Hospital, in dem sich Notfälle aus Krisengebieten, hilflose Waisen und Opfer von Autounfällen und Hundebissen erholen. Der Healesville Sanctuary in der Nähe von Melbourne ist eines jener Tierkrankenhäuser in Australien, die das Leben von Kängurus, Wombats, Schnabeltieren und ganz besonders von Koalas retten. Da es gläserne Wände hat, können die Besucher des Wildparks Erste-Hilfe-Maßnahmen und Routine-Untersuchungen hautnah miterleben. Die folgende Reportage gibt Einblick in den Alltag dieser Arche der besonderen Art.
Von Sissi Stein-Abel
MELBOURNE. Weinberge säumen den Straßenrand, saftige Wiesen, Obst- und Eukalyptusbäume. Die sanften Hügel am Horizont sind von Wäldern bedeckt. Nichts erinnert hier an die Dürrekatastrophe, die dem Land monatelang das Leben entzog, die roten Böden aufplatzen ließ und mit Rissen und Furchen überzog, dass die Landschaft aussah wie ausgetrocknete Salzseen in der Wüste. Einige Regentage haben das fruchtbare Tal des Flusses Yarra in frisches Grün getaucht, und jetzt ist Winter. Saftiger, grüner Winter.
Diese liebliche Region ist trotz der Gluthitze und Wasserknappheit in diesem Jahr gut weggekommen. Die Buschfeuer im australischen Bundesstaat Victoria tobten weiter droben im Nordosten von Gippsland, hinter den Bergen an der Great Alpine Road. Mehr als eine Million Hektar Wald, auch Häuser verbrannten. Seit wenigen Monaten ist das Inferno vorüber, aber auch im Yarra-Tal nicht vergessen. An manchen Tagen verdunkelte sich auch hier der Himmel. Viele Tiere, die den Flammen lebend entkamen, wurden in das Tierkrankenhaus des Städtchens Healesville - eine Autostunde nordöstlich von Melbourne - eingeliefert. Es ist das Herz eines 30 Hektar großen Tierparks, dem „Healesville Sanctuary“, der Heimat von mehr als 200 einheimischen Tierarten und so natürlich in die Landschaft integriert ist, dass man zu keiner Sekunde das Gefühl hat, durch einen Zoo zu spazieren.
Unter den aktuten Notfällen aus dem Krisengebiet waren 20 Koalas, doch einige waren so schwer verletzt, dass sie eingeschläfert werden mussten. Die meisten aber überlebten und sind, nachdem ihre Brandwunden verheilt sind, schon wieder in die Freiheit entlassen worden. Nur noch zwei dieser kuscheligen Beuteltiere erholen sich noch in der „Arche“ – das ist das alte Krankenhaus-Areal mit großen Gehegen, in denen sich die Tiere auf das Leben draußen in der Wildnis vorbereiten.
Hier haben sie Auslauf, können in den Bäumen hängen oder klettern und so ihre Muskeln trainieren – falls sie nicht gerade in einer Astgabel hocken und schlafen, was die meiste Zeit der Fall ist, da die Koalas nur Eukalyptusblätter, also extrem nährstoffarmes Futter, fressen.
Die Muskeln verkümmern während der Intensivbehandlung, denn in dieser Abteilung sitzen die Tiere in kleinen Käfigen und sind meist auch zu lethargisch, um sich groß zu bewegen. Die vier Tierärzte, zwei Krankenschwestern und zwei Pfleger sind fast rund um die Uhr beschäftigt, denn Koalas, Kängurus, Wombats, Ameisenigel, Schnabeltiere, Schildkröten und Vögel – vom Adler bis zum Honigfresser – werden auch nachts eingeliefert.
Die meisten Patienten sind Opfer von Buschfeuern
Die wenigsten der jährlich 1500 Patienten sind Opfer von Buschfeuern. 75 Prozent der Tiere werden von Autos angefahren, viele von Hunden gebissen. So manches Schnabeltier strandete auch schon direkt vor der Haustür – im Badger Creek, einem Bach, der direkt durch das Schutzgebiet fließt. Shelli zum Beispiel. Die Dame aus der Gattung der Kloakentiere – das sind Eier legende Säugetiere, und zwei der weltweit drei Arten, das Schnabeltier und der Ameisenigel, leben in Australien – kämpfte um ihr Leben, als sich ihr ein weggeworfenes Haargummi um den Hals wickelte und sie fast strangulierte.
Weil sie mit einer nicht therapierbaren Behinderung in der Wildnis nicht überleben könnte, blieb sie in Healesville und wird mit Yabby, ihren Lieblingskrabben, gefüttert – das kostet 5000 Dollar im Jahr. Als Hausbewohnerin bekam sie einen Namen. Genauso wie Cooper. Die Leute, die den grauen Helmkakadu mit der roten Federkrone gefunden hatten, brachten ihn erst nach sechs Wochen ins Hospital – zu spät, um den gebrochenen Flügel zu richten. Cooper kann nicht mehr fliegen, aber er hüpft Ärzten, Schwestern und Pflegern auf die Hand oder die Schulter, zieht an Stethoskopen, Ohren und Haarsträhnen.
Das im Dezember 2005 eingeweihte neue Krankenhaus, dessen Fassadenschmuck die DNA von Tieren darstellt, kostete sechs Millionen australische Dollar (3,6 Millionen Euro) und wurde vom Umweltministerium des Bundesstaates Victoria finanziert. Das Konzept ist so spektakulär, dass es zur Attraktion innerhalb des ohnehin viel besuchten Wildparks wurde.
Alle Wände im Inneren sind aus Glas
Die Räume – Notaufnahme, Operationssaal, Intensivstation, Labor, Kranken- und Pflegezimmer sowie Pathologie – sind in einem runden Bau segmentförmig um einen kreisförmigen Gästebereich herum angeordnet. Alle Wände im Inneren sind aus Glas, so dass die Besucher das Krankenhaus-Personal bei der Arbeit mit den Tieren beobachten können.
Kameras über Operations- und Röntgentischen übertragen zusätzlich Live-Bilder nach draußen. „Das fördert das Interesse der Menschen an unseren Tieren und an unserer Arbeit immens“, sagt Jill Rischbieth, die im „Healesville Sanctuary“ für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist und deren Handy im Minutentakt bimmelt.
An diesem Morgen gilt die Sorge einem Kookaburra, zu Deutsch: Jägerliest, einem riesigen Eisvogel, der wegen seines einzigartigen Kichergesangs auch „Laughing Jack“ (Lachender Hans) genannt wird. Die Tierärztin Phillipa Mason, die mit einem Thema über die „Kookys“ sogar promovierte, versucht festzustellen, ob sich der Vogel bei der Kollision mit einem Auto nur den Ellbogen – das Flügelgelenk – auskugelte oder auch Knochenabsplitterungen erlitt. Die Krankenschwester Fiona Ryan stülpt ihm eine Sauerstoffmaske über den riesigen Schnabel.
Der arme Kerl, mit einem Betäubungsmittel schon halb weggetreten, versucht krampfhaft, die großen Augen offen zu halten, schläft dann aber ein. So spürt er keinen Schmerz, während die Ärztin seinen Flügel in alle Richtungen bewegt. „Es steht nicht gut um ihn“, sagt die 32-Jährige. Da sie aber keine eindeutige Prognose stellen kann, beschließt sie, den Vogel zu röntgen. Dazu wird er – die Flügel gespreizt - mit Kreppband auf eine Platte geklebt.
Zum Aufwachen unter die Sauerstoff-Dusche
Eine Sauerstoff-Dusche beschleunigt das Aufwachen, danach wird der Kookaburra – wie alle Tiere, weil sie sich darin nicht verletzen können - in einer Stofftasche zu seiner Box im Krankenzimmer getragen. Sollte er sich besser erholen als befürchtet, kommt er später mal in eine Voliere, um das Fliegen zu üben, damit er ausgewildert werden kann. Doch selbst dann ist fraglich, ob er sich in Freiheit wieder zurechtfinden kann, denn Kookaburras leben in Familienverbänden.
Es gibt auch ein Kinderzimmer, in dem auf zwei langen Tischen Brutkästen und normale Transportboxen mit Gittertüren stehen. Hier werden Beuteltierbabys aufgepäppelt, die – meistens auch bei Auotunfällen - ihre Mütter verloren haben. Wenn die Babys im Beutel überleben, kommen sie als erstes in den Brutkasten. Die Pflegerin Paula Watson füttert sie alle paar Stunden mit der Nuckelflasche.
Ein kleines Fels-Wallaby – eine Art Mini-Känguru (Macropodidae) – starrt mit Riesenaugen in die Welt, daneben ein Fuchskusu (Trichosurus vulpecula) aus der Familie der Opossums und ein Östliches Graues Riesenkänguru (Macropus Giganteus), das noch einen weiten Weg vor sich hat, bevor es seinem Namen Ehre machen wird. Gewogen werden die Tiere höchstens alle zwei, drei Tage, manche sogar nur einmal wöchentlich. „Wenn man das täglich machen würde, wäre das zu stressig für wilde Tiere“, erklärt Phillipa Mason.
Die Tiere, die trotz aller Bemühungen sterben, werden nach der Obduktion nicht etwa entsorgt, sondern begraben. Auch an diesem Nachmittag findet eine Beerdigung statt. Nicht nur das Krankenhaus-Personal, sondern auch die vielen Freiwilligen, die Besucher ohne zusätzliche Gebühr zum Eintrittsgeld durch das Schutzgebiet führen, wissen Bescheid.
Initiative zur Rettung des Tasmanischen Teufels
Der „Healesville Sanctuary“ hat sich neben der personell und finanziell aufwendigen Pflege kranker und verletzter Tiere – außer den Kosten für Futter und Material kommen ja noch die Gehälter von Ärzten, Schwestern und Pflegern – auch der Initiative zur Rettung des Tasmanischen Teufels angeschlossen. Die aggressiven, schwarzen Raubbeutler, die auf dem australischen Festland vermutlich bereits seit dem 14. Jahrhundert verschwunden sind und nur noch auf der südlich vorgelagerten Insel Tasmanien vorkommen, sind vom Aussterben bedroht.
Eine Gesichtskrebs-Epidemie (DFTD), die zu einer Chromosomenveränderung führt, hat seit 1996 rund 40 Prozent des Bestandes hinweggerafft. Da sich die Tiere auch beim Fressen aggressiv verhalten und einander beißen, wird vermutet, dass die Krankheit dabei übertragen wird. Vier Wildparks und Zoos in Australien haben im vergangenen Dezember 47 gesunde Teufel zunächst einmal für ein Jahr in Quarantäne genommen. Erst danach wird das Brutprogramm gestartet, mit dem Ziel, eine nicht infizierte Teufelspopulation in Tasmanien auszuwildern.
Halb verhungerte Koalas auf verkohlten Baumskeletten
Australiens bekanntestes Tierkrankenhaus ist das Australia Wildlife Hospital in Beerwah, Queensland. Es ist dem Australia Zoo angeschlossen, der durch den von einem Rochen getöteten Krokodil-Jäger Steve Irwin weltweit bekannt wurde. Diese Einrichtung hat finanziell und personell landesweit die größten Ressourcen und war in der Lage, während der verheerenden Buschfeuer ein fünfköpfiges Team, das auf die Rettung von Koalas spezialisiert ist, nach Victoria zu schicken.
Innerhalb einer Woche holten die Experten 150 verängstigte, angesengte und halb verhungerte Koalas von den verkohlten Skeletten von Eukalyptusbäumen, die deren einzige Futterquelle waren.
Das Koala-Hospital in Port Macquairie in New South Wales, vier Autostunden nördlich von Sydney, hat sich völlig den grauen Beutlern mit den fedrigen Plüschohren verschrieben. Dazu gehört auch, neue Eukalyptusbäume zu pflanzen.