30.06. Fußball-Skandal
Unfähigkeit als Markenzeichen
In Russland steppt der Bär und Neuseeland schaut aus der Ferne zu. Wobei dieses Aus-der-Ferne-zuschauen so etwas wie ein Markenzeichen für den Fußball-Verband der kleinen Nation am anderen Ende der Welt geworden ist. Und das nicht nur, weil die All Whites, so der Spitzname der Männer-Nationalmannschaft, erst zwei Mal (1982 und 2010) die Qualifikation für die Weltmeisterschaft geschafft haben; diesmal sind sie in der interkontinentalen Ausscheidung an Peru hängen geblieben.
Nein, der Verband – New Zealand Football (NZF) - steht am Rande des Abgrunds, weil er seinen Geschäftsführer Andy Martin, einen Eiertänzer ohne jegliche Führungsqualitäten, trotz zahlreicher Pannen zu lange hat gewähren lassen. Das können selbst die nachsichtigsten Journalisten nicht mehr akzeptieren. „Andy, warum bist du noch immer hier?“, fragte beispielsweise der Reporter der Fairfax-Medien.
Jetzt hat Martin den Ruf erhört: Er trat von seinem Posten zurück, allerdings nur faktisch, nicht wörtlich, denn er erklärte, er werde sich zur Ruhe setzen, in Rente gehen, sich zurückziehen – je nachdem, wie man das Verb „to retire“ übersetzt. Der Engländer ist 51 Jahre alt.
Österreichischer Frauen-Trainer im Kreuzfeuer der Kritik
Der zweite Mann im Kreuzfeuer ist der Technische Direktor und Frauen-Trainer Andreas Heraf, dem der ehemalige All-Whites-Coach Kevin Fallon empfahl, er solle „sich verpissen, wenn er der Aufgabe nicht gewachsen ist“. Und die Leute, die ihn verpflichteten, bräuchten einen Tritt in den Hintern. Das war Andy Martin, der sich jetzt verabschiedet hat, „um mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen“ und um seinen geliebten FC Liverpool intensiver zu verfolgen“.
Der 50-jährige Heraf, einst Nachwuchs-Teamchef in seiner Heimat Österreich, löste eine Rebellion in der Frauen-Nationalmannschaft aus, die jetzt in Beschwerdebriefen von 13 Spielerinnen und eines ehemaligen Verbandsmitarbeiters gipfelte. Tenor: Er habe mittels Mobbing und Einschüchterung ein Klima der Angst geschaffen.
Dazu kommt eine weltweit vermutlich einzigartige Motivationsgabe, die im vergangenen Monat zum überraschenden Rücktritt von Rekordnationalspielerin Abby Erceg (132 Einsätze) führte. Anstatt Pioniergeist zu beweisen, ließ Heraf die Football Ferns genannte Mannschaft kürzlich beim 1:3 gegen den Weltranglisten-Elften Japan destruktiv mauern, „um nicht zu hoch zu verlieren“, weil sein immerhin an Nummer 20 der Fifa-Rangliste notiertes Team gegen solche Gegner sowieso keine Siegchance habe.
"Wenn man ein Land wie Neuseeland trainiert, muss man an Wunder glauben"
Da endlich beendete Erceg ihr Schweigen und begründete ihren Rücktritt: „Ich konnte es nicht mehr ertragen, das Nationaltrikot zu tragen, wenn seine Vision ist, dass wir uns in einer Ecke verkriechen, um nicht zu hoch zu verlieren. Ich reiße mir doch nicht den Allerwertesten auf, um mich für Olympia und die Weltmeisterschaft zu qualifizieren und dann nicht alles zu versuchen, um zu gewinnen.“
Kevin Fallon, der Neuseeland 1982 zur WM nach Spanien geführt hatte, stieß ins selbe Horn: „Wenn man ein kleines Land wie Neuseeland trainiert, muss man an Wunder glauben und aus den Gegebenheiten das Beste machen. Warum wird jemand Coach, wenn er solch eine negative Einstellung hat und nicht an seine Mannschaft glaubt?“
Noch schlimmer ist, dass der Österreicher als Technischer Direktor des Verbandes – dieses Amt bekleidet er seit April vergangenen Jahres – für die Entwicklung des Fußballspiels im gesamten Verband zuständig ist. Als Frauen-Coach – diesen Job übernahm er im vergangenen Dezember - untersteht er sich selbst.
Dieser Interessenkonflikt, den Andy Martin ganz bewusst akzeptierte, obwohl der Weltverband Fifa die Anweisung gegeben hatte, diese Doppelrolle zu vermeiden, führte zu den skandalösen Vorfällen, die jetzt den Verband erschüttern.
Der Geschäftsführer will von den Beschwerden nichts gewusst haben
In einer Pressekonferenz behauptete der Geschäftsführer jedoch, er habe von Spannungen zwischen Mannschaft und Trainer nichts gewusst, bevor ihm die Profispieler-Vereinigung die 13 bis zu acht Seiten langen Beschwerdebriefe überreichte.
Umgehend sollen Heraf und andere Offizielle weitere Spielerinnen kontaktiert und aufgefordert haben, keine Briefe zu schreiben und/oder Beschwerden einzureichen. Erst dann wurde der Österreicher für die Zeit der Untersuchung, der er sich jetzt durch seinen Abgang zu entziehen versucht, vorübergehend von seinen Aufgaben freigestellt.
Bis zu jenem Tag will Andy Martin von alledem nichts gewusst haben. Dabei hatte ihn ein Journalist schon Mitte Mai um eine Stellungnahme zu den Mobbing-Vorwürfen einer Nachwuchsspielerin im Trainingslager in Spanien gebeten.
Der Technische Direktor Heraf überprüft den Trainer Heraf
Mehrere Offizielle wussten davon. Und Martin wusste nichts und fragte nicht nach? Vielmehr akzeptierte er einen Bericht des untersuchenden Technischen Direktors Andreas Heraf, der die Verfehlungen des Trainers Andreas Heraf untersucht hatte und zu dem Schluss kam, es habe keine Vorfälle gegeben!
Weitere – und beileibe nicht alle - Highlights in Martins Karriere der Fehlleistungen war 2015 die Trickserei um die Spielberechtigung eines eingebürgerten Spielers, die Neuseelands U-23-Team am grünen Tisch die Olympia-Teilnahme in Rio kostete, und im Januar 2016 saßen Verbands-Offizielle vier Tage auf den Papieren für den Transfer des englischen Angreifers Alex Jones von Birmingham City, bis die offizielle Wechselfrist verstrichen war und der Weltverband Fifa den Deal nicht absegnete.
Seit Martins Amtsantritt und erst recht, seit er Heraf an seine Seite holte, waren Personalwechsel im Verband an der Tagesordnung. Jetzt ist Martin gegangen. Ein weiterer Rücktritt oder eine Entlassung, und die Welt in Neuseelands Fußball kommt wieder in Ordnung.
(Copyright: Sissi Stein-Abel)