04.12. Ein F1 im Graben

Kampf um die Privatsphäre eines Supersportwagens

Die Szene hatte einen Hauch von Katastrophe und Tod. Emsige Hände recken ein überdimensionales schwarzes Abdecktuch in die Höhe und spannen es quer vor die Unfallstelle, um die Privatsphäre des Verunglückten zu wahren. Ein mit roter Kapuzenjacke bekleideter Mann flüstert einem Kameramann zu: „Würden Sie das bitte nicht filmen?“ Und: „Wir wollen nicht, dass das in den Nachrichten gezeigt wird.“

Einige Zeit später rollt ein Abschleppwagen heran und hievt das Unfallopfer, das wie eine von dem Verpackungskünstler Christo eingewickelte Mumie aussieht, aus dem Straßengraben auf die Ladefläche. Zu guter Letzt werden auch noch die Felgen mit blauem Kreppband abgeklebt, um die Privatsphäre des Unglücksfahrzeugs zu schützen.

Das Opfer ist nämlich kein Mensch, sondern ein McLaren F1, dessen Wert mit 20 Millionen NZ-Dollar angegeben wird, das sind zurzeit 13,4 Millionen Euro. Der Fahrer und Besitzer hat sich bei dem Crash in der Nähe der neuseeländischen Touristenhochburg Queenstown lediglich am Daumen verletzt.

Die Polizei gibt später bekannt, es handle sich um einen 65-jährigen Australier, der auf einem geraden und trockenen Streckenabschnitt der kurvigen Straße von Queenstown nach Glenorchy, am Lake Wakatipu entlang, die Kontrolle über das 1994er-Modell des zwischen 1992 und 1998 serienmäßig produzierten Supersportwagens verloren habe. Der Fahrer sei leicht verletzt, der Beifahrer mit dem Schrecken davongekommen. [Update: Am Tag danach musste der Fahrer in Queenstown vor Gericht antreten; die Polizei hat ihn wegen fahrlässigen Fahrens angeklagt.]

Auf solch eine Publicity hätte der Hersteller der Flitzer natürlich gerne verzichet, aber die Nachricht von dem Crash machte die Runde wie ein Lauffeuer, denn McLaren hatte zu der in jahrelanger Arbeit vorbereiteten achttägigen „Epic New Zealand Tour 2016“ – wegen der Publicity – natürlich einige TV-Crews und Journalisten eingeladen.

Sieben Tage lang war ein aus aller Welt zusammengepickter Konvoi aus 34 F1-Fahrzeugen problemlos durch die Heimat des 1970 tödlich verunglückten Formel-1-Rennstallgründers und Konstrukteurs Bruce McLaren gerollt. 1700 Kilometer lang, auf Landstraßen von Nord nach Süd, und bei zwei Rundenhatzen auf Rennstrecken war nach dem Start in Auckland alles gut gegangen.

Aber die Reporter waren natürlich auch zur Stelle, als am letzten Tag der Unfall passierte – sinnigerweise direkt vor einem Warnschild, auf dem Lastwagenlenker aufgefordert werden, einen niedrigen Gang einzulegen, weil es danach bergab geht.

Die Medienvertreter wunderten sich über den vom Reifenabrieb markierten 80 Meter langen Bremsweg über beide Fahrbahnspuren vor einer Rechtskurve, denn der sollte bei einer Notbremsung mit diesem Wagen und einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern bei lediglich 45 bis 50 Metern liegen. Eine Anwohnerin berichtete von einem „endlosen Reifenquietschen“ und enormem Motorenlärm vor dem großen Knall.

Ein Sprecher von McLaren betonte jedoch: „Es gab keine Geschwindigkeitsüberschreitung. Wir haben uns an alle Regeln der Straßenverkehrsordnung gehalten und mit den Behörden zusammengearbeitet.“ Zudem habe es jeden Morgen ein Sicherheitsbriefing gegeben. Die Polizei ermittelt.

Wie viel die Reparatur des laut McLaren-Auskunft „geringen Schadens“ kosten wird, darüber kann bei einem Fahrzeug, das einen Liebhaber- und Versicherungswert von fast 14 Millionen Euro hat, nur spekuliert werden. Als der englische Schauspieler Rowan Atkinson (Mr. Bean) mit seinem F1 vor fünf Jahren in eine Hecke rauschte, war seine Versicherung angeblich mit mehr als einer Million Euro dabei. Er verkaufte den Wagen für mehr als neun Millionen Euro. Kürzlich brachte ein 1998-Modell seinem Besitzer 12,9 Millionen Euro ein. Der Gesamtwert der 34 Fahrzeuge, die in Neuseeland unterwegs waren, wurde mit 30 Millionen Euro angegeben.

INFO

Der McLaren F1 wurde zwischen 1992 und 1998 produziert. Der Supersportwagen wurde 106 Mal gebaut, davon wurden 72 für die Straße zugelassen, und war mit einem 12-Zylinder-Motor von BMW ausgerüstet. Der F1 ist das schnellste Serienfahrzeug der Welt; der Prototyp XP5 erreichte 1998 auf dem VW-Erprobungsgelände in Niedersachsen 386,4 km/h.

McLaren ist einer der erfolgreichsten Formel-1-Rennställe aller Zeiten. Sein Gründer Bruce McLaren wurde 1937 in Auckland, der größten Stadt Neuseelands, geboren. 1970 verunglückte er bei Testfahrten auf dem Goodwood Circuit in England tödlich. Als Fahrer gewann er vier Formel-1-Rennen, sein Name bleibt untrennbar mit seinen herausragenden Fähigkeiten als Konstrukteur und Manager verbunden.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)