05.12. Rücktritt-Erdbeben

Keys Abgang wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Update 6. Dezember 2016

Drei Nachfolge-Kandidaten

Trotz der Rückendeckung und Empfehlung von John Key für Finanzminister Bill English als seinen Nachfolger kommt es bei der Besetzung des Premierminister-Postens in Neuseeland zu keinem geordneten Übergang. Vielmehr sind bei der Nationalpartei Machtspiele ausgebrochen, die von manchen Berichterstattern sogar als Chaos beschrieben werden.

Einige Parlamentarier haben schon bekanntgegeben, dass sie bei der Fraktionssitzung am Montag [12. Dezember] für English stimmen werden, aber es sind zu wenige, um daraus eine Favoritenstellung abzuleiten. Es sieht so aus, als würde es zu einem Hauen und Stechen kommen.

Neben English haben sich zwei weitere Kandidat/innen ihre Kandidatur angemeldet und eine weitere Kandidatin hat ihre Kandidatur nicht ausgeschlossen. Zum einen will der in weiten Teilen der Bevölkerung unbekannte Gesundheitsminister Jonathan Coleman Regierungschef werden, zum anderen die als „Crusher Collins“ bekannte Polizeiministerin Judith Collins.

Letztere ist eine machthungrige Intrigantin. Sie musste vor zwei Jahren als Justizministerin zurücktreten, weil sie in dubiose Geschäfte (sie mischte Regierungsgeschäfte und geschäftliche Interessen ihres Mannes in China) und die Weitergabe geheimer Informationen verwickelt war, wurde von Key ein Jahr später zurückgeholt, um sie ruhigzustellen, und dreht jetzt richtig auf. Die Frau ist machtbesessen und geht über Leichen. Während ihrer Zeit als Hinterbänklerin hat sie Allianzen geschmiedet, von denen sie denkt, dass sie ihr bei der Wahl am kommenden Montag helfen werden.

Ihre Kandidatur noch nicht ausgeschlossen hat die (mitleidslose) Sozialministerin Paula Bennett, die eigentlich als Langzeitlösung für Keys Nachfolge gehandelt und deshalb von Key protegiert wurde – d.h. eigentlich kommt Keys Rücktritt für sie ein paar Jahre zu früh. Eine Frau, die als alleinerziehende Mutter das Sozialsystem in Anspruch nahm und davon profitierte und dann als Ministerin das System derart erodierte, dass es von unterprivilegierten Menschen als Strafsystem verstanden wurde.

Wie bereits in meiner gestrigen Story beschrieben, ist Bill English ein Mann, der als routinierter Finanzminister in Keys Schatten gewachsen und eine sichere Option ist, der aber als Mega-Loser von 2002, Parlamentsmethusalem und ausstrahlungsfreier Dauerschattenmann mit hölzerner Art und langsamer Zunge nicht gerade Aufbruchstimmung verbreitet.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

Doch so sehr der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Sohn einer österreichischen Jüdin die Kontakte mit den VIPs der Welt genossen hat, insbesondere das Golfspiel mit US-Präsident Barack Obama auf Hawaii, so sehr hat ihn der Stress des Amtes auch ausgemergelt. In den zehn Jahren als Parteivorsitzender und acht Jahren als 38. Premierminister der Nation ist der mittlerweile 55 Jahre alte Key rein äußerlich um 15 Jahre gealtert.

Es setzte ihm auch zu, dass seine Frau Bronagh sehr oft ein einsames Leben führen musste und seine beiden Kinder Stephi und Max die Phase vom Teenager-Dasein ins junge Erwachsenenalter in der Öffentlichkeit durchleben mussten. „Der Akku ist leer, ich habe nichts mehr zu geben“, sagte er, „deshalb denke ich, es ist der richtige Zeitpunkt zu gehen. Zehn Jahre an der Spitze ist eine lange Zeit. Und ich denke, ich trete an einem Höhepunkt ab.“

Das Land habe die globale Finanzkrise gut überstanden, er habe die Nation sicher durch mehrere Naturkatastrophen geführt, und der Etat weist ein Plus aus. Aber mit Blick auf die Parlamentswahlen im kommenden Jahr hätte er dem Volk nicht versprechen können, dass er die folgende dreijährige Legislaturperiode – seine vierte - durchhalten würde, und es nicht zu sagen, so Key, „wäre nicht ehrlich gewesen“.

Dennoch sei er „überzeugt, dass wir die Wahl gewinnen können“. Der Rücktritt sei „die schwierigste Entscheidung meines Lebens“ gewesen. Der Blick auf andere Regierungschefs habe ihn jedoch davon überzeugt, dass es der richtige Schritt ist: „Viele bleiben zu lange im Amt.“

Angesichts der Ein-Mann-Show ihres Rockstars John Key steht die Nationalpartei vor der unlösbaren Aufgabe, am kommenden Montag [12. Dezember] einen ähnlich zugkräftigen Nachfolger zu wählen. Wobei der scheidende Regierungschef seinen vier Monate jüngeren Finanzminister Bill English favorisiert, einen hölzernen Farmer aus dem tiefen Süden, der schon einmal Parteichef war und seine Zukunft eigentlich schon hinter sich hat: Bei den Parlamentswahlen 2002, als Labour-Chefin Helen Clark einen souveränen Sieg einfuhr, erzielte die Nationalpartei mit ihm als Spitzenkandidat mit rund 20 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Resultat aller Zeiten und English wurde ein Jahr später abgelöst.

Dessen Nachfolger Don Brash überlebte trotz zahlreicher Skandale drei Jahre, ehe 2006 John Keys Siegeszug begann und mit dem Wahlsieg 2008 gegen Helen Clark in einen langanhaltenden Höhenflug mündete, den er jetzt selbst beendet hat. Mit Ehrlichkeit und Stil.

(Copyright: Sissi Stein-Abel)

Aber selbst die Führer dieser Fraktionen wagten nicht zu jubilieren, vermutlich konnten sie ihr Glück nicht fassen – denn der einstige Devisenmakler hat die Politik in Neuseeland acht Jahre lang diktiert, die Mehrheit des Volkes hat den Multimillionär mit einer Art Affenliebe verehrt. Die Frage nach dem bevorzugten Premierminister beantworteten auch zuletzt noch um die 45 Prozent mit John Key, während der Labour-Vorsitzende Andrew Little sich schon froh schätzt, wenn er 15 Prozent Zustimmung erhält. Obwohl die Nationalpartei nicht den Kleinen, sondern den Reichen nahesteht, wählten sie ihn in Scharen.

Die Nationalpartei hat von der „Brand Key“ gelebt, der Volksnähe ihres Vorsitzenden, zu der seine regelmäßigen Tritte in Fettnäpfchen ebenso gehörten wie seine Altherrenwitze und Peinlichkeiten wie im vergangenen Jahr die sogenannte Pferdeschwanz-Affäre, als er eine Kellnerin trotz deren Ablehnung bei jedem Restaurant-Besuch an den Haaren zog, weil er es so witzig fand.

Key machte Fehler wie Otto Normalverbraucher von nebenan, und sie verziehen ihm Abweichungen von der Wahrheit, mochten sein joviales Lachen und das Kichern, mit dem er Kritik vom Tisch wischte, wenn er ertappt wurde. Wie in anderen Ländern kommt auch hierzulande nach dem charismatischen Führer lange nichts, Key war zweifellos der beliebteste Premierminister, den Neuseeland jemals hatte. Sein Stellvertreter Bill English sagte, Keys optimistischer und zuversichtlicher Führungsstil habe die Fraktion inspiriert und zusammengeschweißt.

WELLINGTON. Es war wie ein Erdbeben, eine dieser verheerenden Erschütterungen, von denen Neuseeland regelmäßig heimgesucht wird, aber es war noch unvorhersehbarer als diese Naturkatastrophen, von denen jeder weiß, dass sie irgendwann passieren, bloß nicht wann. Die gestrige Rücktrittsankündigung von Premierminister John Key, der sich nach acht Jahren als Regierungschef ausgebrannt fühlt und wieder mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte, traf die Nation, ja, selbst seine engsten Vertrauten, völlig unvorbereitet. Ein politisches Erdbeben, das seine Partei, die konservative Nationalpartei, in einen Schockzustand versetzte, und die Opposition vielleicht in hoffnungsfrohen Optimismus.

Keys Vermächtnis

Nach solchen Rücktritten wird ja immer debattiert, welches Vermächtnis ein Regierungschef hinterlässt. Während die Printmedien durchaus kritische Töne anschlugen, berichteten zahlreiche Fernsehberichterstatter (nicht alle!) in einer anhimmelnden Weise über den anscheinend Messias-gleichen Premierminister, die mit der Realität nichts zu tun hatte. Australiens Premier Malcolm Turnbull sagte gar, Keys Rücktritt sei ein "Verlust für die Welt, nicht nur für Neuseeland". Meine Güte! Was hat John Key erreicht?

Hierzu stand am 7. Dezember ein interessanter Leserbrief in The Press, Autor David Marra:

"[...] From day one, our Machiavellian PM expertly worked the 'Ma and Pa' middle ground inhabited by relatively affluent baby boomers with stable jobs, their own home and a couple of investment properties, and by pampered professionals and corporate executives.

He shielded his ministers from public scrutiny and democratic limitations by expertly stroking middle New Zealand egos and feeding their prejudices, enabling his ministers to erode democracy, extend privatisation and pander to corporate agendas.

The results are: lax enforcement of labour and environmental laws, more secretive spying on citizens, greater casualisation of working class jobs, gradual erosion of the welfare state, increased relative and real poverty, a housing crisis amid private profiteering and speculation, and burgeoning corporate welfare."

Stimmt alles!