Gefährliches Bowling

Kopftreffer: Am Bouncer scheiden sich die Geister

CHRISTCHURCH. Brendon McCullum, der Kapitän der neuseeländischen Cricket-Nationalmannschaft, der Black Caps, zählt zu den besten Schlagleuten (Batsmen) der Welt. Aber selbst solch ein Meister seines Fachs ist nicht in der Lage, jeden von einem gegnerischen Werfer (Bowler) raketenmäßig abgefeuerten Ball wegzuschmettern.

Freund und Feind blieb am Samstag [28. Februar] während des transtasmanischen Vorrunden-Duells der beiden WM-Gastgeberländer in Auckland kurz die Luft weg, als ein von dem Australier Mitchell Johnson mit 150 Stundenkilometern geschleuderter Bouncer – das ist ein weit vor dem Schlagmann aufspringender Ball – den Neuseeländer am Unterarm traf.

In Sekundenschnelle schwoll in Ellbogennähe eine Beule in Bratwurstgröße, in McCullums Gesicht spiegelten sich Höllenschmerzen. Doch der zähe Mann aus dem Land der Kiwis biss auf die Zähne und legte – vereist, verklebt, verwegen – den Grundstein zu dem am Ende hauchdünnen Sieg seines Teams.

Bowler gesperrt, gefährliches Spiel erlaubt

Keine 24 Stunden später musste der englische Schlagmann Josh Buttler im Spiel gegen Sri Lanka um seine Gesundheit fürchten. Erst traf ihn ein Bouncer von Lasith Malinga am Kopf. Kaum hatte er sich aufgerappelt, warf Suranga Lakmal den zwischen 155 und 163 Gramm schweren Ball, der einen Durchmesser von lediglich 7,2 Zentimetern hat, als sogenannten Full Toss zwei Mal direkt in Richtung Buttlers Kopf. Der Engländer wich aus, Lakmal wurde nach der zweiten gefährlichen Aktion für den Rest des Spiels gesperrt.

Diese Regel gilt nicht erst, seit vor etwas mehr als drei Monaten, am 27. November, Phil Hughes gestorben ist. Der 25-jährige Australier war zwei Tage zuvor in Sydney von einem Bouncer an einer großen Schlagader hinter dem Ohr getroffen worden und in ein Koma gefallen, aus dem er nicht mehr aufwachte. Was kaum jemand weiß: In den vergangenen 17 Monaten hat es im Cricket vier Tote gegeben, inklusive einem israelischen Schiedsrichter.

Die Frage, ob Phil Hughes‘ Tod zu Regeländerungen führen wird, ist längst mit einem Nein beantwortet. Deshalb dürfen pro Over - das ist ein Abschnitt von sechs Würfen - weiterhin zwei Bouncer gesetzt werden. Eine WM-Partie geht über zwei Mal fünfzig Overs.

Treffer, die kein Polster verhindern kann

„Bouncers gehören zum Spiel“, sagt der Australier Adam Gilchrist, einer der besten Wicketkeeper/Batsmen aller Zeiten, „aber man könnte Änderungen am Helm vornehmen, um den Schädel besser zu schützen.“ Doch es wird immer Treffer geben, die kein Polster verhindern kann, erst recht, wenn sich ein Spieler wegdreht, so wie Phil Hughes es tat.

Viele Profis zählten nach dem Schockerlebnis auf, welche Verletzungen sie im Lauf ihrer Karriere erlitten hatten: Beulen, Gehirnerschütterungen, gebrochene Arme, Jochbeine und Kiefer, ausgeschlagene Zähne, Platzwunden unter den Augen und auf der Stirn, Blutergüsse an Schultern, Nacken und Hals.

„Wir hatten Glück“, sagte Martin Crowe, der ehemalige neuseeländische Kapitän, der mühelos mehr als zwanzig Vorfälle aufzählte, inklusive Verursacher. Und das in einem vermeintlichen Gentlemen-Sport ohne Körperkontakt.

Anleitung zur Körperverletzung

Während die fies angedrehten Flatterbälle der langsam heranhopsenden Leg-Spin Bowlers allenfalls zu einer Nervenkrise der Batsmen führen können, liest sich die Beschreibung des Bouncers, der von den heranbrausenden Pace (Fast) Bowlers abgefeuert wird, wie die Anleitung zur Körperverletzung.

Ziel ist, den mit der Keule in den Händen bewaffneten Schlagmann mit dem harten Ball am Körper zu treffen. Dann kann nämlich der Batsman den Ball nicht wegschlagen und auch keine Runs (Punkte) erzielen.

„Jeder hat Angst vor dem Fast Bowling, bloß einige unterdrücken und verbergen das Gefühl besser als andere“, schrieb der ehemalige englische Internationale Steve James, der während seiner Karriere acht Kopftreffer erlitten hat, im Londoner Telegraph. „Vor Matches habe ich mir nächtelang Sorgen gemacht, dass ich verletzt werden könnte.“ Der Südafrikaner Robin Petersen sagt: „Man braucht mehr Mut als Können.“

Die Einschüchterung des Gegners ist im Cricket ausdrücklich erlaubt, und die Grenzen zum unerlaubten Spiel und verbalen Entgleisungen, für die es in dieser Sportart den Fachausdruck „Sledging“ gibt, sind fließend.

Vorwurf der Scheinheiligkeit

Die Cricket-Elite, allen voran die stets extrem aggressiven Australier, mussten sich nach dem Tod ihres Kameraden den Vorwurf der Scheinheiligkeit gefallen lassen, denn gerade sie haben in der Vergangenheit Körpertreffer mit Freudenausbrüchen gefeiert.

Dank einem an der Spielbahn installierten Mikrophon wurde Kapitän Michael Clarke im November 2013 dabei ertappt, wie er dem Engländer Jimmy Anderson ankündigte: „Mach‘ dich bereit für einen beschissenen gebrochenen Arm!“ Die australische Mannschaft der Saison 1974/75 hatte aufgrund ihres feindseligen Fast Bowling und ihres extremen „Sledging“ sogar den Beinamen „Ugly Australians“. Hässliche Australier.

Der schnellste Fast Bowler aller Zeiten war der Pakistani Shoaib Akhtar, der bei der WM 2003 in England einen Ball mit einer Geschwindigkeit von 161,3 km/h abzog. Der „Rawalpindi Express“ galt auch als Serientäter in punkto Körpertreffer.

Welt-Cricketspieler des Jahres bekannt für fiese Auftritte

Die derzeitige Nummer eins unter den Fast Bowlern ist Mitchell Johnson (156,8 km/h), der Mann, der am Samstag Brendon McCallum verletzte. Der Welt-Cricketspieler des Jahres 2014 ist nicht nur für sein Können bekannt, sondern auch für fiese Auftritte. Im Februar 2014 donnerte er den Ball in den Rücken von Ryan McLaren, der dann für den Rest der Saison ausfiel. Als der Südafrikaner ein halbes Jahr später zurückkehrte, brach Johnson ihm den Arm.

Zwei Wochen vor dem schicksalhaften Tag im November jubelten die Neuseeländer, als Corey Andersen den jungen Pakistani Ahmed Shehzad abschoss. Von Mitleid mit dem Batsman, der einen Schädelbruch erlitt, keine Spur.

Solch ein Verhalten ist seit Phil Hughes‘ Tod nicht mehr akzeptabel. Jeder weiß, er könnte das nächste Opfer sein.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)